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Der Ausbau des Biotechnologie-Standorts Mainz und seine Folgen

Blick von Drais auf Mainz – Angedachte Fläche für Biotechnologie und Life Sciences  (Foto: Harald Kaster)

Es ist so weit. Mainz wird an den Rändern der Stadt Zuwachs erfahren durch neue Quartiere, Viertel, vielleicht sogar durch den langen ersehnten neuen Stadtteil. Denn jetzt, wo wir zum neuen Standort der Biotechnologie werden, kommen die Flächen außerhalb aufs Tapet und Mainz wird nun den Tod sterben müssen zwischen Bebauung und dem Erhalt nötiger Frischluftschneisen in die Stadt hinein.

Um diese Äcker geht es: Europakreisel Richtung Stadion. 50 bis 80 Euro pro qm werden den Eignern vonseiten der Stadt geboten (Foto: Sascha Lotz)

Los geht es mit 30 Hektar Fläche, verteilt auf 50 Hektar Planungsfläche rund um die Felder der Hochschule Mainz und MEWA Arena, zwischen Uni bis Finthen. Die soll zur Ansiedlung von neuen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden mit einem Invest von rund 1 Milliarde Euro. Ein erster Zeitplan steht bereits. Und auch eine erste Bauvoranfrage ist mittlerweile eingegangen. Eine Firma aus dem hochschulnahen Gewerbe, die sich auf dem hochschulnahen Gelände ansiedeln möchte. „Wir brauchen Masse und Vielfalt“, so OB Ebling: „Bereits heute ist Mainz eine wichtige Adresse im Bereich der Biotechnologie. Insbesondere mit dem Durchbruch von Biontech hat diese Branche und damit auch der Standort Mainz einen großen Aufschwung erfahren. Wir möchten an diesen Erfolg anknüpfen und Entwicklungsperspektiven für die Biotechnologiebranche in unserer Stadt schaffen. Hierfür erarbeiten wir derzeit eine Strategie, die zwei Aspekte miteinander verknüpft: Die Anforderungen der Branche und die Rahmenbedingungen vor Ort hinsichtlich Städtebau, Verkehr, Umwelt und vielen weiteren Themen.“

 

Korridor von der Oberstadt
Die Achse Oberstadt in Nähe zur GFZ-Kaserne, zur Universitätsmedizin und zum Universitätscampus soll gestärkt und fortgesetzt werden: „Um dem Biotechnologiestandort Mainz ein räumliches Bild zu geben, haben wir einen Strategieplan entwickelt, der die bereits vorhandene „Biotechnologie-Achse“ im Bereich der GFZ-Kaserne, Universitätsmedizin und Universität darstellt und das Flächenpotenzial für den kurz- und mittelfristigen Bedarf im Bereich der GFZ-Kaserne und des Hochschulerweiterungsgeländes sowie weiteren Einzelstandorten aufzeigt. Für die langfristige Perspektive benötigt es jedoch weitere Flächen: Hier konzentrieren wir uns auf die westliche Fortführung der Achse von der Erweiterung des Hochschulgeländes bis hin zur Regionalbahnlinie. Im nächsten Schritt soll für diese Flächen ein internationaler Ideenwettbewerb durchgeführt werden, um Ideen zu sammeln, wie an dieser Stelle ein nachhaltiges und innovatives Quartier als Biotechnologiestandort gelingen kann“, so Baudezernentin Marianne Grosse. Wie so oft soll es auch eine „Bürgerinformation“ geben, in welcher die städtebauliche Strategie vorgestellt wird. Die Ergebnisse fließen dann in die Auslobung eines Ideenwettbewerbs ein. Was genau auf diesen bislang landwirtschaftlich genutzten Flächen entstehen kann, soll der Wettbewerb klären. Gebäude für Biotechnik, Versorgung, Begegnung – all das sei dort denkbar, Wohnen allerdings eher nicht, so Ebling und Axel Strobach, Leiter des Stadtplanungsamtes: „Wohnen hat keine Priorität, ist aber auch nicht ausgeschlossen.“ Darüber müsse man sich aktuell noch nicht unterhalten, schließlich gehe es um eine Entwicklung von zehn Jahren und mehr.

