Text: Ejo Eckerle
Fotos: Michael Grein
Drei Monate haben sie ihm gegeben, mehr nicht. Dann sei er pleite. Frank Buchholz erinnert sich noch gut an die Unkenrufe, die einsetzten, als der gebürtige Dortmunder 2005 sein Restaurant in der Gonsenheimer Klosterstraße eröffnete. Viel Geld und Energie hat er in das Objekt gesteckt. Aus dem ehemaligen ärmlichen Ackerhof entstand ein Schmuckstück. Jetzt, sieben Jahre später, ist er immer noch da. Sein Restaurant zählt mittlerweile zu den 100 besten des Landes. Eine Kochschule ist noch dazu gekommen. Mit seinen 65 Plätzen ist das „Buchholz“ jetzt eine etablierte Adresse für all jene, die Spitzengastronomie zu schätzen wissen – und sie sich auch leisten können. Dass der Sternekoch sein Gemüse und seine Kräuter von den wenigen noch in Gonsenheim verbliebenen Ackerbaubetrieben bezieht, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und auch wenn seine Aufmerksamkeit zurzeit mehr dem „Bootshaus“ im Winterhafen gilt: Das „Buchholz“ in Gonsenheim bleibt sein wichtigstes Standbein.
Ein paar Ecken weiter lebt und arbeitet einer, der sich nicht nur als Dichter fühlt, sondern tatsächlich auch einer ist. Wolfgang Klein betreibt den „Löwen“. In seiner Hauszeitschrift, dem „Löwen Express“, schreibt er zum Beispiel über seine wilden Jahre als DJ und „Quartier Mayence“-Betreiber. Kultur liegt ihm am Herzen. Als kürzlich der Hamburger Autor Nils Mohl in der kuscheligen Raucherlounge des „Löwen“ aus seinem Roman Indianerland las, drängelten sich dort ein gutes Dutzend Zuhörer. Kein schlechtes Zeichen. Das Lokal vervollständigt ein inzwischen in Vororten selten gewordenes Bild: die Dreieinigkeit von Rathaus, Kirche und Wirtshaus.
Zur Ortsverwaltung, die in einem schmucken Renaissance-Bau von 1615 residiert, muss man gerade mal die Straßenseite wechseln und dahinter erhebt sich selbstbewusst der so genannte Rheinhessendom. Das unbestrittene Wahrzeichen von Gonsenheim wird nachts sogar angestrahlt. Auf den ersten Blick sieht man dem mächtigen Bau nicht an, wie der Zahn der Zeit an der 106 Jahre alten Kirche nagt. „Sandstein hält nicht ewig“, sagt Pfarrer Hans- Peter Weindorf. Vor allem das bleiverglaste Fenster über dem Tabernakel bedarf dringend der Sanierung. Ein rühriger Förderverein kümmerte sich darum, dass das Geld dafür zusammen kam.
Hochhausblöcke und vornehme Villen
Bürgerschaftliches Engagement wird in dem mit rund 21.000 Einwohnern größten Mainzer Stadtteil schon immer recht groß geschrieben. Die Anfänge waren eher bescheiden. Wohnten im Jahr 1800 gerade mal 1.100 Menschen in dem Ort, erlebte er im 19. Jahrhundert geradezu eine Bevölkerungsexplosion. 1905 hatte er schon fünfmal so viele Einwohner. Bis zum Ersten Weltkrieg erfuhr Gonsenheim einen regelrechten Bauboom. Das Bauerndorf wandelte sich, zumindest teilweise, zum Refugium des gehobenen Bürgertums, wovon die Villen in der Einkaufs-, Banken- und Apothekenmeile Breite Straße und die prächtigen Anwesen im Waldvillen-Viertel noch heute zeugen.
Der Zahnarzt Dr. Peter Schmitz, in zweiter Ehe mit der ZDF-Moderatorin Gundula Gause verheiratet, hat sich dort niedergelassen. Er schätzt die Vielfältigkeit Gonsenheims. Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zählt zu den prominenten Bewohnern. Trotz allem ist Gonsenheim kein streng abgeschottetes Besserverdienenden-Biotop: „Sie finden hier die ganze soziale Bandbreite.“ Schmitz muss es wissen, keine fünf Gehminuten von seinem Haus entfernt liegt die Elsa-Brändström-Straße, ein Hochhausgebirge mit zahlreichen Sozialwohnungen. Die weithin sichtbaren Wohnblöcke wurden in den 70er Jahren vom Büro des Frankfurter Architekten Albert Speer geplant. Sie gehören nicht unbedingt zu den besten und schönsten Arbeiten des inzwischen weltweit gefragten Städteplaners. Bald schon hatte das Revier seinen schlechten Ruf weg, galt als sozialer Brennpunkt. Und der hält sich hartnäckig. Niemand weiß das besser als Colette Smeraldy vom „Stadtteiltreff Elsa-Brändström-Straße“. Seit 1997 mühen sich die Sozialpädagogin und ihre beiden Kollegen den Gerüchten und Vorurteilen, die über das Quartier die Runde machen, entgegen zu wirken. „Kaum dass mal auf der Straße ein Blutfleck entdeckt wurde, hieß es schon, jemand sei umgebracht worden.“ Natürlich gebe es schwierige Bewohner mit sozialen Auffälligkeiten, aber die Lage habe sich weitgehend beruhigt. Was hingegen wächst, ist das Phänomen der Altersarmut. Einmal in der Woche werden vom „Brotkorb“, von ehrenamtlichen Mitarbeitern in den Räumen des Treffs betrieben wird, Lebensmittel an Menschen mit geringem Einkommen abgegeben. Rund 200 Gonsenheimer nutzen das kostenlose Angebot.
