Text Ruth Preywisch
Illustrationen Hendrik Schneider
Jobmotor, Magnet für Unternehmensansiedlungen, unverzichtbarer Standortvorteil für die Region: Das alles ist der Frankfurter Flughafen aus Sicht seiner Betreiber. Vor Kurzem wurde der Bau des Terminal 3 genehmigt. Einer Zunahme der Flüge um rund ein Drittel steht damit theoretisch nichts mehr im Wege. Doch viele Bewohner der Rhein-Main-Region sehen im Flughafen vor allem eine Quelle ständigen Lärms, Bedrohung der Gesundheit und eines guten Lebensgefühls. Bringt denn der Flughafen wenigstens wirtschaftlich, was versprochen wurde? Ein Blick auf die Prognosen der Fraport AG.
Prognose 1: Der Flugverkehr wird zunehmen
700 Tsd. Starts und Landungen (Flugbewegungen) und die Abfertigung von 88 Mio. Passagieren soll der Frankfurter Flughafen im Jahr 2020 bewältigen, prognostizierte die Fraport AG 2007. Dafür bräuchte man ein neues Terminal 3, denn die bisherigen beiden Terminals und die neue Landebahn Nordwest sind nur bis maximal 68 Mio. Passagiere ausgelegt. 2007 gab es am Himmel über dem Rhein-Main-Gebiet 492 Tsd. Flugbewegungen mit einem Passagieraufkommen von 54 Mio. Menschen und man glaubte die Zahlen würden weiter stetig steigen. Doch die Fraport täuschte sich. Vor der Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest und des umgebauten Terminals stagnierte die Zahl der Flugbewegungen und Passagiere: 2010 waren es nur noch 456 Tsd. Flüge und 53 Mio. Reisende und bis zum letzten Jahr haben sich die Zahlen nur leicht erhöht auf 472 Tsd. und 58 Mio. „Das im Gutachten der Fraport angenommene Wachstum war unrealistisch“, sagt Lars Devian von der Initiative gegen Fluglärm Mainz. Mit dem Flughafen Istanbul hat sich in den vergangenen Jahren ein günstigeres Drehkreuz etabliert, demdie Fluglinien der Golfstaaten und Turkish Airlines den Vorzug gegenüber Frankfurt geben. Damit hat die Zahl der Interkontinentalflüge über Frankfurt abgenommen. Außerdem ist das Angebot von Direktflügen gestiegen, die nicht mehr über Frankfurt laufen. „Damit haben die in Frankfurt einfach nicht gerechnet“, sagt Devian. Zudem sind die Flieger größer geworden und ihre Auslastung ist besser. Mit einem Flug können heute weit mehr Passagiere befördert. Somit bedeuten höhere Passagierzahlen nicht gleich mehr Flugbewegungen. Fraport hält trotzdem an einem neuen Terminal 3 fest: „Neue, externe Gutachten bestätigen unabhängig voneinander, dass der Flughafen bis 2020 mindestens 66 Millionen Passagiere pro Jahr zählen wird“. Die Prognosen entsprechen der Annahme eines 2 bis 3-prozentigen jährlichen Wachstums. So kommt die Fraport immer näher an ihre momentane Kapazitätsgrenze und das macht sich bereits in Engpässen bemerkbar.
Fazit:
Die Prognose von 2007 ist hinfällig. Denn die Zahl der Flugbewegungen ging in den letzten Jahren zurück bzw. stagnierte. Die Zahl der Passagiere steigt zwar weiterhin an, aber bei weitem nicht so schnell wie behauptet. Die momentanen Starts und Landungen hätten auch ohne den Ausbau der Landebahn Nordwest stattfinden können, sagen die Gegner – allerdings wäre es dadurch laut Fraport zu wesentlich längeren Wartezeiten und Engpässen gekommen. Mit der Landebahn Nordwest bestehen zwar auch ohne das Terminal 3 noch ein paar Kapazitäten für weitere Flüge – bei spätestens 68 Mio. Passagieren wäre allerdings Schluss, selbst bei 64 Mio. kommt es schon zu Problemen und die sind bald erreicht.