Hermann Eck, ehemaliger Gemüsebauer, vor einem Grenzstein auf einem Feld
in Gonsenheim: „Wir warten mal ab, unbedingt verkaufen wollen wir nicht.
Das Land sollte der Natur erhalten bleiben, weil es hochwertiges Gelände ist.“ (Foto: Stephan Dinges)

Grundstücks-Problematik
Die Grundstücksverwaltungsgesellschaft (GVG) der Stadt ist aktuell dabei, Grundstücke von Landwirten und Pächtern zu erwerben. Einige Privateigentümer wundern sich noch darüber. Ein Großteil von ihnen hat erst aus der Allgemeinen Zeitung erfahren, dass die Flächen, die sie bewirtschaften oder zur Bewirtschaftung verpachtet haben, von der Stadt angekauft werden sollen: „Wir fühlen uns überfahren“, sagt ein Gonsenheimer Landwirt, der namentlich nicht genannt werden möchte, in der AZ vom 19. Mai. Zwar seien die meisten seiner Kollegen angeschrieben und informiert worden, dass die Flächen zum Gewerbegebiet werden sollen; manche aber noch gar nicht, oder die Besitzer lassen sich nur schwer ermitteln. Die Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Stadt (GVG), die hier zuständig ist, widerspricht. „Wir haben alle Eigentümer, die wir kennen und ermitteln konnten, vor der Presseveröffentlichung angeschrieben“, so der Geschäftsführer der GVG, Franz Ringhoffer. Liegenschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU), die auch Aufsichtsratsvorsitzende der GVG ist, war und ist in die Flächenfindung – wie so oft – nicht involviert. Die Fläche, um die es geht, sei „top bewirtschaftet“, weiß Andreas Köhr vom Bauernverband Rheinland-Pfalz Süd. Es gebe keine brachliegenden Areale, die Bodenqualität sei hervorragend. Vorwiegend würden dort Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben angebaut. Dabei bewirtschafteten nicht alle Eigentümer ihre Felder selbst. Viele Äcker seien verpachtet und würden von Draiser oder Bretzenheimer Kollegen bearbeitet. Wie immer fordert der Verband die Stadt auf, zuerst Alternativ- Möglichkeiten zu prüfen: „In Deutschland werden pro Tag 50 Hektar versiegelt. Das kann in heutigen Zeiten nicht die Lösung sein, immer weiter zu versiegeln.“ Natürlich gebe es auch Eigentümer, die froh über das Kaufangebot der Stadt seien und es gerne annehmen. Allerdings habe man sich von der Stadt beziehungsweise der GVG einen besseren Dialog gewünscht, auch in rechtlicher und steuerlicher Hinsicht. Wie viele Eigentümer von dem Projekt betroffen sind, ist ungewiss, Schätzungen gehen von 150 bis 200 aus. Die GVG habe den Eigentümern laut AZ-Informationen 50 Euro pro Quadratmeter geboten. Aktuell spekulieren nicht wenige Besitzer auf einen Preis von 85 Euro. Inzwischen hat die Stadt sogar bereits den Bodenrichtwert für Rohbauland in diesem Abschnitt auf 285 Euro erhöht. Dazu kämen noch Erschließungskosten etc. – ein satter Gewinn für die Stadt im Falle des späteren Verkaufs.

Auch das Land macht Druck um den Biotechnologie-Ausbau: Konferenz mit Ministerpräsidentin Dreyer und Biontech-CEO Sahin (Foto: Sascha Kopp)

Ein wenig erinnert das Prozedere dennoch an das Vorgehen beim Stadionbau. Auch damals hat die Stadt Pläne veröffentlicht, ohne einen Quadratmeter Gelände zu besitzen. Und auch damals ging es um die Frischluftschneise, die plötzlich keine Rolle mehr spielte. Die Stadt verbietet auf der einen Seite Schottergärten, opfert aber nur zu bereit ihre Grünflächen für Gewerbegebiete. Dies ist die eklatante Kehrseite der Medaille. „Wir haben seit 2000 kein größeres Gewerbegebiet mehr ausgewiesen“, sagt Franz Ringhoffer von der GVG. „Wir müssen für die nachfolgenden Generationen und auch für unsere Unternehmen, die expandieren wollen, vorsorgen.“ Klar sei bei allen Verhandlungen für das neue Biotechnologie-Gelände, dass es nur einen Preis zum Ankauf gebe. „Es werden alle gleichbehandelt…“ Doch wer verkauft in diesen Inflationszeiten überhaupt Grund und Boden? Und auch angesichts der Getreide- und Ernährungskrise – Stichwort Ukraine / Russland – wie sinnvoll ist es momentan, landwirtschaftliche Flächen zu reduzieren? Fragen, die offenbar aktuell eher hintenanstehen. Auf dem Areal ist auch vorgesehen, einen Neubau des Technologiezentrums Mainz (TZM) zu realisieren. Die Erschließung des gesamten Geländes soll noch im Sommer erfolgen, sodass in einigen Monaten ein Baustart denkbar sei, so Ebling. Zum Bauvorhaben der Integrierten Gesamtschule am Europakreisel, die dort ebenfalls geplant war, wird sich derzeit nur noch ausweichend geäußert. Zwar arbeite man am Auslobungstext für den geplanten Architektenwettbewerb, doch werden ebenso zwei Alternativen geprüft, die eine davon am bisherigen Interimsstandort „Heiligkreuzviertel“.

