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Konzern Stadt – Mainz und seine Töchter

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von David Gutsche und Florian Barz Fotos Katharina Dubno

Zu Beginn ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, die städtische „Daseinsvorsorge“ in Mainz läge ausschließlich in privater Hand. Das Staatstheater gehört einem Investorenkonsortium, ebenso die Wasserversorgung. Die Mainzer Busse und Straßenbahnen fahren für ein Privatunternehmen. Für Vollblut-Neoliberale mag das ein erstrebenswerter Traum sein, den Rest wird diese Vorstellung eher gruseln. Die jährlichen Defizite der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) würden durch steigende Ticketpreise und die Streichung von wenig lukrativen Strecken ausgeglichen. Im Theater liefen womöglich nur noch anspruchslose Event-Musicals in Dauerschleife.

Ein wenig ist das bereits jetzt so, zum Beispiel werden aktuell Bus-Linien gestrichen, damit die Mainzelbahn- Investition sich rechnet. Doch kein Zweifel Es ist gut, dass der Großteil der Grundversorgung in den Händen der Stadt und somit der Bürger liegt. Sie versorgt wiederum alle mit Wärme und Wässer, bietet kulturelle Angebote, betreibt ein Altenheim, baut Wohnungen, betreut Kranke, wirbt Touristen, macht Kulturarbeit und sorgt dafür, dass der Müll abgeholt und verbrannt wird. All diese Aufgaben hat die Stadt an städtische Unternehmen und Eigenbetriebe übertragen. Deren Zahl wächst seit Jahren stetig. Was aber, wenn städtische Unternehmen den Zweck der Grundversorgung gar nicht (mehr) erfüllen und damit mit privaten Unternehmen in Konkurrenz treten?

„Die Beteiligungsunternehmen unterstützen die Stadt dabei, eine optimale Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zu gewährleisten“, sagt Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). „Sie haben die Kernkompetenz und das fachliche Know-how. Das kann die Stadtverwaltung allein gar nicht leisten.“ 14 mehr oder minder selbstständig agierende Unternehmen gibt es inzwischen. Dazu zählen u.a. die Stadtwerke, die Wohnbau oder die mainzplus citymarketing GmbH, zu denen wiederum zahlreiche Tochter-Gesellschaften gehören. So sind allein die Stadtwerke direkt oder indirekt an circa 50 Einzelunternehmen und Ausgliederungen beteiligt. Hierzu gehört auch die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG), die wiederum eigene Töchter besitzt (z.B: „MVG meinRad“). Töchter von Töchtern von Töchtern… Für den normalen Bürger ohne Wirtschaftsstudium ist das kaum zu durchblicken.

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Stadtwerke-Hochhaus in der Rheinallee – Hier wird das dicke Geld gemacht

„Aber wer kann schon von sich behaupten, über 50 Töchter zu haben“, freut sich Stadtwerke Vorstand Detlev Höhne. Er ist Chef des größten und wichtigsten städtischen Unternehmens: Die Stadtwerke Mainz (SWM)-AG sorgt für funktionierenden Strom, Gas, Trinkwasser und Fernwärme und über die MVG für ein bezahlbares Bus- und Straßenbahnangebot. Gleichzeitig ist sie die einzige städtische Beteiligungsgesellschaft, die Geld in die Kassen spült. Die Gewinnausschüttung betrug 2015 exakt 7,5 Mio. Euro, an die Stadt fließen davon 2,5 Mio. pro Jahr, und das, obwohl die Stadtwerke auch die Verluste der MVG (pro Jahr ca. 15 Mio. Euro) ausgleichen.

Die Aufgabe wird für die Stadtwerke in Zukunft aber nicht einfacher. Das Betriebsergebnis liegt mittlerweile deutlich unter Vorjahresniveau. Man rechnet 2016 mit einer Dividende von nur noch 7 Mio., in den Folgejahren vielleicht nur noch 6,5. Unter anderem funktionieren alte Geschäftsmodelle nicht mehr so gut wie früher. Auch hier verändern Transformationsprozesse das Geschäft. In Zukunft ist daher als ein Baustein wieder der eigene Vertrieb von Strom und Gas mit EWR als Partner geplant.

ZBM als „Cashpool“

Detlev Höhne ist auch einer der drei Geschäftsführer der „Zentralen Beteiligungsgesellschaft Mainz“ (ZBM), die die Ampelkoalition 2010 ins Leben gerufen hat. Diese Stadt-Holding fungiert als Bindeglied und zentrales Steuerungsinstrument zwischen Stadt und vielen städtischen Beteiligungen. Langfristig sollen fast alle städtischen Unternehmen in der ZBM gebündelt werden. Die Wohnbau ist der nächste „Übernahme“-Kandidat, danach möglicherweise der städtebauliche Projektentwickler Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG) mit seiner Tochterfirma „Parken in Mainz“ (PMG), die fast alle städtischen Parkhäuser betreibt.

