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Juli-Kolumne: Dr. Treznok im Van-Allen-Gürtel


Neulich habe ich in der Bücherkiste vor der Volkshochschule ein Buch gefunden. Darin ging es um Atombombentests im Van-Allen-Gürtel. Der Van-Allen-Gürtel, ein magnetischer Schutzschild um die Erde, ist seit den 60er Jahren angeblich dreimal so radioaktiv wie vorher, wegen der Atombombentests. Was das für Auswirkungen auf die Erde hat, das verrät das Buch leider nicht. Meine Recherchen im Internet liefern mir hübsche Bilder vom Van-Allen-Gürtel, als ob es tatsächlich solche Bilder geben könnte, und schon glaube ich, etwas zu wissen.
In einem Zeitungsartikel lese ich etwas über Cern und Desy. Das sind Institute, die ihre Zeit damit verbringen, kleinste Teilchen durch kilometerlange Tunnels zu schießen. Angeblich macht man das wegen der Quantenphysik, und um ein schwarzes Loch zu erzeugen. Das soll ich dann glauben und gut finden. Da ich nicht weiß, wozu ich ein schwarzes Loch brauche, versuche ich seitdem, mir zu diesem Thema Wissen anzueignen. Irgendwie klappt es aber nicht. Ich verstehe einfach von zu vielem zu wenig.
Auch der Mainzer Wissenschaftsmarkt macht mich nicht schlauer. Ich werde mit Wissen überhäuft und glaube, etwas verstanden zu haben. Irgendwo kann man in einem großen Hirn herumlaufen und schlaue Tafeln lesen. Fragen wie „Ist ein moralisches Verhalten angeboren?“ klingen furchtbar schlau. In Wirklichkeit interessiert mich aber das Hirn gar nicht, ich suche den nächsten Brezelstand. Die Mainzer Brezel ist mir nämlich immer noch lieber als ein großes, begehbares Plastikhirn.
Beim Blick in das Programm erfahre ich von einer Wissensveranstaltung, bei der es um die ersten Menschen auf dem Mond geht. Dabei fällt mir ein Buch ein, das ich auch in einer Bücherkiste gefunden habe. Daraus habe ich erfahren, dass niemals Menschen auf dem Mond waren, und dass viele Menschen das glauben oder gar wissen. Die glauben, dass die Apollo-Mission eine Inszenierung war. Deshalb wissen sie, dass die anderen sich irren und quasi fälschlicherweise glauben, dass Menschen auf dem Mond waren. Das ist ziemlich verwirrend mit dem Glauben und dem Wissen. Man kann zum Beispiel Falsches oder Richtiges glauben oder wissen, dann noch Glauben und Wissen verwechseln und schon hat man ein schwarzes Loch im Klo oder Personen statt Menschen. Was soll ich jetzt von dieser Apollo-Inszenierung halten? Wem soll ich glauben und was darf ich dann wissen? Die Veranstaltung über die Mondlandung habe ich verpasst und das dubiose Buch schon längst wieder in so eine öffentliche Bücherkiste gestellt. Schon weiß ich gar nichts mehr.
Auch andere Themen huschen vorbei, zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik. Irgendjemand möchte industriell Embryonen anfertigen. Das klingt eklig und erinnert mich an das schwarze Loch, das ich auch nicht haben will. Wenn ich will, dann kann ich alles darüber wissen, besser gesagt „Wissen erfahren“, aber das macht es irgendwie nicht netter. Mir ist das Thema zu scheußlich und ich finde endlich einen Brezelstand.
Beim Brezelessen studiere ich das Programmheft des Wissensmarktes genauer. Der Van-Allen-Gürtel wird nicht erwähnt, die Mondlandung hab ich verpasst, die Züchtung der neuen Herrenrasse ist erst morgen – über das schwarze Loch könnte ich noch was erfahren. Aber ich weiß gar nicht, ob ich es wissen will. Wissen muss man doch auch irgendwie glauben können, sonst nützt es nichts. Und was nützt es mir zu glauben, dass ich ein schwarzes Loch brauche?
Das ganze Wissen rauscht so an mir vorüber und ich weiß nicht, ob ich alles glauben will – oder ob ich lieber der Brezel vertrauen soll. Vielleicht befindet sich in meinem Bauch ja ein gefährliches schwarzes Loch, und nur die Brezel oder die Evolutionsbiologen können mich davor retten. So habe ich mich heute für die Brezel entschieden. Ich glaube ich weiß, dass ich meinem Bauch vertrauen kann. Das Buch über die Atombombentests im Van-Allen-Gürtel bring ich dann morgen wieder in eine öffentliche Bücherkiste. Ob ich damit wohl Glauben oder Wissen verbreite? Oder beides?

www.texthoelle.de

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