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Das Rauschen der City: Wie laut darf Stadt sein?

Fenster auf am Ring in der Neustadt: Ein Güterzug rattert vorbei. Dann kommt die Straßenbahn. Ein Flugzeug dröhnt im Landeanflug und im Hintergrund heult der wöchentliche Laubbläser. Permanent vorbeibrummender Autoverkehr fällt da schon gar nicht mehr auf. Lärm nervt nicht nur, sondern kann Körper und Psyche schaden.

Prof. Thomas Münzel: Krach schadet dem Herz (P. Pulkowski)

„Lärm macht krank und ruft insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervor“, sagt der Kardiologe Prof. Thomas Münzel, mittlerweile Seniorprofessor an der Mainzer Universitätsmedizin. Münzel, selbst als Anwohner von Fluglärm betroffen, forscht seit Jahren zu den Auswirkungen von Lärm auf die Gesundheit. Inzwischen ist sich die Fachwelt einig, dass Lärmwerte über 55 Dezibel krank machen – und zwar dadurch, dass durch Lärm Stresshormone ausgeschüttet werden, die langfristig wiederum das Herz schädigen. Auch ein Zusammenhang mit Krebs, Diabetes und Alzheimer konnte festgestellt werden. Besonders schädlich ist Lärm in der Nacht, wenn dadurch etwa der Schlaf verkürzt oder häufig unterbrochen wird. Der Umwelt- Kardiologe geht sogar so weit zu sagen, dass Lärm das am meisten unterschätzte Gesundheitsrisiko ist.

Arten von Lärm
Wenig überraschend: Städter leiden vor allem an Verkehrslärm. Und dieser nimmt, auch dank vermehrten Online-Shoppings, immer weiter zu. Denn irgendwie müssen die ganzen Pakete ja an unsere Haustür kommen. Ein LKW ist so laut wie sechs Autos. An großen Straßen liegt die Lärmbelastung oft bei mehr als 70 Dezibel. Dabei sind ärmere Menschen stärker betroffen, denn Wohnungen in Mehrfamilienblocks liegen zumeist ungünstiger als Einfamilienhäuser am ruhigen Stadtrand. Außerdem sind Menschen mit niedrigerem Einkommen im Beruf häufig mehr Lärm ausgesetzt. Auch wenn Kinder und Jugendliche unter Lärm subjektiv weniger leiden mögen als ältere Menschen, führt er bei ihnen doch zu Schlafstörungen und Konzentrationsproblemen. „Studien haben herausgefunden, dass Lärm die kognitive Entwicklung und die schulischen Leistungen beeinträchtigt“, weiß die Psychologin Dr. Donya Gilan, die zu umweltbedingten Stressfaktoren, zu denen auch Lärm gehört, geforscht hat. „Die Zeit“ hat Anfang des Jahres anhand von Daten des Bundesumweltamts die Lärmbelastung in 55 deutschen Großstädten verglichen. Mainz landete in Bezug auf den Straßenverkehr am Tag auf Platz 9 und beim Fluglärm auf Platz 3. Am stärksten belastet von Straßenlärm ist nach dieser Studie der Stadtteil Marienborn – kein Wunder, ist er doch eingezwängt zwischen A60, A63 und L426. Danach folgen Gonsenheim, die Oberstadt und Mombach.  Aber in einer Großstadt gibt es nicht nur Verkehrslärm. Auch laute Nachbarn oder Partys lassen die Gemüter hochkochen.  Am Rheinufer und in Teilen der Innenstadt prallt das Ruhebedürfnis der Anwohner auf das Freizeitbedürfnis der eher jungen Bevölkerung. Es steht zu befürchten, dass die kontrovers diskutierte Gestaltung des Nordmolen-Grünufers den Aufenthalt dort zugunsten der zahlungskräftigen Anwohnerschaft von vornherein zu verleiden versucht. Auch am Winterhafen kennt man entsprechende Aktionen.

Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger: Lärmaktionsplanung (Foto: Stadt Mainz)

Lärmaktionsplanungen
Durch die Umgebungslärmrichtlinie der EU und die Anpassung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sind Ballungsräume   verpflichtet, sogenannte Lärmaktionspläne aufzustellen. Der Lärmaktionsplan der Stadt Mainz von 2016 wird derzeit überarbeitet. Hierfür liegt ein Entwurf vor, zu dem sich die Bürger bis Anfang Juli äußern konnten. „Durch die Lärmkartierung wird deutlich, dass die vom Straßenverkehrslärm ausgehenden Lärmbelastungen ein erhebliches Problem darstellen“, heißt es dort. Die Straßenbahn, die Industrieanlagen und auch der Flugplatz Finthen sorgten dagegen nur für geringe bzw. keine Lärmbetroffenheiten. „Für weitere in Mainz ebenfalls relevante Lärmquellen, den Schienenverkehr der Eisenbahn und den Flugverkehr ausgehend von Frankfurt, ist die Stadt im Rahmen der Lärmaktionsplanung nicht zuständig“, heißt es weiter. Unabhängig davon wird auch für diese Lärmquellen die Belastungssituation aufgezeigt, denn „insbesondere der Fluglärm ist in der Wahrnehmung der Bevölkerung ein gravierendes Problem“. Laut Aktionsplan sind 54 Prozent der Mainzer regelmäßig Lärmpegeln ab 55 Dezibel ausgesetzt, in der Nacht wird für 61 Prozent der Schwellenwert von 45 Dezibel geknackt. Das ist   vergleichbar mit einem Fernseher, der ununterbrochen auf leiser Zimmerlautstärke läuft. Die empfohlenen Maßnahmen beinhalten „neben der Förderung der nachhaltigen und leisen Verkehrsmittel insbesondere eine leisere Abwicklung der verbleibenden Kfz-Verkehre einschließlich des Wirtschaftsverkehrs sowie die Berücksichtigung akustischer Aspekte bei der Straßenraumgestaltung“. Konkret schwebt der Stadt mal wieder die Förderung des ÖPNV und ein Ausbau des Radwegenetzes vor. Es wurden bereits LKW-Fahrverbote verhängt, der Verkehrsfluss soll durch „Grüne Wellen“ verbessert werden, es wurden teilweise schon lärmärmere Straßenbeläge verlegt – zur Reduzierung des Straßenbahnlärms Rasengleise eingesetzt. Dazu fährt die Mainzer Mobilität 23 Elektrobusse, und aktuell ist ein Bus mit Wasserstoffantrieb in Betrieb. Weiterhin laufen Prüfungen zur Einrichtung weiterer P+R-Anlagen.

Ein LKW ist so laut wie sechs PKWs (Foto: S. Dinges)

