Um die Kino- und Filmlandschaft in Mainz zu stärken hat die Stadt neben Dr. Morticia Zschiesche (Film- und Sozialwissenschaftlerin aus Heidelberg) drei lokale Experten beauftragt, ein nachhaltiges Kino-Konzept zu entwickeln: Urs Spörri, Prof. Dr. Marcus Alexander Stiglegger und Filmemacher Michael Schwarz. Wir haben mit ihnen gesprochen (Urs Spörri war leider erkrankt).
Wie seid ihr eigentlich „Kino-Berater“ der Stadt geworden?
Stiglegger: Ich bin in Mainz aufgewachsen und habe hier studiert und war auch lange als Filmwissenschaftler an der Uni tätig. Das heißt, für mich war das Capitol & Palatin ein wichtiger Ort, einfach auch der Kino-Kultur, und ich habe persönlich meine ersten Filme im Capitol gesehen. So war das wie ein Schock zu lesen, dass das Kino auf der Kippe steht. Und ich kenne natürlich auch die Betreiber und habe mich mit denen darüber unterhalten, und dann wurde mir klar, man muss sofort etwas unternehmen. Daraufhin habe ich eine Initiative angeregt (Mainz für Kino), die von Studierenden umgesetzt wurde und schnell gewachsen ist.
Schwarz: Dann kamen auch ich und Urs Spörri ins Spiel, wir drei kannten uns alle schon länger, und es folgte initiativ unser erstes Gespräch mit der Stadt bzw. dem Kulturdezernat im Februar letzten Jahres.
Was wurde im Kulturdezernat besprochen?
Stiglegger: Es ging darum, eine Form von Rat zu geben. Das heißt, vom Konstrukt ist das eine offizielle Beraterfunktion, die aber keine Entscheidungsmacht hat. Wir tragen Informationen zusammen. Wir sprechen mit den Leuten, die in den Bereichen Ahnung haben, und vermitteln das zu gewissen Konditionen als offizielle Berater. Das heißt, wir sprechen etwa darüber, was die Bedürfnisse sind in Bezug auf Kino-Kultur, fragen diese ab und übermitteln dann Protokolle, Gesprächsinhalte usw.
Die Bewerbungsunterlagen für neue Capitol-Betreiber sind jetzt online und die Hürden recht hoch…(?)
Schwarz: Es gibt viele Interessen, zum Beispiel bestimmte Ermäßigungen zu ermöglichen, oder auch den Wunsch, an die Tradition der alten Betreiber anzuschließen. Ein zentraler Punkt für quasi alle Interessengruppen ist aber, wieder möglichst viele aktuelle Programmkinofilme in Mainz zu sehen. Das wird im Ein-Saal-Betrieb des Capitol sicher eine Herausforderung. Aber es gibt ja schon Signale der Stadt hinsichtlich finanzieller Unterstützung, wenn zum Beispiel eine gemeinnützige Organisation das Capitol übernehmen sollte. Man ist da sehr ergebnisoffen, aber es ist dennoch ein Verfahren der Stadt, daher sind bestimmte Auflagen damit verbunden.
Die Stadt hat die Capitol-Immobilie angemietet. Dennoch wird das größte Problem für den neuen Betreiber das wirtschaftliche Auskommen sein, das umso geringer ist, je mehr Leute sich zusammentun – mit erst einmal nur einem Kino. Wie seht ihr das?
Stiglegger: Das ist eine Herausforderung. Und wenn das Publikum das nicht annehmen sollte, ist sowieso jeder Slot überflüssig. Deswegen ist die große Hoffnung und auch der Appell an das Publikum, dem Capitol die Treue zu halten. Sonst funktioniert es nicht. Aber es ist realistisch, etwa am Wochenende vier Slots mit einem Kino zu bespielen, vielleicht auch, wenn man Sonderveranstaltungen macht. Es ist meines Erachtens auch denkbar, andere Spielstätten zu evaluieren und das in Kombinationen mit zum Teil geförderten Veranstaltungen anzubieten. Noch mehr lohnt das Ganze natürlich erst, wenn die neuen (ehemaligen Palatin-)Kinos in der Hinteren Bleiche in drei bis vier Jahren fertig gebaut sind.
Noch interessant dabei ist der Stand zum Thema „Kommunales Kino“. Dieses leitet aktuell die AG Stadtkino im CinéMayence am Schillerplatz. Es soll aber bald in den Neubau an die Ludwigsstraße ziehen und könnte sich dort auch als weiteres neues Kino etablieren. Wird diese Thematik mitbedacht?
Schwarz: Das wird auf jeden Fall noch mal einiges verändern, und es ist zentral, dieses Kommunale Kino nicht in dieselben Hände wie Capitol/ Palatin zu geben, weil es zwei verschiedene Kinokonzepte sind. Kommunales Kino und Programmkino parallel zu haben, ist für eine Landeshauptstadt wie Mainz von größter Bedeutung – plus das Multiplex- Kino dazu. Dann haben wir tatsächlich wieder ein breites Spektrum an Kinokultur. Zentral dabei ist natürlich die Ausstattung der Kinos. Auch wenn es im Neubau des ehemaligen Palatin voraussichtlich nur noch drei Säle statt wie bisher vier geben wird, kann vieles durch moderne Kinotechnik und Ausstattung kompensiert werden.
