von Ejo Eckerle
Der Mainzer Tourismus-Markt erwacht aus seinem Schlaf. Fünf neue Hotels entstehen im Wettbewerb um Geld und Gäste. Wer in der jüngeren Vergangenheit als Reisender mit dem Zug nach Mainz fuhr und dort aus dem Bahnhof heraustrat, dem bot sich jahrelang ein irritierendes Bild: Er stieß auf ein abgerocktes Ensemble von fantasieloser Zweckarchitektur und Gründerzeitbauten. Besonders das ehemalige Central Hotel Eden machte einen erbärmlichen Eindruck. Zuletzt bot das vergammelte und seit zehn Jahren leer stehende Gebäude eher Obdachlosen und Taubenfamilien Unterkunft. Damit ist es nun vorbei. Die Besitzer, Ali Muktar und Amro Huda Mohamed, ein Ehepaar libyscher Herkunft, haben 5 Mio. Euro in das 1887 erbaute Haus investiert, in dem sich einst eine illustre Gesellschaft aus Hollywood- und 50er-Jahre-Filmprominenz tummelte. Unter dem Pächter und Betreiber „Odyssey Hotel Group“ wird das 58-Zimmer-Haus im Spätsommer als Franchise-Marke „AC by Marriott“ in neuem Glanz erstrahlen. (Bild oben)
Das Marriott Mainz ist damit der vielversprechende Beginn einer Entwicklung, die in den letzten Monaten rasant an Fahrt aufgenommen hat. Der hiesige Hotel- und Tourismusmarkt ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Fünf neue Hotels sind in Mainz in Planung und entstehen bereits. Es könnten noch mehr werden. Das Ziel hat Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte, gestützt durch Marktstudien, vorgegeben: „In den nächsten zehn Jahren benötigen wir zusätzliche 800 Betten und zwar in allen Kategorien.“
„Check in and chill out“
Abrissbagger nagen sich durch die hinterbliebenen Gebäude auf dem ehemaligen Auto-Kraft-Gelände am Binger Schlag direkt hinter dem Bahnhof. Bis Ende 2018 entsteht hier das „Trigon“, eine Mixtur aus Wohnen, Gewerbe und einem neuen Hotel mit 160 Zimmern. Der langfristige Pachtvertrag mit der Lindner Hotels AG sei unter Dach und Fach, verkündet der Ingelheimer Baulöwe Dirk Gemünden, der in unmittelbarer Nachbarschaft schon etliche Wohn- und Geschäftshäuser aus dem Boden gestampft hat. Lindner aus Düsseldorf wird hier unter der Marke „me and all hotel“ ein Haus mit Wellness- und Fitnessbereich sowie einer Lounge im Erdgeschoss betreiben.
Dieses sogenannte „Boutique-Hotel“ für ein eher jüngeres Publikum will die Gruppe unter dem Slogan „Check in and chill out“ in fünf deutschen Städten etablieren. „Wir gestalten mit dem Trigon den Eingangsbereich in die Innenstadt völlig neu“, sagt Martin Dörnemann, Geschäftsführer der stadtnahen Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG). So ganz ungeteilt ist die Freude allerdings nicht, denn die ÖDP meldet Bedenken an: „Die Entwürfe taugen bestenfalls für das Gewerbegebiet, wo sie in ihrer autogerechten Trostlosigkeit nicht weiter auffallen. Eine Attraktion für den Stadteingang sind sie definitiv nicht.“
Start-up Flair hinterm Bahnhof
Quer gegenüber, auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs an der Mombacher Straße, laufen die Bauarbeiten für das neue Quartier M1. Auf dem knapp fünf Hektar großen Gelände entsteht ein Bauensemble, das neben Büro- und Gewerbeflächen auch ein Hotel sowie Wohnungen für Studierende vorsieht. Entwickler des Gesamtprojekts ist das Immobilien-Unternehmen Aurelis Real Estate. Das Hotel wird derzeit von der französischen B&B Economy-Hotelkette errichtet, die bereits ein Hotel in Hechtsheim betreibt: Preiswerte und doch komfortable Übernachtungsmöglichkeiten unter Verzicht auf kostspielige Details werden versprochen. 119 Zimmer sind voraussichtlich bereits zum Ende des Jahres bezugsfertig.
