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Die Tanzbeine stehen still: Wie es um die Mainzer Clubs steht

Norbert Schön vom Kulturclub schon schön (Foto: Rodney Fuchs)

Getanzt wird schon lange nicht mehr. Seit dem Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland machten die Clubs bundesweit dicht. Während das Partyvolk zuhause sitzt und auf die Wiedereröffnung wartet, plagen die Betreiber große Sorgen: fehlende Unterstützung, finanzielle Löcher und (kreative) Zwangspausen. Notgedrungen bangen die Chefs des Nachtlebens um ihre Existenz.

Kulturclub schon schön
Das „schon schön“ wird vermisst. Die treuen Clubgänger greifen in den eigenen Geldbeutel, um auch nach der Pandemie wieder in der großen Bleiche tanzen zu können. Knapp 27.000 Euro Spenden kamen in den letzten Monaten zusammen. „Das hat nicht nur finanziell, sondern auch emotional geholfen“, sagt Inhaber Norbert Schön. Das Trio, bestehend aus der Tapasbar „3sein“, dem „schon schön“ und dem Café Blumen, hält zusammen. Der erfolgreiche Sommerverkauf der Geschwisterbetriebe konnte fehlende Einnahmen des geschlossenen Clubs einigermaßen decken. Der Zusammenschluss der Betriebe ist Fluch und Segen zugleich: 40 Mitarbeiter sind unter Schöns Leitung festangestellt. Corona-Hilfen wurden im ersten Lockdown an Betriebe mit weniger als 30 Angestellten ausgezahlt. Damit das „schon schön“ eines Tages wieder seine Türen öffnet, nimmt der Betreiber einen Kredit auf. Unterstützend kommt eine Überbrückungshilfe von 17 Tausend Euro und 1.200 Euro von dem Land Rheinland-Pfalz hinzu. Denn: „Der Winter wird hart“, prophezeit Norbert Schön. „Obwohl wir die Branche sind, die die meisten Auflagen umsetzt, bekommen wir den schwarzen Peter zugeschoben.“ Die Türen sind nun bereits seit Anfang März geschlossen. Das Clubpersonal, aufstrebende Bands, DJs und andere Künstler, denen das „schon schön“ sonst eine Bühne geboten hat, sind in eine einjährige Zwangspause entlassen. Neben dem Geld gehen auch die alltäglichen Beschäftigungen und der kreative Austausch mit „seines Gleichen“ verloren. Norbert Schön legt alles daran, damit es nach der Pandemie „normal“ weitergeht: „Das Nachtleben liegt mir am Herzen, ich brenne dafür!“

Die Dorett Bar mit Quarantäne-Live-Streaming

Dorett Bar
„Die zweite Welle haben wir nicht so früh und hart erwartet“, gesteht Barchef Nak von der Dorett Bar in der Zanggasse. Seit dem Ausbruch der Pandemie im März ist die Kultbar geschlossen. Für die zwei Festangestellten wurde Kurzarbeit angemeldet. Die 15 Aushilfen konnten in den letzten sechs Monaten keine Schicht antreten. Ein kleiner Lichtblick im Sommer: der Dorett-Biergarten im Baron auf dem Uni-Campus. Die DJs aus der Bar legten dort ihre Platten auf, während die treuen Bargänger für ein paar Stunden in bekannter Runde „feiern“ konnten. „Wie ein Klassentreffen“, beschreibt Nak das Zusammentreffen. Alternativprogramm bietet die Dorett auf Facebook mit online DJ-Sets und gestreamten Lesungen. Über einen „gofundme“-Link kann das Publikum die Bar unterstützen – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch Nak bleibt optimistisch. „Wir hoffen, dass wir bald alle wieder gemeinsam feiern können.“ Damit sich bis dahin niemand über Langeweile beklagen muss, feierten Nak und Caja per Livestream mit Gästen: Für das Projekt „Inside Dorett“ begab sich die Bar-WG für 10 Tage freiwillig in Quarantäne – in der Bar. Ende November wurden Musik, Gespräche und Vortragee auf Facebook und Twitch geteilt. Schreit nach einer Wiederholung?

Caveau-Inhaber Wieland Wittweiler weiß nicht weiter (Foto: Lukas Görlach)

Caveau
Wieland Wittmeier hat den Glauben in die Politik verloren. Die Pforten des Caveaus sind seit dem 8. März geschlossen. Auf Facebook schreibt sich der Clubbetreiber den Frust von der Seele: leere Versprechen der Politiker und fehlende Unterstützung für die Clubszene. Nichts tun ist aber keine Option. Wittmeier ruft alle Kulturgenießer auf, den verantwortlichen Politikern Mails zu schreiben, in denen die Auswirkungen fehlender Kultur thematisiert werden. „Irgendwann können sie uns nicht mehr ignorieren“, ist die Hoffnung hinter dem Aufruf. Mit einem monatlichen Minus von 6.000 Euro kann Wieland seinen Rockerclub noch bis Februar 2021 am Leben halten, was danach kommt, weiß er nicht. „Der Mensch braucht Kultur“ – und die versucht das Caveau aktuell wenigstens per Livestreams weiterzutragen. Ein Abonnement kostet 2,50 Euro im Monat. Eine weitere Einnahmequelle ist der Verkauf von Merch. Zusammen sind das 1/6 des üblichen Umsatzes. Unter dem Motto „redet mit uns, nicht über uns“, schreibt Wittmeier Corona-konforme Clubkonzepte. Mit den verantwortlichen Ämtern und Politikern steht der Clubbetreiber in Kontakt und informiert sich nach Möglichkeiten den Club wiederzueröffnen. Doch Antworten bleiben aus. Die nächsten Monate entscheiden über das weitere Bestehen des Mainzer Rockclubs.

