von Julia Adrian und Isabel Hayn (Fotos):
Die Kappelhofgasse ist nur unweit vom täglichen Touristen-Trubel und den feiernden Nachtschwärmern mitten in der Altstadt gelegen. Hier, in diesem ruhigen Gässchen, befindet sich in einem unscheinbaren Seiteneingang des angrenzenden Bruder-Konrad-Stifts die Mainzer Babyklappe. Verzweifelte Mütter können hier, in einem durch höchste Sicherheitstechniken ausgestatteten Raum, ihr Baby geschützt in ein kleines Bettchen legen.
Die „Aktion Moses“
Sein Neugeborenes in die Obhut anderer Menschen oder in die des Staates zu geben, scheint für viele unvorstellbar. Jedoch ist dies für einige der letzte Ausweg: Traumatische Erlebnisse, extreme Ängste und Isolation der Mutter sind die häufigsten Gründe für eine anonyme Entbindung und die Abgabe von Neugeborenen, davon sind die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF) überzeugt. Sie beraten und betreuen Hilfesuchende in rechtlichen, bürokratischen und psychologischen Fragen.
Durch den Austritt der katholischen Kirche aus der Schwangerschafts-Konfliktberatung entschied sich die damalige Leiterin Inge Schilling, das Hilfeangebot für notleidende Frauen nicht, wie von der Kirche gewollt, einzustellen, sondern sich jetzt erst recht um die Schwangeren zu kümmern. Viele Initiativen wurden daraufhin ins Leben gerufen. Im Bistum Mainz gründete Bischof Lehmann das „Netzwerk Leben“ und auch der SKF strukturierte seine Angebote neu: Mit der „Aktion Moses“ bietet er seithdem hilfesuchenden Frauen in problematischer oder ungewollter Schwangerschaft gezielte und auch anonyme Hilfe.
Neben dem Angebot eines 24-Stunden-Notruftelefons, gibt es Beratungsgespräche die Vermittlung vertraulicher Entbindungen und bei Bedarf werden die Mütter und Familien bis zum dritten Lebensjahr des Kindes von SKF-Mitarbeiterinnen begleitet. Mit der Babyklappe finden Frauen, die ihr Baby nicht behalten können oder wollen, einen letzten Ausweg. Geeignete Räumlichkeiten konnten im Altenheim Bruder- Konrad-Stift gefunden werden.
Nach notwendigen Umbaumaßnahmen fand im November 2002 die offizielle Eröffnung der Babyklappe in den Räumen des Heimes statt. Jedoch schreckte ein tragischer Vorfall damals die Öffentlichkeit auf und verschärfte die Aufmerksamkeit. Nur zwei Tage vor der Eröffnung wurde in der Neustadt ein totes Baby in einer Plastiktüte gefunden. Auch wenn man nie herausfinden wird, ob das Neugeborene in der Babyklappe abgegeben worden wäre, verdeutlichte dies die Notwendigkeit der „Aktion Moses“.
„Wir geben neue Hoffnung für ein glückliches Leben“
Eine der Frauen, die sich seit der Eröffnung um die Erstaufnahme der Babys kümmert, ist Schwester Devota. Eine fröhliche, offenherzige Frau, die gerne zeigt, dass es den Stereotyp Nonne nicht gibt: „Eigentlich hatte ich nie vor, Nonne zu werden, sondern ich wollte Kunstgeschichte studieren oder Architektur.“ Doch nach einem Praktikum im Altenheim entschied sie sich für das Noviziat und trat dem Marienorden bei. „Wenn‘s dir nicht gefällt, hörste halt wieder auf, hab ich mir gedacht. Und jetzt mach ich das schon seit 26 Jahren.“
Ihre Position als Leiterin des Altenheims und Hauptverantwortliche für die Babyklappe erfüllt sie heute in allen Belangen. „Wir geben Hoffnung – für altes und für neues Leben. Hier dürfen wir Menschen auf ihrer letzten Reise begleiten. Hier geben wir aber auch ungewolltem Leben eine neue Chance.“ So hat sie ihr eigenes Leben in den Dienst einer höheren, übergreifenden Idee gestellt und sich bewusst dafür entschieden, ihre Kraft für andere Menschen einzusetzen.
In dem Raum der Babyklappe haben der SKF und Schwester Devota Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen bereitgelegt. Denn die abgebende Mutter soll wissen, dass sie ihre Entscheidung rückgängig machen und jederzeit die Hilfe des SKF in Anspruch nehmen kann. Durch ein umfassendes Sicherungssystem erhalten die Schwestern dann ein Signal, sobald der Raum von außen betreten und ein Kind abgelegt wird. Wenn die abgebende Person den Raum verlässt, verschließt sich die Eingangstür, so dass das Kind vor weiterem Zugriff geschützt ist. Schwester Devota und ihre Mitschwestern kümmern sich dann um den Säugling. Er kommt zur Erstuntersuchung ins Krankenhaus. Gleichzeitig werden der SKF und das Jugendamt informiert, denn letzteres ist für das weitere Verfahren zuständig.
Gesetz auf Probe
Bis 2014 waren die Hilfen für Schwangere mit Anonymitätswunsch gesetzlich nicht geregelt und ohne verbindliche Standards. Infolgedessen wurde ein vorläufiges Gesetz zur so genannten vertraulichen Geburt festgelegt. Dieses ermöglicht es der Mutter, ihre Anonymität zu wahren, und dem Kind, dem eventuellen Bedürfnis nachzukommen, seine Herkunft zu erfahren. Früher konnten Frauen also unter einem Pseudonym im Krankenhaus entbinden und waren durch das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung rechtlich geschützt.
Durch das neue, seit 2014 geltende Gesetz der vertraulichen Geburt, müssen werdende Mütter nun einen Umschlag mit Angaben zu ihrer Person beim zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) hinterlegen. So kann das Kind ab dem Alter von 16 Jahren herausfinden, wer seine leibliche Mutter ist. Bis 2017 wird noch überprüft, wie das Angebot der vertraulichen Geburt angenommen wird und wie sich die Gesetzesänderung auf die Nutzung der Babyklappen auswirkt.
Die Ergebnisse werden zum 1. Mai 2017 in einem Bericht der Bundesregierung vorgelegt. Bis dahin bleibt die rechtliche Grundlage der Babyklappen unklar. „Wir wünschen uns für die Zukunft eine gesetzliche Regelung für die Babyklappen, damit auch dieses Hilfeangebot aus der gesetzlichen Grauzone herauskommt. Wir hoffen auf verbindliche Qualitätsstandards, die bundesweit gelten und Schutz für die abgebende Mutter und ihr Kind ermöglichen“, sagt Sozialpädagogin Waltraud Meuser vom SKF.
Womöglich wird diese Regelung zur vertraulichen Geburt nicht allen Problemlagen schwangerer Frauen gerecht. Dennoch ist sie ein wichtiger Baustein in einem umfassenden Konzept von Beratung und Hilfen, das der SKF Mainz im Rahmen der Schwangerenberatung entwickelt hat. Sieben Kinder wurden seit der Eröffnung 2002 bei den Schwestern im Bruder-Konrad-Stift abgegeben, also ein Baby in zwei Jahren. „Für diese Kinder hat sich unsere Einrichtung bereits gelohnt“ sagt Schwester Devota. „Wir konnten ihnen neue Hoffnung auf ein glückliches Leben schenken.“