Biotop für Tiere
Wer von den Hochhäusern nach unten blickt, entdeckt eine weitere Besonderheit Gonsenheims, den Wildpark. Dort leben die Wollschweine Rudi und Käthe. Die haben es Sylvia Köbler-Gross angetan. Immer dann, wenn die stellvertretende Ortsvorsteherin mal vom Alltagsstress abschalten möchte, stattet sie den beiden Borstenviechern ihren Besuch ab. Rund 100 Tiere, von der westafrikanischen Zwergziege bis hin zum Waschbär, tummeln sich auf dem etwa drei Hektar großen Gelände. Der Freiluftzoo wurde in den 50er Jahren von der Jägerschaft Gonsenheim gegründet, später übernahm ihn die Stadt Mainz und erweiterte das Gelände Zug um Zug. Heute ist er eine Attraktion, die bis weit in die Region hinausstrahlt. Rund 100.000 Besucher pilgern jedes Jahr zum Wildpark. Ob das noch lange so bleibt, ist ungewiss. Die chronisch finanzklamme Stadt sucht nach Lösungen,wie der Unterhalt des Tier-Biotops für die Zukunft sichergestellt werden kann.
Sylvia Köbler-Gross hat es vor 20 Jahren mitten in den alten Ortskern verschlagen. „Mein altes Revier war die Oberstadt!“ Heute ist sie längst Gonsenheimerin aus Leidenschaft: „Ein Stadtteil zum Wohlfühlen.“ Die Beliebtheit des Ortes schlägt sich allerdings auch in den Mieten nieder und im Run auf die noch wenigen verfügbaren Baugrundstücke. Beispiel Gonsbachterrassen: Bereits seit 2006 entstehen darauf überwiegend großzügige Einfamilienhäuser mit Flachdächern, die sich damit, so sieht es das Konzept vor, den topographischen Gegebenheiten des Geländes anpassen sollen. Das Terrain hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Der Mainzer Luftfahrtpionier Jacob Goedecker startete dort zu seinen Flugversuchen, später übernahm das Militär das Areal. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte die US-Army das Mainz Army Depot hier an, einen Reparaturbetrieb für Panzer.
Heile Welt mit Rissen
Wer heute durch das Neubaugebiet schlendert, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Überwiegend sehr geschmackvolle und höchst individuell gestaltete zeitgemäße Architektur ist hier aus dem Boden gewachsen. Keine Schnäppchen, denn allein der Baugrund schlägt hier mit 450 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Trotzdem, Detlef Höhne, Vorstand der Stadtwerke Mainz, vermeldet: „Wir sind komplett ausverkauft, bis auf ein angrenzendes Mischgebiet, das wir noch nicht vermarktet haben. Da könnte es sein, dass noch maximal 20 Bauplätze entstehen.“ Und er ergänzt: „Verblüffend viele junge Familien haben sich hier angesiedelt.“ Allein in „seiner“ Straße, Höhne wohnt selbst in dem Gebiet, leben 22 Kinder unter vier Jahren.
Was noch unbebaut ist in Gonsenheim, wird es wohl auch bleiben: das Naturschutzgebiet Am Sand und das Landschaftsschutzgebiet im Gonsbachtal. Dort soll es jetzt sogar den kleinen Gartenhütten an den Kragen gehen, die die Grundstückseigentümer teilweise schon seit den 70er Jahren nutzen, freilich ohne dass es dafür je eine Baugenehmigung gegeben hätte. Sylvia Köbler-Gross hofft zudem, dass sich der sechsspurige Ausbau der A 643 noch verhindern lässt. Die Schnellfahrpiste durchschneidet schon heute den Lennebergwald und das Naturschutzgebiet mit monumentaler Wucht. Und erinnert Gonsenheim daran, dass auch hier nicht unbedingt und überall die heile Welt zu Hause ist.
Einen umfassenden Überblick über Gonsenheim gibt das Buch „Was Sie schon immer über Gonsenheim wissen wollten“ von Hermann-Dieter Müller, erschienen im Leinpfad Verlag, 128 Seiten, 12,90 Euro