Im Aufsichtsrat der ZBM sitzen Stadtratsmitglieder aus allen Fraktionen. Es gehe darum, „den Stadt-Konzern besser zu koordinieren und effizienter zu machen“, sagt Höhne. Auch können durch die ZBM Gelder besser „verschoben“ werden, von starken Unternehmen wie der SWM AG hin zu Unternehmen, die eher Verluste machen. Zudem hat die Konstruktion gewichtige steuerliche Vorteile: „So trickst auch die Stadt mit Steuern und nicht nur der Bürger“, sagt Dr. Tress, finanzpolitischer Sprecher der CDU und Leiter des Finanzamtes Mainz-Mitte. Das alles natürlich ganz legal.

Anlass der Gründung der ZBM war u.a. das Wohnbaudesaster in den Nuller-Jahren. Die Wohnbau, die eigentlich dafür da war, sozialen Wohnungsbau zu betreiben, engagierte sich in hoch spekulativen Unternehmungen wie den Markthäusern oder dem Restaurant Mollers auf dem Staatstheater. Dadurch geriet das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage. 117 Mio. Euro kostete die Stadt damals die Rettung. Die Rückzahlung der Schulden schiebt sie bis heute vor sich her. Aber auch andere städtische Gesellschaften innerhalb der ZBM machen Minus. Die Stadtwerke gleichen alle Verluste i.d.R. aus, quersubventionieren sozusagen. Das ist auf der einen Seite auch gut so. Was aber, wenn es um Unternehmen geht, die nicht mehr eindeutig der reinen Daseinsvorsorge dienen?

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Finanzdezernent Günter Beck hat trotz städtischer Schulden gut lachen: „Bei der Verteilung der Gelder ist viel Kreativität gefragt“

Subventionen & Schulden

So zum Beispiel der Bereich Kongresswesen der mainzplus Citymarketing GmbH, auch ein Teil der ZBM. Die meisten Kultur-Veranstaltungen und Kongresse der Stadt laufen über die mainzplus in ihre Stamm-Locations Rheingoldhalle, Frankfurter Hof, Schloss oder die Bürgerhäuser. mainzplus macht keinen Gewinn, sondern ein Defizit von etwa 2 Mio. Euro jährlich bei etwa 12 Mio. Euro Umsatz in 2015. mainzplus-Chef August Moderer argumentiert jedoch, dass das Unternehmen eine indirekte Wertschöpfung für die Stadt schaffe, nämlich durch die Kultur-Gäste und Kongress-Besucher, die in Mainz Unterkünfte buchen, Essen gehen, einkaufen usw. „Diese Wertschöpfung ist enorm“, betont Moderer, er veranschlagt sie bei 50 Mio. Euro jährlich. Wie viel da dran ist, bleibt fraglich.

Wäre mainzplus nicht in der ZBM, sondern ein privates Unternehmen, könnte es mit diesen Defiziten nur bedingt existieren. So leistet sich die Stadt jedoch weiterhin Kultur, Kongresse & Co., wohingegen andere teils gleichartige Veranstalter, wie die neue Halle45 (Ex-Phönixhalle), aus eigener Kraft Profite erwirtschaften müssen, um zu bestehen, obwohl sie ein ähnliches Geschäftsmodell fahren. Noch größer sind die städtischen Zuschüsse bei anderen Einrichtungen, wie etwa dem Staatstheater, das von der Stadt jährlich mit 12. Mio. Euro „unterstützt“ wird, die gleiche Summe kommt auch nochmal vom Land.

Hin und wieder erinnert das System an die GEZ-Gebühr: Die öffentlich-rechtlichen Sender bekommen Gelder zur Verfügung gestellt, während andere private Medien-Unternehmen ihre Erträge selbst erwirtschaften müssen, obwohl teils gleiche Geschäftsfelder. Begründet wird das in dem Fall mit dem Bildungsauftrag – bei Städten eben mit Daseinsfürsorge. Das ist in Ordnung und manchmal schwer einzuordnen. Zu viel Privatisierung birgt aber immer auch ein Risiko. Die Erträge der städtischen Unternehmen sind immerhin nur ein kleiner Teil des gesamten Geld- & Investitionsvolumens der Stadt. Steuern und Zuwendungen machen den Großteil des Kuchens aus; Gelder vom Land, Investitionsprogramme vom Bund.

