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Der lange Schatten der Wohnbau

Text: Andreas Schröder
Fotos: Daniel Rettig

Der Mainzer Zollhafen bietet fast unvorstellbare städtebauliche Möglichkeiten. Aber zwischen Neustadt und Rhein geht es nicht nur um Lebensqualität, sondern auch um ungeheure Summen. Die Zeche zahlen die Mainzer Stadtwerke – die „Gesunde“ unter den stadtnahen Gesellschaften. Damit das so bleibt, wird auch im Zollhafen allerseits auf „Finanzierbarkeit“ geachtet. Den Bürgern bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen die einmaligen Chancen des Quartiers nicht verstreichen lassen werden.

„Es ist ja durchaus verständlich, dass bei einem Projekt, wie dem Zollhafen, Begehrlichkeiten entstehen, aber jede Wunschvorstellung muss auch finanzierbar sein“, sagt Peter Zantopp-Goldmann, zuständig für Kommunikation und Standortmarketing bei der Zollhafen Mainz GmbH, zu den Stichworten Mehrzweckhalle und Stadtbibliothek. Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) betont, dass man sich seitens der Stadt eine möglichst gemischte Bevölkerung für das neue Quartier wünsche. Das Ergebnis aber hänge von der weiteren finanziellen Entwicklung ab.
Und was ist mit dem Weinlagergebäude, das nach den Entwürfen zweier Mainzer Architekten umgebaut und zu einem „Zentrum für den deutschen Wein“ entwickelt werden sollte? „Hinsichtlich der Raumkonzepte und Baukosten wurde der Siegerentwurf zur Realisierung grundsätzlich überarbeitet“, heißt es in der Fachzeitschrift „Bauen + Wirtschaft“. Man wolle „Synergieeffekte“ mit anderen Angeboten nutzen, erläutert Stadtwerkesprecher Michael Theurer diesen Beitrag.

Durststrecke im VINUMainz

„Im Moment ist das alles ein bisschen in einer Durststrecke“, kommentiert Hans Willi Fleischer den gegenwärtigen Entwicklungsstand. Der Betreiber des „Weinguts der Stadt Mainz“ und bis Anfang 2010 Vorsitzender der „Mainzer Winzer e.V.“ begleitet die Planung des VINUMainz – so der offizielle Arbeitstitel des „Zentrums des Weins“ – seit vielen Jahren. 2008 saß er in der Jury, die sich für den Entwurf der Architekten Jens Kercher und Andreas Schnura entschied. „Aber das war vor dem Wohnbau-Skandal“, bemerkt Fleischer trocken. „Damals war der gedankliche Umgang mit dem Projekt noch wesentlich lockerer“, erinnert er sich.

Dass die Finanzierungsproblematik im Fall des Zollhafens von der Bevölkerung ganz anders aufgenommen wird als von den Verantwortlichen in der Politik und bei den Stadtwerken, hängt nicht zuletzt mit einer grundverschiedenen Wahrnehmung des Zollhafenprojektes zusammen. Die öffentliche Debatte wird von städtebaulichen Fragestellungen dominiert: Wie wird sich die Bevölkerung des Zollhafens zusammensetzen? Wie der Übergang zwischen neuem Zollhafen und alter Neustadt gelingen? Bekommen Stadtarchiv und -bibliothek eine neue Liegenschaft in der Nähe des alten Weinlagergebäudes? Und: Wird es im Zollhafen eine moderne Mehrzweckhalle geben? Mit diesen Fragen beschäftigt man sich auch im Rathaus und an der Rheinallee. Für die Vertreter von Stadt und Stadtwerken endet das Zollhafenprojekt aber nicht an der Kunsthalle. Für sie reicht es bis nach Norden auf die Ingelheimer Aue. Dort entsteht zurzeit das neue Mainzer Containerterminal, das in gewisser Weise Auslöser und kommerzielle Messlatte der Stadtentwicklung am Zollhafen ist.

