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Die globalisierte Tierwelt – Tiere erobern sich hier neue Lebensräume

Tierchen_mit_Globus

Bild & Text: Ines Schneider

Passiert Ihnen in diesem Sommer vielleicht auch: Sie sitzen im warmen Sonnenschein im Park oder am Rheinufer. Ihr Blick wandert wohlwollend über die Grünflächen, die Blumenbeete, den Kolibri, der die Blüten umschwirrt… Moment. Ein Kolibri mitten in Mainz? Ist die Klimaerwärmung derart fortgeschritten?

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es sich bei dem Tierchen mit dem rasend schnellen Flügelschlag nicht um einen Kolibri handeln, aber ein alteingesessener Mainzer ist es auch nicht. Ursprünglich stammt das Taubenschwänzchen, der Schmetterling, der so stark an den Tropenvogel erinnert, aus Südeuropa. Erst in den letzten Jahren hat ihn das immer milder werdende Klima bis an den Mittelrhein gelockt. Eine Gefahr für einheimische Insekten stellt er offenbar nicht dar.

Aus- und Einwanderer

Er mag exotisch aussehen, hat aber einen vergleichsweise kurzen Weg hinter sich. „Tierarten sind schon immer gewandert“, erklärt Laura Birkmann, die als Biologin für den Mainzer NABU tätig ist, „und seit der Mensch die Meere besegelt, wandern sie auch zwischen den Erdteilen. Das lässt sich nicht vermeiden.“ Tiere sind schon immer als Proviant, Handelsware oder Studienobjekte an Bord genommen worden und davon abgesehen hat sich mit Sicherheit auch noch die eine oder andere Muschel am Schiffsrumpf festgesaugt, von der niemand etwas wusste.

In den letzten Jahrzehnten ist der Mensch vorsichtiger geworden und Tiere werden nicht mehr leichtfertig in fremden Gegenden ausgesetzt. Doch selbst bei Geschöpfen, die unter kontrollierten Bedingungen gehalten werden, als Nutztiere oder zum Spaß, gibt es immer Flüchtlinge. Heute leben diese Exilanten frei in unseren Wäldern, Parks und Gärten. Auch wenn sie das nicht immer getan haben, ist das Ziel von Naturschutzorganisationen nicht die Umkehrung dieses Prozesses.

„Denn das würde die Ausrottung bedeuten!“, betont Laura Birkmann und die gehört nicht zu den Aufgaben, die sich Einrichtungen wie der NABU gesetzt haben. Die Mitarbeiter wollen vielmehr die Entwicklungen studieren und sich damit auseinandersetzen. Denn der Verlauf und die Folgen einer Besiedlung lassen sich niemals vorhersehen. Biologin Brinkmann erklärt die so genannte Zehnerregel: Danach überlebt von zehn eingeschleppten Arten in der fremden Umgebung nur eine. Und manchmal entwickelt sie sich auch zum gefährlichen Schädling.

Freund oder Feind?

Im Schädlings-Fall können die Auswirkungen allerdings gravierend sein, wie beim, 1880 von einem deutschen Fischzüchter ausgesetzten, amerikanischen Flusskrebs. Lebensraum und Nahrungsangebot könnte er sich durchaus mit den europäischen Vertretern teilen. Er überträgt jedoch eine tödliche Pilzerkrankung, bekannt als „Krebspest“, gegen die er selbst immun ist.

Auch im Rhein lassen sich die ursprünglichen Krebsarten nur erhalten, indem die fremden abgefischt und beide so gut wie möglich voneinander isoliert werden. Auch wenn nicht gleich eine ganze Tierart bedroht ist, kann sich so ein Supergau auch im Kleinen ergeben. Oft sind gedankenlose Tierhalter die Ursache. Davon kann Karlheinz Endres, Mitbegründer des Bretzenheimer Naturschaugartens Lindenmühle, berichten. Im Garten wurde sorgfältig ein kleines Feuchtbiotop angelegt und mit Teichwasser „geimpft“, es wurde also Wasser aus einem ausgewogenen Bioreservat zugegeben, um die nötigen Mikroorganismen anzusiedeln.

Doch kaum hatten sich die ersten heimischen Wassertiere hier niedergelassen, machten einige ausgesetzte Aquariumsfische alle Bemühungen wieder zunichte. Goldfische vertilgten die Larven der Molche und Libellen und knabberten an den Wasserpflanzen. In kurzer Zeit war der Tümpel leer gefressen und die stark erhöhte Stickstoffkonzentration lies das kleine Ökosystem kippen. „Ich wollte einer Gruppe von Kindern das quirlige Leben in einem Teich zeigen und wir haben nicht mal eine Kaulquappe gefunden!“, erzählt Endres enttäuscht.

Aber es muss nicht immer so kommen. Die Nutria, eine in den 1920er und 30er Jahren als Pelztier beliebte südamerikanische Wasserratte, hat sich gut in Rheinland-Pfalz eingelebt. Sie scheint keinen Schaden anzurichten. Die niedlichen Tierchen gelten sogar als lokale Attraktion, wie in der Gemeinde Bobenheim-Roxheim bei Worms. Sie sind sehr zutraulich und Spaziergänger haben ihren Spaß daran, sie mit Gemüse und Äpfeln anzulocken.

Selbst als dort unter der Leitung des Biologen Olaf Strub die im Altrheingebiet bereits ausgestorbene Europäische Sumpfschildkröte wiederangesiedelt wurde, machten sich die völlig fremden Gattungen nicht das Territorium streitig. Im Gegenteil, sie existieren friedlich nebeneinander.

Und auch an einen anderen Ausreißer haben wir uns schon so sehr gewöhnt, dass er uns, obwohl stimmgewaltig und leuchtend bunt, nur noch auffällt, wenn Nicht-Mainzer plötzlich stehen bleiben und verblüfft in eine Baumkrone starren. Halsbandsittiche werden seit den 60er Jahren gerne als Ziervögel gehalten, doch die robusten und freiheitsliebenden Tierchen bevölkern nun die Hauptstädte von Rheinland-Pfalz und Hessen.

Die reinen Obstfresser gelten nicht als Bedrohung für andere Vogelpopulationen, nur einige Eichhörnchen und Schrebergartenbesitzer sehen ihre Ernte gefährdet. Es kann beängstigend sein, so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, dass jede unserer Bewegungen Folgen hat, die sich nicht abschätzen lassen. Doch da wir auch nicht in Bewegungslosigkeit erstarren können, bleibt uns die Freude an allen Geschöpfen, die unseren Lebensraum bereichern.