Sweaty vom ATG

Alexander The Great
Das Tanzverbot könnte die Clubszene in Mainz retten. Was erstmal kontrovers klingt, ist für Michael Vogt, besser bekannt als Sweaty, die beste Lösung. Zum Hintergrund: Während den sogenannten „stillen Feiertagen“ herrscht in ganz Rheinland- Pfalz Tanzverbot. Damit die Clubs an diesem Tag nicht auf das übliche Geschäft verzichten müssen, trafen die Betreiber und die Politik einen Kompromiss: Mit bestuhlter Tanzfläche darf geöffnet werden. Sweaty schlug Oberbürgermeister Michael Ebling dieses Konzept vor, als Übergangslösung für die Clubs während der Pandemie. Anfang Oktober gibt dieser grünes Licht: Mehrere Mainzer Clubs dürfen unter Bedingung des Tanzverbots und Corona- Konzepten gastronomisch wieder öffnen. Doch der zweite Lockdown kommt den neuen Plänen sofort in die Quere. Der harte Kern das ATG rief zudem eine Patenschafts-Aktion ins Leben: Die 9.000 Euro monatliche Fixkosten des Metallclubs sollen über Patenschaften abgewickelt werden. Innerhalb eines Monats kommen über 500 Freunde und Unterstützer zusammen, die so die Miete, Notgehälter der Angestellten und Versicherungen bezahlen. „Ich finde keine Worte“, kommentiert Sweaty in einem Videoupdate die Hilfsbereitschaft der Spender. Mittlerweile haben Clubs in Hamburg und Kaiserslautern die Idee der Patenschaftsaktion übernommen. Das ATG bleibt damit vorerst bestehen, dank der treuen Fans.

Roof 175
Nachdem der Club im Oktober 2018 neu eröffnete, fühlt sich die Zwangsschließung im März 2020 an, „wie ein Schlag ins Gesicht“, erzählt der Marketingleiter Anthony DeGuzman. Alternativen sind jedoch schnell gefunden. Als einer der ersten Clubs in Deutschland streamt das „Roof 175“ bereits am ersten Lockdown-Wochenende live mit einer Handvoll DJs auf Facebook. In Zusammenarbeit mit der Plattform „United We Stream“ ist der Club in Mainz-Mombach ein Teil des virtuellen Musikkollektivs aus Berlin. Auch Herzensangelegenheiten finden in Zeiten der Pandemie noch ihren Platz. Mit mehreren Nonprofit- Events, wie Modenschauen junger Designer oder Flohmärkten, erhält die Mainzer Kulturszene im Roof ihren Platz. Mit der finanziellen Unterstützung vom Staat und einem kleinen eingerichteten Spendenkonto der Gäste hält der Technoclub vorerst durch. Das Personal, die Stammkünstler und Veranstalter, die in dem Club beheimatet waren, zehren jedoch an ihren Reserven.

Die Macher von Gutleut und Postlager im Warte-Modus

Gutleut und Altes Postlager
Die Größe des Alten Postlagers bringt in Zeiten des Abstandhaltens seine Vorteile mit sich. Diese erkannten nicht nur seine Inhaber, sondern auch weiter Kulturbetriebe in Mainz. Theaterstücke des Unterhauses und des Staatstheaters mussten ihre Aufführungen, dank der Umlagerung in das Alte Postlager, nicht absagen. Partei-Events, Hochschulvorträge und der „Vino Kilo“ Flohmarkt profitierten ebenfalls von der Location hinter dem Bahnhof. Das „Gutleut“ hingegen, das von dem gleichen Trio geleitet wird, leidet unter seinem begrenzten Platz. „Die Bar lebte von vielen Leuten auf engem Raum“, sagt Victor Bergmann, einer der drei Geschäftsführer. Unter Corona-Bedingungen kommt die Bar am Ende des Monats bei plus minus null raus. Die Einschränkungen für die Räumlichkeiten müssen akzeptiert werden. Die Kreativität in den Köpfen der Betreiber hingegen kennt weniger Grenzen. Mit dem Projekt „Letters Radio“ geben Bergmann und Kollege Tilman unbekannte DJs aus der Umgebung eine Plattform. Alle zwei Wochen animieren neue und altbekannte Gesichter im Facebook-Livestream zum Tanzen. Geld bringt das nicht ein, dafür neue Talente an die Oberfläche der Mainzer Musikszene. Mit den staatlichen Corona-Hilfen und einem loyalen Vermieter kommt das Alte Postlager und das Gutleut über die Runden. „Sobald es wieder möglich ist, geht es hier wieder richtig rund“, gibt Bergmann einen Ausblick in die ungewisse Zukunft. Die Mainzer Clubs kämpfen sich auf unterschiedliche Art und Weise durch die harten Zeiten. Dank der Unterstützung der Gäste, dem Staat und rücksichtsvollen Vermieter, ist der Hoffnungs-Funke noch nicht bei allen erloschen. Wie es letztendlich weitergeht, kann noch niemand sagen. Es bleibt aber zu hoffen, dass das Tanzbein bald wieder geschwungen werden kann und die Flut an Gästen die Kassen der Clubbetreiber bald wieder füllen wird.

Text Lilly Sommer