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Der König der Trödler: Inox Kapell und sein Laden in der Altstadt

+++ Der Laden soll angeblich schon wieder geschlossen sein (5.8.21) +++

Ein schlanker Mann steht in schwarzem Anzug, rotem Hemd und einem Jägerhut in einem kleinen Laden am Rande der Altstadt und räumt Bilder und Gegenstände auf die Straße. Sein zu zwei Zöpfen geflochtener grauer Bart schwingt bei jeder Bewegung mit. Von schwarzem Lidschatten umrahmte Augen blicken freundlich auf die Welt. Eine junge Frau schreibt mit Kreide auf die Straße „Die Hippies leben“. Das kleine verwunschene Kleinod in der Neutorstraße 4 betreibt niemand Geringeres als Inox Kapell – Künstler, Musiker, Pädagoge und Mainzer – als auch Wiesbadener – Urgestein.

War er bis vor Kurzem noch als Insekten-Botschafter am Schloss Freudenberg in Wiesbaden unterwegs, verweilt er nun wieder in Mainz und betreibt seit Mai seinen außergewöhnlichen Laden. Was sein Antrieb ist und weshalb er sich über einen Weltuntergang freuen würde, erzählt er uns an einem heißen Nachmittag.

Bei gutem Wetter werden die
Sachen nach draußen verlegt

Von Insekten und Ostfriesen
Als der 1966 geborene Künstler Stefan Heinze dreizehn Jahre alt wird, änderte er seinen Namen in Inox Kapell. „Es ist mir in einem Traum erschienen. Ganz klar sah ich diesen Namen vor mir.“ Seine Eltern gaben dem Wunsch nach und fuhren mit dem Jungen nach Hamburg zum Bürgermeister, den er von seiner Idee überzeugen konnte. „Der hatte damals ein großes Bild einer Gottesanbeterin in seinem Büro hängen. Nachdem wir bestimmt eine dreiviertel Stunde über Insekten gesprochen hatten, genehmigte er mir den Antrag auf Namensänderung“, erzählt der heute 55-Jährige. Seine Kindheit und Jugend in Ostfriesland sei magisch gewesen: „Ich habe Elfen und Kobolde gesehen. Die Natur hat mich schon damals in ihren Bann gezogen. Mein erstes Wort war Mama, das zweite Ameise.“ Mit Illustrationen von Insekten begann der künstlerische Werdegang des Wahlmainzers. Die ostfriesischen Sagen und Märchen studierte er dabei mit großer Neugier und glaubt bis heute fest daran, dass Fabelwesen in Wäldern leben.

Bunter Gemischtwarenladen
So magisch wie seine Kindheit mutet auch das Geschäft in der Neutorstraße an. Zusammen mit seinem Bekannten Jonathan Spencer, der im hinteren Teil des kleines Ladens eine Art Tonstudio betreibt, verkauft Inox unter anderem Glasaugen, Verstärker, technisches Equipment, selbstgemalte Bilder, Fotografien, Spielzeug, Brillen und alles, was man sich vorstellen kann – natürlich auch jede Menge Kleidung, die er auf diversen Trödelmärkten erstand. Drei Lager hatte der Künstler einst in Mainz, Wiesbaden und Berlin – voll mit Kuriositäten, die er sein Leben lang gesammelt hat – nun verpackt auf nur etwa zehn Quadratmetern Fläche: ein ständig wechselndes Sammelsurium an Nützlichem und Absurdem, Kitsch und Spielerei – ein ganzes Leben – voller Dada. Denn darum dreht sich seine Kunst vornehmlich. Neben Bildern erschafft er auch Performance Art, Ausstellungen über Insekten und spielt vereinzelte Konzerte. Nach Mainz kam er nämlich eigentlich über die Musik, durch einen Kumpel, mit dem er in einer Punk Band spielte. Für die Musik hing Inox bald auch den Kaufmanns- Beruf an den Nagel, den er einst erlernte. Stattdessen studierte er nebenbei eine Zeitlang Kunst und Biologie an der Gutenberg-Universität.

 

Inox zeichnet an seinen Bildern
und den Insekten-Studien

Verträumte Stunde
Während Inox Kapell erzählt, schaut er meist zu Boden und wirkt dabei ein wenig wie eins seiner Fabelwesen, nicht greifbar, obwohl er direkt vor einem sitzt. Schnell wechseln die Themen, alles ist im Fluss und hängt miteinander zusammen. Oft geht es darum, wie sich die Welt verändert, dass der Mensch kein gutes Leben führt und sich zu weit von der Natur entfernt. „Ich möchte, dass die Menschen dort hinschauen, wo es weh tut. Dann werden sie erkennen, dass es so nicht weitergehen kann.” Dann geht es wieder um die Liebe und in der nächsten Sekunde um den Krieg. Zweifelt Inox etwa an seinem eigenen Lebensweg? Die schlichte Antwort lautet: „Ja. Durch Corona habe ich meine ganzen Jobs verloren und stand quasi vor dem Nichts.“ Nicht zuletzt dadurch entstand der Laden. Und so wird der Mann, der nicht viel von Materiellem hält, doch noch durch den Verkauf seiner Habseligkeiten durch die Krise getragen. Hat er keine Sorgen, alles zu verlieren? „Nein, damit komme ich klar. Alles vergeht irgendwann – entweder wir werden also spirituell oder kacken ab.“ Platzregen setzt ein. Schnell werden alle Gegenstände von der Straße in den Laden geräumt. Der Kioskbesitzer von nebenan hilft. Der Regen wischt die Kreide vom Boden. Ein junger Mann betritt den Laden, der erste Kunde an diesem Tag. Er sucht ein gebrauchtes Handy. Inox beherrscht das Chaos und weiß, wo eins liegt. Kurze Zeit später kommt die Sonne hervor und die Sachen werden wieder rausgeräumt. Die junge Frau schreibt mit Kreide erneut auf die Straße. „Die Hippies leben“.

Text Christina Langhammer Fotos Stefan Zahm