Direkt zum Inhalt wechseln
|

Obdachlose Kunst – Das pad und Bernd Thewes weichen der Gentrifizierung

Komponist Thewes vor seinem Ex-Atelier

Der Bauboom ist allerorten ersichtlich. Eines der Viertel, welches dabei am rasantesten von Gentrifizierungseffekten erfasst wurde, ist die Mainzer Neustadt: „In den 80er Jahren war die Neustadt ein Arbeiterviertel“, erzählt Bernd Thewes (62 Jahre). Der Komponist hat seit 2006 sein Atelier im Erdgeschoss am Gartenfeldplatz 4. Häufig sieht man ihn dort mit verschiedensten Klangutensilien herumwerkeln. Gerade kommt er aus Berlin. Er hat die Musik zum siebenstündigen Stummfilmklassiker „La Rou“, der vom Rundfunk-Sinfonieorchester aufgeführt wurde, neu eingerichtet. Auch für den Saarländischen Rundfunk, das ZDF und Arte hat Thewes viele Jahre gearbeitet. Zudem leitet er zwei Chöre und gibt Klavierunterricht. Bevor Bernd Thewes in sein Atelier am Gartenfeldplatz einzog, stand das Objekt drei Jahre lang leer. Er renovierte selbst und bekam dafür günstige Mietkonditionen vom alten Vermieter. Dieser starb vor zwei Jahren. Der neue Besitzer, der Architekt Michael Eberhardt, saniert aktuell das gesamte Haus. Thewes ist der letzte verbleibende Mieter.

Die Umbaumaßnahmen sind in vollem Gange. Im Hausflur liegt überall Schutt; Kabel hängen von der Decke. Durch ein Loch in der Wand rieselt Baustaub in die Atelierküche. Trotzdem hängt Thewes verzweifelt an dem Ort, denn er hat einen besonderen Charme: Früher war hier mal ein Café drin, deshalb besitzt sein „Komponierstübchen“ ein schönes altes Schaufenster. „Viele Leute, die vorbeigegangen sind, haben freundlich gegrüßt. Irgendwann kannte man jeden“, berichtet er von den guten Zeiten. Mittlerweile hat sich der Gartenfeldplatz zum Hipsterort gewandelt, Wohnraum ist heiß begehrt. Thewes soll zum 31. Oktober seine 70 qm räumen. Etwas Neues hat er noch nicht. „Ich bin mit vielen Leuten im Gespräch, aber bisher hat sich nichts ergeben.“ Die hohen Mieten kann er sich als freier Künstler nicht leisten.

Performative Not

Eine Querstraße weiter in der Leibnizstraße 46 befindet sich das einzige Theater für Performance und Improvisation in Mainz: das performance art depot – kurz: pad. Im Oktober 2007 eröffneten Nic Schmitt und Peter Schulz ihre Experimentier- und Produktionsstätte. Seitdem haben sie mit viel Herzblut ein kleines Juwel der Kunstszene von Mainz aufgebaut. „Wir wussten damals, dass die Räumlichkeiten ein großer Glücksgriff sind“, berichtet Schmitt. Von außen nicht erkennbar, befinden sich unterhalb des kleinen Eingangsbereiches fast 600 qm Kellerfläche, die das Künstlerduo komplett nutzen kann. „Performance verbinden viele mit einer kalten Industriehalle, in der man nach der Show noch schnell im Stehen ein Glas Wein trinkt und dann nach Hause geht.“ Anders im pad:

 

Künstlerin Nic Schmitt in ihrem „alten“ Laden

Ein gemütlicher Loungebereich mit Vintage-Möbeln lädt die Besucher zum Verweilen und Diskutieren ein. „Das Besondere an diesem Ort ist, dass wir hier alles an einem Platz haben: Büro, Proberaum, Bühne, Requisite, Lager, Foyer. Das ist perfekt.“ Die vorherigen Hausbesitzer, ein altes Ehepaar, hatten die Räumlichkeiten für einen geringen, eher symbolischen Betrag zur Verfügung gestellt. Anfang 2019 übernahm jedoch die Mainzer HDSK Wohnen GmbH & Co. KG die Immobilie und verlangt nun monatlich 3.000 Euro Miete. Für freie Künstler eine utopische Summe. Bis Anfang 2020 hat das pad noch eine Duldung. So lange findet weiterhin Programm statt. Parallel suchen die beiden nach einer neuen Location. Die Vorstellung auszuziehen, tut Schmitt jetzt schon weh: „Wir haben hier alles selbst gemacht. Bei jedem Teil, das wir in Kisten packen, kennen wir die Geschichte.“ Wie es mit dem vietnamesischen Restaurant Hanoi im Erdgeschoss weitergeht, ist ebenfalls noch unklar.

 

Leere (Kultur)Töpfe

Das Problem der freien Kunst in Mainz sei laut Schmitt jedoch weniger eine Raum- als vielmehr eine Finanznot. Zwar gibt es Unterstützung von Stadt und Land, diese reiche aber vorne und hinten nicht. 5.000 Euro institutionelle Förderung erhält das pad im Jahr, hinzu kommen projektbezogene Gelder. „Die Töpfe sind leer, alle Gelder sind dauerhaft vergeben. Wir würden anderen Kulturinstitutionen etwas wegnehmen, wenn wir mehr bekämen. Das wollen wir nicht.“ Eine Alternative zu privat angemieteten Räumen könnten städtische Kulturstätten sein, wie etwa die geplante Kulturabteilung in der Kommissbrotbäckerei Nähe Zollhafen. Auch die alte Neutorschule in der Altstadt war bereits mehrfach im Gespräch. Bis die Objekte bezugsfertig sind, dauert es aber noch Jahre – keine Lösung für akute Raumnöte. Und während Mieter raus müssen, stehen manche Häuser in der Neustadt und anderswo komplett leer, weil die Besitzer kein Interesse haben, etwas an diesem Zustand zu ändern. Bleibt für manche nur das Hoffen auf ein Wunder. Und wenn es eng wird, verschwinden Kunst und Kultur meist als Erstes.

Das pad und Bernd Thewes freuen sich über Atelier-Angebote.

bernd-thewes.net

pad-mainz.de

 Von Sophia Krafft Fotos: Domenic Driessen