Prognose 2: Der Flughafen als Magnet für Unternehmensansiedlungen
„Stark exportorientierte Unternehmen und die Deutschland bzw. Europa-Niederlassungen großer ausländischer oder multinationaler Unternehmen haben sich überproportional häufig im Umfeld des Flughafens angesiedelt“, so steht es auf der Homepage der Fraport. Und man spart auch nicht mit Beispielen: Zahlreiche Kreditinstitute, die EZB, Pharmazie und Chemie sind auf dem Gelände der ehemaligen Hoechst AG angesiedelt, auch koreanische Automobilfirmen, Samsung, KPMG usw. Die Sache ist jedoch: Die Banken waren schon da, als es noch gar keinen Flughafen gab. Sanofi-Aventis, der heutige Eigentümer der ehemaligen Hoechst AG, hat seit dem Flughafenausbau fast 15.000 Stellen abgebaut. Und eines der größten Investitionsprojekte im Industriepark Hoechst der letzten Jahre, das Ticona-Werk, musste wegen des Flughafenausbaus in den Industriepark umziehen. Auch die Automobilunternehmen waren schon vor dem Ausbau in der Region angesiedelt. Und die KPMG, die ihre Zentrale an den Flughafen verlegt hat? Sie hatte bereits vorher einen Sitz in Frankfurt.
Fazit:
Ohne Zweifel ist der Flughafen ein Standortvorteil für Unternehmen. Gerade für solche, die auf Güterverkehr angewiesen sind. Doch das war er schon, bevor er ausgebaut wurde und bisher hat sich wegen des Ausbaus kein neues großes, internationales Unternehmen in Frankfurt niedergelassen. Prognose 2: Der Flughafen als Magnet für Unternehmensansiedlungen „Stark export-orientierte Unternehmen und die Deutschlandbzw. Europa-Niederlassungen großer ausländischer oder multinationaler Unternehmen haben sich überproportional häufig im Umfeld des Flughafens angesiedelt“, so steht es auf der Homepage der Fraport. Und man spart auch nicht mit Beispielen: Zahlreiche
Prognose 3: Der Flughafen als Jobmotor der Region 250.000 neue Arbeitsplätze.
Mit dieser Zahl ging die Fraport ins Rennen, als die Mediation zum Flughafen-Ausbau begann. Im Verfahren selbst korrigierte das Unternehmen die Zahl dann immer weiter nach unten: erst auf 100.000, dann auf 40.000. Kurz vor der Eröffnung der Landebahn Nordwest 2011 war die Rede von 25.000 neuen Arbeitsplätzen, die durch den Ausbau geschaffen werden. In der Realität wurde diese Zahl bis heute nicht erreicht. Die Fraport gibt an, dass seit 2010 rund 7.000 Arbeitsplätze am Flughafen dazu gekommen sind. Dazu zählen jedoch auch 4.000 bei Unternehmen, die bereits vorher im Rhein-Main- Gebiet angesiedelt waren und nur den Standort gewechselt haben sowie weitere Unternehmen, die im angeschlossenen Gewerbegebiet angesiedelt und vor 2010 nicht in die Zählungen eingeflossen sind. Die Flughafengegner schenken den Angaben von Fraport deshalb keinen Glauben und gehen davon aus, dass maximal 1.000 Arbeitsplätze durch den Ausbau entstanden sind. „Wahrscheinlich sogar gar keiner“, sagt Lars Devian. Genau überprüfen lässt sich das nicht, denn am Flughafen sind über 500 Firmen angesiedelt, die insgesamt rund 78.000 Menschen beschäftigen. Eine ziemlich große Zahl, könnte man meinen. Doch im Rhein-Main-Gebiet leben insgesamt 6 Mio. Menschen und es gibt 2,9 Millionen Arbeitsplätze. Davon entfallen 2,7 Prozent auf den Flughafen. „Das ist nicht ganz wenig“, sagt Devian, „aber Wohl und Wehe der Region hängt davon nicht ab.