Frischluft Fehlanzeige
Ganz schön viel Beton für Mainz. Dagegen klingen die aktuellen Änderungen der Grünsatzung wie ein klitzekleines Feigenblatt. So wurde doch immer wieder gemahnt, dass Frischluftschneisen nicht immer weiter zugebaut werden dürfen, sonst bleibe der Stadt irgendwann die Luft weg. OB Ebling appelliert dagegen an den Bedarf, sonst könne er gleich „sagen, tschüss, alles dicht, hier geht nichts mehr“. Es müsse nun „gemeinsam nach Lösungen geschaut werden. Bauen hat immer Auswirkungen auf das Klima. Ein Gutachten wird nie zu dem Ergebnis kommen, dass es gut sei, weitere Flächen zu versiegeln. Entscheidend ist, wie gravierend die Auswirkungen sind und wie wir sie ausgleichen können.“ Sieben Kaltlufteinzugsgebiete definiert der Landschaftsplan der Stadt, die über sechs Täler Kaltluft in die Stadt schleusen. Im Norden verlaufen die Schneisen von Finthen aus durch das Gonsbachtal und das Kisseltal, im Westen durch das Königsborntal und das Aubachtal, vor allem aber durch das Tiefental aus der Draiser Senke in Richtung Stadt. Im Südwesten versorgt die Marienborner Senke durch das Wildgrabental die Innenstadt mit kühler Luft, im Süden und Südwesten verlaufen die Schneisen entlang des Langgewanns und eben durch das Kesseltal. Die größten Kaltluftabflussmengen werden dabei im Aubachtal, im Kesseltal, in der Draiser Senke und im Wildgraben erreicht, heißt es im Landschaftsplan explizit. Doch diese so wichtigen Frischluftschneisen werden zunehmend von Neubauten eingenommen. So wurde die neue MEWA-Arena in das Kaltluftbecken der Draiser Senke gebaut und auch das Wildgrabental wird nachverdichtet: Am früheren Hildegardis-Krankenhaus entstehen Neubauten, am früheren Autohaus Müller in Zahlbach planen Investoren Neubaukomplexe – alles in der Frischluftschneise. Was tut man nicht alles für den Fortschritt…

Feldhamster-Problematik
Deutlich weniger klar ist die Lage beim Thema Artenschutz. Auf den besagten Feldern lebt eine der wenigen verbliebenen Populationen des vom Aussterben bedrohten Feldhamsters in Deutschland. Angesichts veränderter Rechtsprechung stellt sich nun die Frage, was passiere, wenn jemand vor diesem Hintergrund eine Klage einreiche. Die EU-Rechtsprechung hat sich so verändert, dass auch Populationen und Lebensräume geschützt sind. Die Mainzer Feldhamster gehörten zu den bedeutsamsten Populationen in Deutschland, wobei der größte Teil zwischen Hechtsheim und Ebersheim lebt. Die Stadt sei in Gesprächen mit dem Land, das derzeit ein Feldhamster-Schutzkonzept auflege.