„Bei der Verteilung der zur Verfügung stehenden Gelder ist viel kreative Energie gefragt“, sagt Finandezernent Beck: Insgesamt 610 Mio. Euro gibt Mainz pro Jahr (2015) aus, das meiste davon für Soziales und Personal. Dem stehen Erträge von 575 Mio. Euro gegenüber. Ein Fehlbetrag also von 35 Mio. Euro jährlich. So haben sich über die letzten Jahre bis heute etwa 1,3 Milliarden Euro Schulden angesammelt, die Pro-Kopf-Verschuldung betrug zuletzt über 12.000 Euro. Spätestens seit dem Beitritt zum Landes-Entschuldungsfonds 2012 ist Konsolidieren in Mainz angesagt. „Ein Schuldenrückgang von heute auf morgen ist aber nicht machbar“, sagt Beck, „doch wir haben die Schuldensteigerung verlangsamt.“ Für Mainz bedeutet dies eine Entschuldung von über 575 Mio. Euro während der Gesamtlaufzeit bis 2027. Die Stadt muss hierzu einen jährlichen Eigenanteil in Höhe von derzeit 12,7 Mio. aufbringen.


Zollhafen-Bebauung

Ein weiteres prominentes Beispiel für wirtschaftliche Beteiligungen der Stadt Mainz ist der Zollhafen. Bis 2025 sollen hier 1.400 Wohnungen und 4.000 Arbeitsplätze entstehen. Organisiert hat das ein Zusammenschluss der Stadtwerke und des Frankfurter Immobilienentwicklers CA Immo. Beide Unternehmen haben dafür die „Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG“ gegründet, die Stadtwerke mit einer „nur“ 49,9 prozentigen Beteiligung. Die neue Gesellschaft hat in den letzten Jahren Stück für Stück Bauflächen für mehrere Mio. Euro an Investoren verkauft. Die Investoren errichten darauf wiederum Gebäude und verkaufen / vermieten diese zu Spitzenpreisen an Spitzenverdiener. Die verdienten Euros kommen jedoch (bisher noch) nicht der Stadt und den Stadtwerken zugute, sondern fließen erst einmal in die Erschließung der Infrastruktur und amortisieren sich erst Jahre später.

Auch hier könnte man sich Fragen stellen: Warum zum Beispiel erschließen die Stadtwerke das Gelände und nicht die Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG)? Wollte man nicht einzelne Kompetenzen innerhalb der Stadt bündeln? Gleiches Beispiel beim geplanten „Heiligkreuz-Areal“ in Weisenau. Auf dem mehr als 30 Hektar großen ehemaligen IBM Gelände möchte die Stadt ein neues Quartier mit unterschiedlichen Wohnformen entwickeln. Gleich drei städtische „Partner“ entwickeln und investieren: Stadtwerke, Wohnbau und MAG. Warum diese Überschneidungen? Die einzelnen Unternehmen dementieren und betonen gegenseitige Synergien. Wahrscheinlicher ist jedoch auch, dass die Stadtwerke ganz einfach der potenteste Partner sind und sich somit auch am meisten erlauben können bzw. es ohne sie gar nicht ginge.

Fehlende Kontrolle?

Das erklärte Ziel der Stadt war und ist es, die städtischen Betriebe und stadtnahen Beteiligungen zu entflechten und inhaltlich sinnvoll zusammenzuführen. Das ist mit der ZBM teilweise bis gut gelungen. Die aufgeführten Beispiele zeigen aber auch, wie kompliziert die Verästelungen sind. Wer nur in den Haushalt schaut, erfährt nicht viel über die finanzielle Lage der Stadt. Für den Bürger ist das undurchsichtig, kritisiert Stadtratsmitglied Jasper Proske von den Linken sowie die ÖDP. Auch entzögen sich städtische Unternehmen der parlamentarischen Kontrolle, meint der finanzpolitische Sprecher der CDU, Dr. Peter Tress: „Die Versuchung ist groß, verlustreiche stadtnahe Gesellschaften dauerhaft zu subventionieren.“

Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Alle Bilanzen sind öffentlich und kommen auf den Prüfstand. Spätestens, wenn die Jahresabschlüsse im Finanzausschuss und Stadtrat zur Diskussion stehen, hat jedes Stadtratsmitglied das Recht, alles zu hinterfragen und zu kontrollieren. Die Kontrolle ist aber eben nur so gut wie die Kontrolleure.“ Vieles ist gut so wie es ist. Wer sieht schon gerne wichtige Unternehmen in privater Hand als nicht lieber in städtischer? Allerdings ist die Einordnung zwischen Grundversorgung oder quersubventionierter Liebhaberei hin und wieder ein Tanz auf der Rasierklinge. Und ob wirklich jeder Chef einer städtischen Beteiligung sich morgens gleich nach dem Aufstehen fragt: Was kann ich heute für meine Stadt tun? – wie Oberbürgermeister Michael Ebling kürzlich erklärte, darf weiterhin kritisch begleitet werden.