Der Zollhafen ist auch eine Refinanzierungsmaßnahme

Ein gut aufgestellter Containerhafen ist für den Standort Mainz gleich von doppelter Bedeutung, wie Wirtschaftsdezernent Franz Ringhoffer (FDP) erklärt: Er sichert die Rolle der Landeshauptstadt als bedeutenden Umschlagplatz im Rhein-Main-Gebiet („Mainz ist in der logistischen Kette von Übersee nach Rhein-Main der ideale Punkt zum Umladen.“) und ist ein zusätzlicher Standortvorteil für die Industrie – mit ihren Arbeitsplätzen und ihren Gewerbesteuerabgaben. Im Zollhafen hatte das Containerterminal aber keine Wachstumschancen; der Umzug auf die Ingelheimer Aue war also ein notwendiger Schritt. Die Kommune allein hätte diesen Schritt nicht gehen können, „wenn die Stadtwerke nicht gesagt hätten: Das machen wir jetzt mal“, betont Marianne Grosse. Das Unternehmen sei bei der Finanzierung der benötigten Infrastrukturmaßnahmen auf der Ingelheimer Aue „unglaublich in Vorkasse gegangen“. 60 Millionen Euro investieren die Stadtwerke in das neue Containerterminal. Mit der Vermarktung des durch den Umzug freiwerdenden Zollhafens, sollen diese Kosten wieder hereingeholt werden. Bei der Erschließung des Zollhafens geht es also nicht nur darum, ein neues Stadtquartier für sich alleine kostendeckend zu entwickeln.

Dass die Stadtwerke auf ihre Kosten achten, hält Marianne Grosse nicht nur für legitim, es müsse einfach so gemacht werden. „Die Stadtwerke müssen als stadtnahes Unternehmen schauen, dass sie kostendeckend arbeiten“, mahnt Grosse. Der lange Schatten der Wohnbau ist nicht zu übersehen. Stadtverwaltung und Stadtwerke scheinen entschlossen, in Sachen Zollhafen aus der Wohnbau-Affäre Konsequenzen zu ziehen: Kein Missbrauch der stadtnahen Gesellschaft, keine fragwürdigen Finanzierungsmodelle!

Dass diese neue Nüchternheit am „Zentrum des Weins“ nicht unbemerkt vorüber gehen konnte, liegt in gewisser Weise auf der Hand. Denn während der restliche Zollhafen von der Zollhafen Mainz GmbH – einer gemeinsamen Tochter der Stadtwerke Mainz AG und ihres Partners, des Frankfurter Quartiersentwicklers Vivico Real Estate – entwickelt und vermarktet wird, sind Weinlager und Kunsthalle alleinige Projekte der Stadtwerke. „Die Kunsthalle ist ein Geschenk an die Landeshauptstadt gewesen“, erinnert Zantopp-Goldmann. Nach der Wohnbau-Affäre kann oder will man sich solche Geschenke bei den Stadtwerken nicht mehr leisten.

Abschied vom Anspruch der Anfangszeit

Ein „Zentrum des Weins“ sei aber auch weiterhin im alten Weinlagergebäude vorgesehen, heißt es in einer schriftlichen Antwort von Stadtwerkesprecher Michael Theurer. Nur „Art und Umfang“ seien derzeit wieder in Bearbeitung. Nach dem Anspruch der Anfangszeit hört sich das freilich nicht mehr an: „Wir wollen ein Zentrum für den deutschen Wein“, hatte Stadtwerkevorstand Detlev Höhne dem SWR bei der Vorstellung der Ergebnisse des Architekturwettbewerbs gesagt. Mainz sei die Weinhauptstadt, „also ist hier das Zentrum für den deutschen Wein.“ Das war im November 2008. Heute begründen die Stadtwerke die Überarbeitung des Konzepts mit anderen „begrüßenswerten neuen Aktivitäten im Wein- und Tourismussektor“. Mit diesen wolle man sich abstimmen um Synergieeffekte zu nutzen.

Das „Hofgut Laubenheimer Höhe“, ein Projekt des Geschäftsführers des Favorite Parkhotels Christian Barth, ist sicherlich die herausragendste dieser „neuen Aktivitäten“. Alleine die geplante „Hofscheune“ des Gutes schlägt mit einer Veranstaltungsfläche von 750 Quadratmetern zu Buche. Im Vergleich: Für das „Zentrum des Weins“ waren 300 Quadratmeter Veranstaltungsfläche vorgesehen. Die Stadtwerke begrüßen Barths Projekt ausdrücklich, wie Unternehmenssprecher Theurer betont. Dass den Projektplaner des Weinlagergebäudes die Konkurrenz auf der Laubenheimer Höhe aber zu denken geben muss, liegt auf der Hand. Schließlich muss sich ein „Zentrum des Weins“ für den oder die potentiellen Betreiber auch wirtschaftlich rentieren. Die wollen übrigens erst noch gefunden werden – und das „Hofgut Laubenheimer Höhe“ wird die Suche keinesfalls einfacher gestalten. Kein Wunder also, dass die Stadtwerke, die beim alten Weinlagergebäude ebenso wie bei der Kunsthalle in Vorkasse gehen müssen, sich nicht am Ende vorhalten lassen wollen, sie hätten sich ordentlich verrechnet.