Interview David Gutsche
HINTERGRUND
Seit drei Monaten sind die Capitol- und Palatin-Kinos geschlossen, nun kommt Bewegung in die Sache. Wie die Stadt mitteilt, habe man die Capitol-Immobilie auf 10 Jahre angemietet und sucht nun , auf der Website der Stadt Mainz, nach einem Betreiber. Interessierte Kino- Betreiber, Unternehmen oder Initiativen können sich bis Freitag, 15. März (12 Uhr) mit einem Konzept für den Interimsbetrieb im Capitol bewerben. Beim Programm soll der Schwerpunkt auf einem Angebot liegen, welches der Tradition des Capitol unter den letzten Betreibern nicht nachsteht und mittels möglichst großer Bandbreite und Diversität das Stammpublikum erhalten soll. Im Mittelpunkt sollen Arthouse-Filme, Blockbuster in Originalfassung sowie deutsche und europäische Produktionen stehen. Darüber hinaus sollen insbesondere die Kinder- und Jugendkinoarbeit und Angebote für alle Mitglieder der Gesellschaft Teil der Programmstruktur werden sowie Kooperationen mit Institutionen, Initiativen und Vereinen in Mainz und den lokalen Festivals erfolgen.
Jury-Entscheid
Über die eingereichten Bewerbungen entscheidet eine Vergabejury. Diese umfasst unter dem Vorsitz von Bau- und Kulturdezernentin Grosse neben Mitgliedern der im Kulturausschuss des Stadtrats vertretenen Fraktionen, auch externe Film- und Kinoexperten: – Nadine Gehm, Filmschaffende und Projektleiterin des Film- und Medienforums RLP – Hanna Reifgerst, Leiterin der Geschäftsstelle des Fördervereins Deutscher Kinderfilm e.V. und Kuratorin des Jugendfilm-Wettbewerbs Deutsches Kinder Medien Festival Goldener Spatz – Ursula Simgen-Buch, Mitbetreiberin der Programmkinos Union- Studio für Filmkunst in Kaiserslautern und Provinz Programmkino in Enkenbach – Joachim Kurz, Gründer und Herausgeber der „Kino-Zeit“ und Vorstandsmitglied des Bundesverbands kommunale Filmarbeit, sowie – Dr. Morticia Zschiesche (im vergangenen Jahr von der Landeshauptstadt Mainz beauftragte Kino- Expertin) und – Michael Schwarz (Dokumentarfilmer)
Hintergrund / Kommentar
Im vergangenen Jahr hatte die Stadt das Capitol in der Neubrunnenstraße angemietet, um den Erhalt der Mainzer Programmkinos zu ermöglichen, nachdem Investor Fischer+Co das Palatin-Gebäude erworben hatte, um es abzureißen und neu zu bauen. Nach vielem Hin und Her wurde kürzlich auch die im Capitol vorhandene Ausstattung inklusive Kinotechnik von der Stadt Mainz erworben, um das Kino betriebsfertig in neue Hände übergeben zu können. Dieser Prozess wurde mit den letzten Gremienbeschlüssen im Januar 2024 abgeschlossen und das Interessenbekundungsverfahren für den Interimsbetrieb im Capitol veröffentlicht. Der zukünftig vorgesehene Verbundbetrieb der Programmkinos an den Standorten Capitol und Hintere Bleiche 6-8 ist von diesem Interessenbekundungsverfahren nicht betroffen und würde zu einem späteren Zeitpunkt separat ausgeschrieben, wenn die Anmietung oder der Erwerb des neuen Kinos in der Hinteren Bleiche 6-8 ebenfalls von den zuständigen städtischen Gremien beschlossen werden sollte. Allerdings steht neben vielen Fragen insbesondere die große Frage der Finanzierung im Raum: Wie kann ein Betreiber nur ein (Capitol)Kino führen und dies auch noch wirtschaftlich, solange bis die anderen Kinos gebaut sind? Hier sind kreative Lösungen und Konstrukte gefragt. Auch ist die Latte für junge Bewerber recht hoch gelegt, zahlreiche Voraussetzungen werden gefordert. Dann bleibt auch noch offen, ob die neuen Palatin-Kinos mit drei Sälen von Fischer+Co erworben oder angemietet werden, und wann (oder ob?) das neue kommunale Kino an der Großbaustelle Ludwigsstraße entstehen wird, das derzeit im Ciné- Mayence am Schillerplatz residiert. Die Auswahl der Bewerber wird den weiteren Weg weisen. Sechs Wochen Frist ist nicht viel, ein Start des Capitol-Kinos im Frühsommer dennoch nicht unwahrscheinlich.