Für die Geschäftsführer der Hotelkette ist die Nähe zum Hauptbahnhof entscheidend: „Wir sehen dies als ein Gebiet mit hohem Entwicklungspotenzial in zentraler Lage“, sagt Franz Peter Handermann, Consultant bei B&B Hotels.
Mainzer Hotelpreise sind „spitze“…
Wer ist eigentlich der durchschnittliche Otto-Normal-Tourist, der Mainz besucht? In der Mehrzahl kommt er aus Deutschland. Ausländische Gäste machen „nur“ rund 28 Prozent aus. Mit 65.000 Besuchern führen die US-Amerikaner die Statistik an, es folgen Gäste aus China (18.000) und aus den Arabischen Golfstaaten (17.000). Eine bedeutende Zielgruppe, Touristen aus den Niederlanden, spielten hingegen lange keine besondere Rolle in der Besucherstatistik. Das fiel auch dem ehemaligen Direktor des Hyatt-Hotels, Otto Steenbeck, selbst Niederländer, auf. Der wies Tourismus-Chef Moderer auf diese Lücke hin. Mit Maßnahmen, wie etwa dem Besuch von Endverbraucher-Messen im Nachbarland und Presse-Reisen für niederländische Journalisten, kam es auch in diesem Segment zu einem Aufschwung.
Auch der Wein-Tourismus wird kräftig angekurbelt. Mainz ist Mitglied im Netzwerk der „Great Wine Capitals“, zusammen mit so illustren Tourismus-Zielen wie Rioja, Kapstadt, San Francisco und Porto. Kürzlich kam das australische Adelaide hinzu. 2015 sorgten bei uns Touristen für rund 889.000 Übernachtungen. Die Kurve in Mainz weist derzeit nach oben – und fügt sich damit in einen weltweiten Trend. Reisen ist ein Wachstumsmarkt, wobei Deutschland als Besonderheit einen überproportionalen Anteil im europäischen Geschäfts- und Kurzreise-Markt aufweist. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Hochschule Worms. Mit Blick auf die aktuelle Lage attestierte sie allerdings auch: „Deutsche Hotelpreise sind in Europa moderat, Mainzer Hotelpreise im Deutschland-Vergleich eher nicht“.
Günstige und dennoch zentrale Übernachtungsmöglichkeiten zwischen 40 und 50 Euro, wie sie etwa das Hotel „Mainzer Hof“ (Innenstadt, Rheinstraße) bietet, sind dagegen rar. Und weiter: „Mainz belegt bei den Hotel-Raten Platz 4 aller deutschen Städte und hat für seine Größe ein hohes Preisniveau.“ Die Wormser Tourismus-Forscher empfehlen daher einen „zielgerichteten Ausbau“ der Kapazitäten.
Mehr Hotels nötig?
Dem kann August Moderer, Hauptverantwortlicher für die Vermarktung der Stadt als Tourismus-Standort, nur zustimmen: „Ich bin mir sicher, mit weiteren Hotels werden wir bald die Eine-Million Grenze bei den Übernachtungen knacken.“ Moderer und Sitte mussten sich vor einem Jahr noch gefallen lassen, dass der Mainzer Hotelier Christian Barth ihnen vorwarf, die Entwicklung bei den Übernachtungszahlen „schön zu rechnen“. Auch sonst hielt sich der Besitzer des „Favorite Parkhotels“ mit Kritik nicht zurück und attestierte der Stadt „Schlafmützigkeit“ in Bezug auf Marketing-Aktivitäten. Demgegenüber stehen auch private Initiativen wie jene der Autorin Stefanie Jung, die mit ihren „Best-of-Mainz“-Touren neue Wege beschreitet. „Stadtführungen fangen für mich da an, wo der klassische Reiseführer aufhört“, betont sie. Ihre Besucher bekommen Plätze gezeigt, die bisher nicht im Angebot einer klassischen Stadtführung standen. Stefanie Jung weiß, wo sich Mainzer Hipster ihren Latte Macchiato schmecken lassen und führt ihre Gäste mitten hinein ins Epizentrum der Gentrifizierung: „Die Neustadt ist ein Quartier mit Potenzial und aktuell im Wandel zu einem beliebten Ort für Kreative und Freischaffende“, lautet hier die magische Formel, mit der die Besucher ins Viertel gelockt werden. Anwohner verschreckt das vermutlich eher, weil sie die einfallenden Touristenmassen fürchten.
Wohin mit dem Schlosshotel?