Was den Zollhafen unter den Mainzer Stadtentwicklungsprojekten so einzigartig macht, sind nicht nur seine demografischen Potentiale. Seit dem Beginn seiner Erschließung stehen im ehemaligen Containerhafen einzelne Großprojekte für bis dahin nie gedachte Chancen und Möglichkeiten der Stadtentwicklung: die Kunsthalle; eine gemeinsame, zeitgemäße Liegenschaft für die städtischen Bibliotheken und das Stadtarchiv; eine dringend benötigte Mehrzweckhalle für die Neustadt und nicht zuletzt eine Erweiterung der Neustadt bis an den Rhein.

Risiken und Kosten auf viele Schultern verteilen

Die Hoffnung auf das „Zentrum des Weins“ hat Hans Willi Fleischer unterdessen noch nicht begraben. Er zeigt Verständnis, dass man in Sachen Finanzierung vorsichtig geworden ist. Das sei aber kein Grund, Projekte wie das VINUMainz aufzugeben. Vielmehr müsse es darum gehen, Risiken und Kosten auf möglichst viele Schultern zu verteilen. „Damit aus diesem schönen Projekt noch etwas werden kann, müssen sich alle interessieren und finanziell mithelfen“, sagt Fleischer. Auch seinen Verband, die Mainzer Winzer, schließt der heutige Ehernvorsitzende dabei nicht aus. Man sei durchaus bereit, einen Beitrag zu leisten – wenn auch einen kleinen. Auch Franz Ringhoffer steht einer Finanzierungskoalition im Zollhafen nicht ablehnend gegenüber. Eine Beteiligung der Stadt hält der Wirtschaftsdezernent bei der gegenwärtigen Haushaltslage zwar für fraglich, eine „Nutzung von Fördermöglichkeiten“ müsse vor einer endgültigen Entscheidung aber unbedingt geprüft werden. Da sind sich Ringhoffer und die Stadtwerke einig.

Dass es auch im Schatten der Wohnbau Grund zur Hoffnung gibt, deutet sich beim Bibliothekenneubau und der Mehrzweckhalle an. Für letztere seien im aktuellen städtischen Haushaltsentwurf für das Jahr 2012 zumindest Mittel für die Planung vorgesehen, berichtet Marianne Grosse. Obwohl sich die Zollhafen Mainz GmbH und die Stadtwerke in der öffentlichen Debatte klar bemühen, keine falschen Hoffnungen in der Bevölkerung aufkommen zu lassen – „Wir haben zugesagt, Grundstücke für beide Projekte vorzuhalten“, bestätigt Peter Zantopp-Goldmann, kaufen und bebauen müsse diese aber die Stadt –, ist die Bau- und Kulturdezernentin zumindest bezüglich des Bibliothekenneubaus von einer generellen Hilfsbereitschaft seitens Stadtwerke überzeugt. Es fänden sehr produktive Gespräche zwischen ihr, Finanzdezernenten Günther Beck (Grüne) und Detlev Höhne statt.

Ein bisschen Druck

Der Zollhafen führe zu einer „unglaublichen Aufwertung“ der Neustadt, meint Marianne Grosse. Da sei es nur natürlich, dass „eine gewisse Leidenschaft“ in der Bevölkerung entbrenne und Ungeduld aufkomme. „Ich bitte aber ausdrücklich um etwas Langmut.“ Der Zollhafen sei ein so großes und kompliziertes Projekt. Das bedeute, dass einige Entscheidungen eine längere Vorbereitung benötigten, als man sich das als Zuschauer wünsche. Die Menschen sollten sich aber davon nicht entmutigen lassen und die Entwicklung des Zollhafens weiter begleiten. Denn auch Marianne Grosse weiß: „Es ist natürlich auch nicht schlecht, dass ein bisschen Druck dabei ist.“