Kinderstimmen schallen durch das Treppenhaus. Entlang eines langen, weißen Flures reiht sich ein Zimmer an das nächste. Gelbe Post-its an den Türen zeigen, dass hier jemand wohnt. Aus der Küche strömt Essensgeruch. Ein paar Jungs schlurfen in Hausschuhen über den Gang. Vor ein paar Wochen ist Nawid mit 180 anderen Geflüchteten in die Unterkunft im Allianzhaus in der Großen Bleiche gezogen. Bevor wir uns im angrenzenden Café blumen für ein Interview treffen, zeigt er uns sein Zimmer.*
Nawid wohnt im dritten Stock. Von der Tür aus blickt man auf eine große Fensterfront. Neben der Tür stapeln sich Schuhe, der Fußboden ist mit mehreren Teppichen ausgelegt. Der Blick fällt sofort auf den rosafarbenen Teppich mit Krönchenmuster. Eine Sitzecke bildet das Herzstück des Zimmers und sorgt mit kleinen Kissen für Gemütlichkeit. Die Grundausstattung der Zimmer ist im ganzen Haus gleich: Pro Bewohner gibt es einen Schrank, ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch.
Momentan teilt Nawid sich das Zimmer mit zwei anderen Bewohnern. Das könnte sich in Zukunft ändern, denn die Stadt plant in den Zimmern sechs bis acht Personen unterzubringen. Nawid macht sich darüber große Sorgen. Mit seinen beiden Mitbewohnern fühlt er sich aber bisher wohl. Sie verstehen sich gut und unterstützen sich beim Deutschlernen. Erst vor ein paar Monaten hat er den Wechsel von seiner alten Unterkunft im Layenhof bei Finthen beantragt: „Meine Mitbewohner haben jeden Abend Party gemacht. Ich hatte kaum Ruhe,“ sagt Nawid. Nun fürchtet er, dass im Allianzhaus Ähnliches droht.
Marc André Glöckner, Pressesprecher der Stadt, weiß: „Die Räumlichkeiten sind für 292 Personen ausgelegt. Mithilfe von Mehrbettzimmern haben wir das, was baulich möglich war, herausgeholt.“ Jede Etage hat ein Gemeinschaftsbad mit Duschen und Toiletten. Im Durchschnitt teilen sich vier Wohngemeinschaften eine Küche. „Das bedeutet, dass zwei Wohngemeinschaften an einem Herd kochen“, sagt Nawid.
Kühlschrank und Geschirr sind im Zimmer untergebracht. „In den nächsten Wochen soll es auch ein Spielzimmer und Gemeinschaftsräume für die Deutschkurse geben“, erzählt Sandra Spode vom Deutschen Roten Kreuz, die das Gebäude bewirtschaften. Dafür sollen vor allem die Räume über dem Club „schon schön“ genutzt werden, der im Erdgeschoss residiert, um eine direkte Lärmbelästigung in den Wohnräumen zu verhindern, die weiter seitlich liegen.
Die Nachbarschaft sei laut Club-Besitzer Norbert Schön bisher sehr entspannt: „Im Grunde ist alles wie vorher, nur dass dieses riesige Haus nun sinnvoll genutzt wird.“ Darum würde Schön sehr gerne mehr mit dem Eigentümer MAG (Mainzer Aufbaugesellschaft) kooperieren. Eine weitere Fläche im Erdgeschoss hat er bereits erhalten, in der er ab Oktober eine Bar eröffnen will. Wie weitere Kooperationen aussehen können, sei noch unklar. Sein Mietvertrag läuft noch mehrere Jahre.
„Mainz ist meine Stadt“
Das Allianzhaus beherbergt unterschiedliche Nationalitäten. Alle eint die Flucht vor Krieg und Armut. Auch Nawid musste wegen der Taliban seine Heimatstadt Logar in Afghanistan verlassen. Von Pakistan aus floh er in den Iran, dann weiter in die Türkei, nach Griechenland, Kroatien, die Niederlande und schließlich Deutschland. Zwei Monate war er unterwegs, mit dem Auto, dem Boot oder zu Fuß. Für die Reise zahlte er 11.000 Euro.
Seit 15 Monaten lebt er nun in Deutschland. „Ich liebe Mainz. Mainz ist meine Stadt“, sagt der 20-Jährige. Er hat bereits viele Freunde, spielt Fußball, interessiert sich für Film und Theater, trinkt gerne deutsches Bier und geht tanzen. Gerade schreibt er an einem Buch über sein bisheriges Leben.
Nawid hat schnell gemerkt, dass eine gute Bildung in Deutschland wichtig ist. Darum möchte er so bald wie möglich eine Lehre zum Automechatroniker machen. Dafür besucht er nun einen sechsmonatigen Sprachkurs an der Volkshochschule. Zu einer erfolgreichen Integration gehört neben Sprachkenntnissen und Arbeit aber auch ein eigenes Heim.
Nach Angaben der Stadt leben derzeit 5.000 Flüchtlinge in Mainz. 1.900 wohnen noch in einer Gemeinschaftsunterkunft. Der Rest ist bereits in eigene Wohnungen gezogen oder bei Freunden und Bekannten untergekommen. „Unterkünfte wie das Allianzhaus sollen nur Übergangslösungen sein“, so Glöckner. Das hofft auch Nawid, der am liebsten bald wieder ein eigenes Zuhause für sich und seine Familie hätte.
Wie und ob die Räumlichkeiten des Allianzhauses nach den geplanten fünf Jahren für die Stadtentwicklung genutzt werden, ist noch nicht endgültig entschieden. Die bisherigen Planungen der MAG sahen immer einen Abriss und anschließenden Neubau vor.
*Die Stadt Mainz erlaubt keine Interviews innerhalb der Flüchtlingsunterkunft, auch Fotos sind verboten. Dadurch solle die Privatsphäre der Bewohner geschützt werden, so Pressesprecher Marc André Glöckner.
von Lisa Winter und Domenic Driessen (Fotos)