GRÜNEN-Kreisvorsitzende
Christin Sauer ist begeistert

Grüne wollen Mainz als BioTechHub-Standort aktiv gestalten
Der Kreisvorstand der Mainzer Grünen prescht jedenfalls voran: „Die Weiterentwicklung des BioTech-Standorts Mainz wird in den kommenden Jahren eine unserer zentralen politischen Aufgaben sein. Mit unserem Leitantrag wollen wir die grüne Basis frühzeitig in diesen Prozess einbinden“, stellt die Kreisvorsitzende Christin Sauer fest. „Die Welt blickt auf Mainz. Deshalb muss es als Stadtpolitik unser Anspruch sein, bei der Entwicklung eines BioTechHubs nicht nur optimale Rahmenbedingungen für zukünftige Erfolge in der Biotechnologie zu schaffen, sondern auch zu zeigen, wie eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschafts- und Standortpolitik aussieht.“

 

CDU-Chef Thomas Gerster
kritisiert die Kommunikation

CDU kritisiert Kommunikationsdesaster
Thomas Gerster, der CDU-Kreisvorsitzende, kritisiert: „Es steht außer Frage, dass die Förderung des Biotechnologiebereichs mit Nachdruck vorangetrieben werden muss“. Wie die Stadt mit dem Thema umgehe, bereite ihm jedoch Kopfzerbrechen. Die neu eingerichtete Stabsstelle Biotechnologie habe zusammen mit der Grundstücksverwaltungsgesellschaft (GVG) gleich bei ihrem ersten Auftrag ein Kommunikationsdesaster zu verantworten, indem anscheinend nicht alle Eigentümer von den Flächen angesprochen wurden, die als neue Gewerbeflächen angekauft werden sollen. „Hier ist Oberbürgermeister Ebling an die Öffentlichkeit gegangen, um sich zu brüsten, bevor es einen Dialog mit den Betroffenen gegeben hat.“ Der wirtschaftspolitische Sprecher Ludwig Holle ergänzt, dass die Stadt darüber hinaus auch an entsprechende Wohnmöglichkeiten denken müsse, wenn ein Biotechnologie-Campus mit mehreren tausend Arbeitsplätzen geschaffen werden solle. In diesem Zusammenhang erinnere die CDU an ihre langjährige Forderung sowie an das Versprechen von Ebling aus dem OB-Wahlkampf, mit den Planungen eines neuen Stadtteils zu beginnen. „Alles in allem macht das Vorgehen einen unprofessionellen Eindruck und erweckt den Anschein, dass die Entscheidungen primär von Parteieninteressen getrieben sind.“ Ein Handeln zum Wohle der Stadt sowie der Bürger sehe anders aus.

ÖDP-Chef Claudius Moseler
fordert Masterplan für Mainz

ÖDP fordert Masterplan Stadtentwicklung
Die ÖDP-Stadtratsfraktion fordert die Erstellung eines Masterplans Stadtentwicklung 2040 für das gesamte Stadtgebiet, in dem sämtliche Themenfelder aufeinander abgestimmt entwickelt werden. Darunter seien insbesondere die Siedlungsentwicklung für Wohnen und Gewerbe, die Entwicklung von Erholungs-, Naturschutz-, Frei- und landwirtschaftlichen Flächen sowie die Infrastruktur mit Blick auf Bildungseinrichtungen, Kultur, Verkehrsflächen, einer ökologischen Mobilität und einer klimaneutralen Energieversorgung zu berücksichtigen – auch mit Blick auf den Beschluss zum Klimanotstand. Man brauche eine Gesamtstrategie anstelle von kleinteiligen Einzellösungen: „Aus unserer Sicht sollte die Stadtplanung sich wieder mehr den Bedürfnissen der Bürger widmen, anstatt nach den Wünschen von Investoren“, so ÖDP-Fraktionsvorsitzender Dr. Claudius Moseler.

OB Ebling und Finanzdezernent Beck leiten die Geschicke des Ausbaus (Foto: Sascha Kopp)

Geldsegen und -fluch für die Stadt
Währenddessen werden die ersten Steuergelder in Mainz investiert: für die Mainzer Mobilität, für mehr Grün in der Stadt, einen Sportplatz, das Taubertsbergbad, die Kinder- und Jugendhilfe und einiges mehr. Ein Paket im Umfang von 50 Mio. Euro ist unterwegs. Die CDU kritisiert, dass Investitionen in Schulen, Straßen und das Rheinufer fehlen würden. Doch „das Paket ist nicht Resultat eines Wunschzettels. Wir haben darüber nachgedacht“, so Finanzdezernent Günter Beck: „Ich befürchte, dass das eine der schwierigsten Haushaltsberatungen geben wird“, äußerte Beck sich kürzlich im Stadtrat. Es sei ein Irrtum, dass nach den hohen Gewerbesteuereinnahmen einfach nur überlegt werden müsse, wer welches Budget bekomme. „Es ist nicht so, dass hier eine Milliarde im Geldspeicher liegt und die Politik einen Wunschzettel schreibt.“

David Gutsche