Das derzeit meist diskutierte Neubauprojekt ist das Schlosshotel, in unmittelbarer Nähe zum Kurfürstlichen Schloss. Hintergrund ist, dass mit der Sanierung des Schlosses das Kongress-Geschäft in dem historischen Gemäuer belebt werden könnte. Auf kommunalpolitischer Ebene wird jedoch um die Frage gerungen: Wo genau soll es denn nun hin? Direkt daneben auf den Parkplatz oder doch vielleicht lieber etwas weiter weg auf den Ernst-Ludwig-Platz?
Die ÖDP bringt sogar das ehemalige Allianzhaus auf der großen Bleiche ins Spiel, um die Grünflächen rund um das Schloss zu erhalten. Aus Sicht der Tourismus-Experten führt am Schlosshotel kein Weg vorbei. Mainzplus Citymarketing- und Tourismus-Chef August Moderer: „Wir sprechen schon seit einigen Jahren mit Investoren, die den Standort absolut top finden, die alle gesagt haben, ob das Hotel jetzt direkt am Schloss steht oder 15 Meter weiter weg, ist letztlich egal.“ Darin ist er sich mit Wirtschaftsdezernent Sitte einig. „Uns ist wichtig, dass wir in unmittelbarer Nähe zum Schloss ein Hotel bekommen, damit die Leute schnell und fußläufig ihre Tagungsräume erreichen können.“
Wie bedeutend eine solche Anbindung ist, macht Moderer am Beispiel der Rheingoldhalle deutlich. Dort wirke sich die direkte Nachbarschaft des Hiltons positiv aus: „Die Rheingoldhalle ist seit 40 Jahren eines der erfolgreichsten Kongresszentren, weil wir mit einem 450-Zimmer-Hotel verbunden sind. Es gibt gerade mal fünf Kongresszentren in Deutschland, die so etwas haben.“ Zudem hält er es für wichtig, dass eine internationale Kette den Betrieb übernimmt. Sitte erinnert an die Diskussion, die es einst um die Ansiedlung des Intercity-Hotels am Bahnhof gegeben habe. Ängste, dass die bereits ansässigen lokalen Hotelbetreiber ins Hintertreffen geraten könnten, standen im Raum. „Das Intercity Hotel hat sehr viele Bahnkunden. Dadurch kamen Übernachtungen zustande, die sonst an uns vorbeigegangen wären, Richtung Frankfurt“.
Die Konkurrenz schläft nicht
Frankfurt hat in den letzten Jahren ihre Übernachtungs-Kapazitäten um 60 Prozent erhöht. Diese Entwicklung bleibt den Verantwortlichen in Mainz nicht verborgen und natürlich auch nicht das, was sich auf der anderen Seite des Rheins in Wiesbaden tut. Dort wird aus dem Aschenputtel Rhein-Main-Hallen ein neuer, schöner großer Schwan. Das bis 2018 entstehende „RheinMain-CongressCenter“ wird sich als gewichtiger Konkurrent für die Rheingoldhallen erweisen. Allerdings steht Wiesbaden auch vor Herausforderungen. Die dortigen Hotelkapazitäten sind unzureichend. Aktuell dominieren Privat- und Boutiquehotels die Hotellandschaft – nur jedes vierte Hotel bietet mehr als 100 Zimmer. Mehr als dreiviertel der Hotelbetriebe sind im mittleren und unteren Qualitätssegment angesiedelt. Wenn unsere Nachbarn nicht auch zulegen, könnte es also in naher Zukunft heißen: Tagen in Wiesbaden, schlafen in Mainz.
Ruhe den Hütten, Lärm den Gästen
Last not least mischt im Wettbewerb um Geld und Gäste auch das derzeit prestigeträchtigste Stadtentwicklungsprojekt mit, der Zollhafen. In diesem luxuriösen Umfeld baut die Münchner Grund GmbH für 45 Mio. Euro ein Budget-Hotel. Immerhin, die benachbarten Besitzer der hochpreisigen Behausungen dürften sich freuen, denn das Projekt sichert ihnen ungestörte Nachtruhe: „Mit dem Verkauf des Baufeldes schließt sich die schützende Mantelbebauung für die geplanten Wohnungen um einen weiteren zentralen Baustein“, verspricht Stadtwerke- und Zollhafen Geschäftsführer Detlev Höhne. Ruhe den Hütten, Lärm den Gästen.
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