“ Fraport Pressesprecher Dieter Hulick beurteilt das anders: „Der Flughafen ist die größte Arbeitsstätte Deutschlands“ und die Gewerkschaft Verdi stimmt ihm zu. Allerdings hätten die Unternehmen keineswegs alle direkt mit dem Flugbetrieb zu tun. „Deutlich mehr als die Hälfte hängt damit nur mittelbar zusammen“, sagt Gewerkschafter Sebastian Marten. Ein großer Anteil der Arbeitsplätze ist im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Speditionsgeschäft angesiedelt, denn der Flughafen ist Shopping-Mall, Gastronomie und Gewerbegebiet in einem. Neben den zwei großen Arbeitgebern Fraport und Lufthansa gibt es unzählige kleine Dienstleister, Tochterfirmen und Subunternehmer. Und da ist es wie überall: Die großen Unternehmen sparen Geld durch die Auslagerung und Fremdvergabe von ganzen Arbeitsgebieten. „Bei den großen Firmen ist alles in Ordnung“, sagt Gewerkschafter Marten. Rund 50 Prozent aller Arbeitnehmer am Flughafen sind dort beschäftigt und arbeiten zu guten Bedingungen. Ein Mitarbeiter aus dem Sicherheitsbereich am Flughafen bestätigt das: „Wer bei Fraport oder der Lufthansa ist, hat es geschafft.“ Doch bei deren Töchterfirmen sieht es schlechter aus. Gerade hat Verdi eine Lohnerhöhung von 25 Prozent im Sicherheitsbereich durchgesetzt. „Das klingt viel, aber wenn man sieht, wie wenig da verdient wurde, relativiert sich das“, sagt Marten. Die Löhne kämen erst jetzt dem entgegen, was man im Rhein-Main-Gebiet zum Leben braucht. Unterhalb der großen Unternehmen und ihren Tochterfirmen sieht es am Flughafen noch düster aus. „An den Rändern ist alles total verästelt“, so Marten. Viele der Arbeitskräfte am Flughafen sind ungelernte Hilfsarbeiter, die zum Teil keine tarifliche Absicherung haben und zu Niedriglöhnen arbeiten – einige davon nicht sozialversichert und in Teilzeitjobs. „Wir versuchen, so viele wie möglich tariflich abzusichern, aber durch die Fremdvergabe kommen wir gar nicht hinterher. Man muss immer gucken, wer wo drin steckt“, beschreibt er die detektivische Seite seines Jobs.
Fazit:
Wie viele neue Arbeitsplätze durch den Ausbau bisher entstanden sind, lässt sich nicht genau sagen. Es könnten 3.000 sein oder keiner. Sicher ist, dass es keine 25.000 sind. Der Flughafen ist für den Arbeitsmarkt der Region nicht unbedeutend, 2,7 Prozent der Arbeitnehmer im Rhein-Main-Gebiet sind dort angestellt. Ein Löwenanteil ist das aber nicht. Zudem sind viele Arbeitsplätze schlecht bezahlt und nicht genug sozial abgesichert.
