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Der singende Gärtner

Text: Monica Bege
Fotos: Katharina Dubno

Die zwischen Grüner Brücke, Feldberggrundschule und Rheinufer gelegene Grünanlage trägt nicht die Handschrift städtischer Pflanzmuster. Rosen, Akelei und Spiräen finden sich neben Thujen, Kirschlorbeer und Hibiskus. „Die großen grauen Sandsteine hier in den Beeten wurden bei den Umbauarbeiten der Feldbergschule von der Grundstücksgrenze entfernt.“ Als wäre es das normalste der Welt, berichtet Albrecht Lohnes, wie er vor zwei Jahren einige der über 100 Jahre alten Randsteine vom Schulgelände in die Beete transportierte. Alles nur eine Frage der Technik – er rollte sie auf runden Holzpflöcken und positionierte die Steine anschließend nur mit Hilfe einer Sackkarre zwischen den Pflanzen. So kreativ und herrlich unkompliziert, wie dies von statten ging, so wirkt er auch auf uns. Sein Lachen und Scherzen ist einfach ansteckend.
Seit gut einem Jahrzehnt kümmert er sich im Einvernehmen mit der Stadt um „seine“ Beete rund um den Feldbergplatz. Ausrangierten Pflanzen gibt er ein neues Zuhause, Gießwasser holt er mit der Kanne vom Wasserfall an der grünen Brücke und die Pflanzschnitte führt er selbst durch. Die Motivation seiner gärtnerischen Tätigkeit ist für den 76-Jährigen mehr eine nebensächliche Selbstverständlichkeit. Im Vordergrund stand das Ausprobieren. Wie würden die Beete mit den Steinen denn aussehen, würde den Anwohnern seine Gestaltung gefallen? Die bejahende Antwort steht seit langem außer Frage.

Zwei Herzen voller Leidenschaft

In der Brust des 1934 in Offenbach/Main geborenen Lohnes schlugen bereits zur Jugendzeit zwei Herzen: die Liebe zur Natur und zum Gesang. „Ich lerne erst mal einen Beruf, das war mir das wichtigste“, erklärt er die Reihenfolge seiner beiden Ausbildungen. Als gelernter Gärtner sang er immer wieder vor und als die Nachfrage nach Tenören stieg, schrieb er sich in Wiesbaden zum Gesangsstudium ein. Dem Theater im oberfränkischen Hof an der Saale bleibt er sechzehn Jahre lang treu, trat in Opern und Operetten auch solistisch auf. Auch die Bühne des Mainzer Theaters ist im vertraut. Ein beruflicher Glanzpunkt war sein Gastauftritt bei den Bayreuther Festspielen, er sprang für einen erkrankten Tenor ein.
Albrecht Lohnes singt leidenschaftlich gerne, wie aus einem inneren Drang heraus. Für die Neustädter ein vertrauter Anblick: Mit Gartenwerkzeug in der Hand und einem Lied auf den Lippen widmet er sich seinen Pflanzen. An einem der ersten sonnigen Frühlingstage singt er auch für uns. Mitten in der Stadt, ohne Scham, dafür mit Inbrunst, als stünde er auf einer Bühne – „Ave Maria“. Wir bekommen trotz der Wärme Gänsehaut, wähnen samtbezogene Ränge, vollbesetzt mit fein gekleidetem Theaterpublikum hinter uns, sind gefangen und betört vom Gesang am ungewöhnlichen Ort. Doch irgendwann klingt der satte letzte Ton aus, ein Lachen umspielt bereits wieder seine Mundwinkel und wir sind wieder auf dem Feldbergplatz angekommen. Bravo! Aus den unterschiedlichsten Richtungen erschallt Applaus. Passanten verweilten, Jogger hielten inne, um zu lauschen.

Umgeben von Mutter und Garten

Seit den 50er Jahren wohnt Albrecht mit seiner 104-jährigen Mutter in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Hafenstraße. Er hat erlebt, wie sich die damals junge Neustadt entwickelte. Liebevoll blickt er seine Mutter an und erzählt, dass sie mit 102 Jahren noch gekocht und viele Dinge im Haushalt selbst erledigt habe. Mittlerweile ist Lisbeth Schäfer bettlägerig und wird von ihrem Sohn, ihrem einzigen Kind, zu Hause gepflegt. „Es ist besser, wenn wir noch zusammenleben können“, sagt uns Lisbeth mit zarter Stimme. Es ist gut, einen alten Baum nicht verpflanzen zu müssen…
Hinter den Häuserfronten der Hafenstraße verbergen sich grüne Oasen, Parkplätze und auch Gärtchen. Hier hat Lohnes ein kleines verwunschenes grünendes und blühendes Meer auf mehreren Ebenen angelegt. Neben Klematis, Pfingstrosen, Margeriten – um nur einige zu nennen – finden sich auch Steine, Hölzer, ein Spiegel, ein CD-Regal und ein Stuhl. Selbst die unkonventionellen Gegenstände fügen sich reizvoll zwischen Blättern und Blüten ein. „Man muss ein Auge dafür haben, was zusammen passt“, zwinkert uns der jung gebliebene Gärtner zu. An Heilig Abend öffnen sich seit einigen Jahren gegen 18 Uhr in den umliegenden Häusern die Fenster zum Hof, denn dann steht Albrecht Lohnes bei seinen winterschlafenden Pflanzen und stimmt im kräftigen Tenor Weihnachtslieder an. Die Nachbarn möchten dies nicht mehr missen. Albrecht: „Ich dachte halt, ich probier’s mal…“, so begann eine neue schöne Weihnachtstradition in der Neustadt.

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