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Dr. Treznok und seine Strom-Theorie


Der Rhein ist kein Fluss, sondern ein Strom. Ein Fluss ist ja ganz nett, weil er so vor sich hin fließt, aber ein Strom ist etwas ganz anderes, kraftvoll und voller Energie. Dies ist vielleicht ein Grund, warum Mainz um so vieles fortschrittlicher ist als zurückgebliebene Provinzstädte wie beispielsweise München oder Berlin, die nicht an einen solchen Strom angeschlossen sind.

Hamburg wäre beinahe konkurrenzfähig zu Mainz, denn die Elbe ist auch ein Strom, aber doch ein wesentlich schwächerer als der Rhein, der im Vergleich zur Elbe geradezu Starkstrom ist. Deshalb sollte sich der Städte-Wettbewerb, den sowohl die Vertreter eines neuen Kaufdichtot-Zentrums in der Mainzer Innenstadt als auch der reich bezuschusste Mainz City Management e.V. wünschen, nicht so sehr auf das Rhein-Main-Gebiet konzentrieren – der Main ist nämlich nur ein Fluss. Vielmehr sollte man auf andere an den Strom angeschlossene Städte schauen. Basel liegt auch am Rhein und ist ein weltweit bedeutendes Zentrum der Chemie- und Pharmaindustrie. Oder nehmen wir Krefeld, ebenfalls am Rhein gelegen, das immerhin Joseph Beuys hervorgebracht hat. Köln gilt als die Schwulenmetropole Deutschlands und Nijmegen als die älteste Stadt der Niederlande. Das alles sind vielleicht Auswirkungen der besonderen Energie, die von einem Strom wie dem Rhein ausgeht.

Ich gebe zu, meine Strom-Theorie ist etwas dürftig, ich verstehe noch nicht einmal den Unterschied zwischen Gleichstrom und Wechselstrom. Den hat übrigens Nikola Tesla erfunden, und der stammt aus einer Gegend in Kroatien, wo es nur Flüsse gibt und keinen Strom. Das spricht zumindest dafür, dass ein Fluss genügt, um zündende Ideen auszulösen, vielleicht sogar ein Bach. Außerdem ist es auch nicht immer gut, an den Strom angeschlossen zu sein, noch dazu an Starkstrom. Schnell brennen da ein paar Sicherungen durch, und die Handkäs-Mafia gerät wieder außer Kontrolle. Trotzdem gefällt es mir, an einem Strom zu leben, der so unterschiedliche Gegenden wie das Fürstentum Liechtenstein und den größten Hafen Europas in Rotterdam miteinander verbindet. Um zum Meer zu gelangen muss man sich nur treiben lassen, um sein Schwarzgeld in Sicherheit zu bringen fährt man mit dem Schiff flussaufwärts, zwischendurch kann man noch das Beuys-Museum besuchen und einen Abstecher bei der Pharmaindustrie machen – in bezug auf meine Strom-Theorie ist das zwar alles unwichtig, spricht aber doch sehr für den Rhein und seine Möglichkeiten.

Dennoch scheint Mainz manchmal etwas unberührt von den großen Strömungen der Zeit. Das Schwarzgeld spielt woanders Zinsen ein, als Schwulenmetropole taugt Mainz trotz neuem Oberbürgermeister nicht so richtig, und das Meer ist weit weg. Selbst die großen Drogengeschäfte biegen kurz vor Mainz in den Main ein, so dass man als Mainzer zwar von allem etwas ahnt, aber nicht wirklich etwas abbekommt. So ist es ganz verständlich, dass Design-Studenten nach Wiesbaden und Junkies nach Frankfurt auswandern. Dabei könnte man innovative Marketing-Stategien ausarbeiten, um im Städte-Wettbewerb ein paar Punkte gutzumachen. Die Geschichten um die bereits erwähnte Handkäs-Mafia könnte man an in Mainz beheimatete Fernsehsender verkaufen und mit einer witzigen Fernsehserie im gesamten deutschsprachigen Raum Sympathien erwerben. Oder Michael Ebling ernennt die Brezel zum Symbol kritischer Bio-Ethik, entlarvt die Fachanwälte für Gen-Patente in Wiesbaden als Gauner und erhält dafür den Friedensnobelpreis. Und mit einer Kriminalisierung von Weck, Worscht und Woi durch das Betäubungsmittelgesetz könnte man, zumindest vorübergehend, einige Junkies aus Frankfurt anlocken, die ja auch immer für viel Umsatz sorgen.

Vielleicht ist es aber auch gut, dass solche Ideen nicht umgesetzt werden. Irgendwie ist es ja ganz schön, dass ich in einer eher beschaulich wirkenden Stadt lebe, in der ich von großen Aufregungen weitgehend verschont bleibe. Die Ultra-Szene der Null-Fünfer zeigt noch Spaß und Witz, während man woanders längst gewalttätig wird, das Open-Ohr-Festival ist nach wie vor politisch motiviert, während man woanders nur noch Party bis zum Umfallen und Kommerz kennt. Und die Möglichkeit, mal eben zur Schwulenparty nach Köln zu schwimmen oder mit meinem Kolumnen-Honorar nach Liechtenstein zu rudern, ist zwar beruhigend, aber dann ist der Aufwand doch zu groß und das Kolumnen-Honorar zu niedrig, so dass ich lieber hier bleibe. Wobei natürlich die Betulichkeit und das politische Komödienstadel auch eine gute Tarnung sein können, um über echte Skandale hinwegzutäuschen. Wer weiß schon wirklich, ob an den Fakultäten der Mainzer Uni nicht globale Schweinereien ausgeheckt werden oder das ZDF letztlich der Gehirnwäschekanal Nummer eins ist? Das wäre dann vielleicht die Folge des Starkstroms, an den Mainz angeschlossen ist, um noch einmal auf meine Strom-Theorie zurückzukommen. Wäre Nikola Tesla in Mombach statt in einem kroatischen Dorf zur Welt gekommen, dann wäre der Rhein heute vielleicht ein Wechselstrom. Was das für Folgen haben könnte, von Rotterdam bis Liechtenstein, das möchte ich mir gar nicht erst vorstellen.

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