Prognose 4: Die Belastungen für Mensch und Umwelt halten sich in Grenzen
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier versprach in seiner Regierungserklärung vom Februar dieses Jahres, „die mit dem Betrieb des Flughafens einhergehenden Belastungen für Mensch und Umwelt in einem höchstmöglichen Maß wirksam zu verringern.“ Ein Hohn in den Ohren vieler lärmgeplagter Bürger des Rhein-Main-Gebiets. „Selbst das Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr mussten wir vor Gericht erstreiten“, erklärt Devian. Seit der Eröffnung der Landebahn Nordwest und den damit zusammenhängenden Änderungen der Flugrouten, bleibt kaum ein Fleck in der Region von Lärm verschont. Und der stört nicht nur den Schlaf von Eigenheim-Besitzern. „Wir müssen Referate unterbrechen, wenn ein Flugzeug kommt, weil wir uns nicht mehr verstehen“, erzählt Emil Buxman, Schüler an der IGS Bretzenheim. Und das mehrfach pro Schultag. Da nützen in den Augen der Fluglärmgegner auch die neuen Lärmpausen-Konzepte nichts. „Die Landebahnen liegen zu nah beieinander, als dass es etwas bringen könnte, wenn abends und morgens nur eine beflogen wird“, sagt Devian. Zumal dann ja der Lärm unter den jeweiligen Flugrouten um ein Vielfaches zunimmt. Die Fraport AG meint allerdings, sich beim Thema Lärmschutz nicht verstecken zu müssen. „Wir sind Vorreiter, was Lärmschutz angeht“, sagt Unternehmens-Sprecher Hulitz: In den vergangenen Jahren seien am Flughafen 200 Mio. Euro in den passiven Schallschutz und noch einmal 100 Mio. Euro in ein Immobilien- Kaufprogramm investiert worden. Fraport rechnet sogar noch 300 Mio. aus einem Regionalfonds dazu – der jedoch vorwiegend aus staatlichen Geldern besteht und somit vom Steuerzahler finanziert wird. Doch auch mit einem Schall- und Lärmschutzkonzept können Flugzeuge bisher nicht geräuschlos fliegen. Eine weitere Steigerung der Flugbewegungen sehen deshalb in Mainz viele Bürger kritisch. „700.000 Flüge verträgt die Region nicht, das ist zu laut“, sagt die Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder.
Fazit:
Die Lärmbelastung hat sich nach Inbetriebnahme der neuen Landebahn weit über die Region verteilt und mit mehr Flügen wird sie steigen. Eine Ausweitung des Nachtflugverbots ist nicht in Sicht. Die Lärmpausen verlagern das Problem, lösen es aber nicht. Weitere Maßnahmen zum Lärmschutz sind in Planung. Ob sie wirkliche Entlastung bringen, wird sich zeigen.
Prognose 5: Mit dem Terminal 3 wird alles besser
Ohne ein drittes Terminal könne die Fraport ihre Ziele und die Nachfrage der Reisenden nicht umsetzen. „Bereits heute stoßen wir in Spitzenzeiten an die Kapazitätsgrenzen“, sagt Sprecher Hulitz. Am Bau von Terminal 3 führe deshalb kein Weg vorbei. Die Abfertigung von mehr Passagieren ist für die Fraport AG unerlässlich. Das Unternehmen verdient einen Großteil seines Geldes durch Vermietung von Verkaufsflächen in den Terminals. Nur wenn Passagiere ihr Geld am Flughafen ausgeben, kann es seine unternehmerischen Ziele erreichen. Dafür hat sogar Fluglärmgegner Devian Verständnis: „Das ist ein börsennotiertes Unternehmen, die setzen auf Wachstum.“ Auch das Land Hessen und die Stadt Frankfurt halten an den Prognosen und am Ausbau fest. Als größte Anteilseigner der Fraport haben sie auch kein Interesse an Verlusten. Das hält Devian für die eigentliche Schweinerei: „Da fragt die Tochter und die Mutter erlaubt es.“
Fazit:
Der Flughafen ist ein klarer Standortvorteil. Sein Ausbau hat jedoch nicht die magnetischen Wirkungen auf neue Unternehmens- Ansiedlungen. Auch als herausragender Jobmotor hat er sich bis jetzt nur bedingt erwiesen. Bei den Flügen liegt er hinter den Prognosen zurück und ist dort nicht komplett ausgelastet, bei der Zahl der Reisenden jedoch hart an der Grenze. „Zusammengenommen ist das ein Indikator dafür, dass das Terminal 3 nicht gebraucht wird“, sagt Katrin Eder. Um das zu klären, hat die hessische Landesregierung eine weitere Bedarfsanalyse angefordert. Die wird es auch geben. Angefertigt von der Fraport …