Tempo-Reduzierungen
Das wirkungsvollste Instrument gegen Verkehrslärm und Abgase sind aber immer noch Geschwindigkeitsreduzierungen. Während in der Innenstadt in den letzten Jahren weitere Tempo- 30-Zonen ausgewiesen wurden, tut sich die Stadt mit Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Autobahn schwer. Das ist zumindest der Eindruck der Initiative Lebenswertes Marienborn (ILM). Die Bürgerinitiative kämpft seit zwölf Jahren gegen die „gezielte Verlärmung von Marienborn“, aktuell vor allem für eine Verbesserung des Lärmaktionsplans, der ihr zufolge für die Vororte keinerlei Entlastung enthält. Die Initiative kritisiert unter anderem den Vorschlag, den Durchgangsverkehr aus der Innenstadt auf den Mainzer Ring zu verlagern. „Es entspricht nicht Sinn und Aufgabe eines Lärmaktionsplans, Maßnahmen vorzuschlagen, die die Belastung in einem Bereich höchster Priorität noch weiter erhöhen“, sagt Burkard Renk, einer der Sprecher der BI. Weiterhin fordert die BI eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h für die Autobahnabschnitte rund um Marienborn. Renk wohnt nur wenige hundert Meter von der A63 entfernt. „Wir müssen uns im Garten immer anschreien“, sagt auch eine lärmgeplagte Anwohnerin, die vor einiger Zeit einen Hörsturz hatte und jetzt an Tinnitus leidet. Auf Höhe ihres Hauses herrschen aktuell baustellenbedingt 100 km/h. In seiner jetzigen Fassung empfiehlt der Lärmaktionsplan für diesen und andere Autobahnabschnitte die Beibehaltung dessen. Dabei ruht der Autobahnverkehr rund um Marienborn quasi nie, schlafen bei offenem Fenster ist unmöglich. „Wenn die letzten Flughafenmitarbeiter von der Nachschicht kommen, sind die ersten zur Frühschicht schon wieder unterwegs“, sagt Burkard Renk.
Wenn es sich auf der Autobahn staut, nehmen zudem viele den Schleichweg durch den Ortskern von Marienborn. Auch den geplanten sechsspurigen Ausbau von A60 und A643 kritisiert die BI scharf. Dass Familien in den Schatten der Schallschutzwand ziehen oder dort sogar bauen, ist für ihn unbegreiflich. Der Lärmaktionsplan der Stadt beinhalte zu viele Empfehlungen und keine Verpflichtungen. Auch durch Fluglärm ist Marienborn belastet, genauso wie Hechtsheim, Weisenau und die Oberstadt. Dort dröhnt und pfeift es von 4.45 Uhr bis nach 23 Uhr. „Die Anflugroute von Westen her wird bei Ostwind und damit bei Schönwetterlagen genutzt, zu denen sich die Menschen naturgemäß vermehrt im Freien aufhalten und unter dem Fluglärm besonders leiden“, heißt es vonseiten der ILM. In Stoßzeiten würde Marienborn alle 50 Sekunden überflogen.

Weniger Fluglärm durch „Segmented Approach“?
Fluglärm betrifft in absoluten Zahlen weniger Menschen – doch diese leiden oft besonders. Entlastung bringen soll zumindest in der Nacht eine geänderte Anflugroute mit zusätzlichen Kurven, um besiedelte Gebiete zu umfliegen. Durch das „Segmented Approach“ genannte Anflugverfahren könnten viele Hochbetroffene in Mainz entlastet werden. „Es ist gut, dass man handelt. Es macht aber auch deutlich, dass der beste aktive Schallschutz immer noch jedes Flugzeug weniger am Himmel ist. Daher fordert auch die Stadt Mainz weiterhin die Einhaltung der gesetzlichen Nacht von 22 bis 6 Uhr“, sagt Umweltdezernentin Janina Steinkrüger. Aktuell ist der segmentierte Anflug allerdings nur in Zeiten mit geringem Verkehrsaufkommen möglich, weil die Lotsen Landungen auf der Landebahn Nordwest und der Südbahn aufeinander abstimmen müssen und diese einen Mindestabstand einhalten müssen. Klammere man die Phasen aus, in denen der Segmented Approach aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt werden konnte, seien seit vergangenem Dezember nachts mehr als sechs von zehn Anflügen auf der Kurvenroute erfolgt. Meist habe es sich dabei um mittelgroße Flugzeuge gehandelt, da schwere Maschinen selten nach 22 Uhr landeten. Verspätete Landungen nach 23 Uhr würden in den allermeisten Fällen – zu fast 85 Prozent – im Segmented Aproach geflogen. „Dieses Verfahren wird unter den Fluglärmgegnern kontrovers diskutiert, da der Lärm insgesamt nicht verringert, sondern in andere Gebiete verschoben wird. Dennoch werden durch dieses Verfahren diejenigen Menschen mindestens für eine Stunde entlastet, die den Rest des Tages am stärksten vom Fluglärm betroffen sind“, sagt Lars Nevian von der Initiative Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im Luftverkehr e.V. (IKUL). Die Initiative hat die Landesregierung unter Ministerpräsident Alexander Schweitzer kürzlich aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zur Schaffung eines umfassenden Nachtflugverbots an stadtnahen Flughäfen einzuleiten. „Der rheinland-pfälzische Koalitionsvertrag regelt ausdrücklich, dass ein solches Nachtflugverbot dringend erforderlich sei“, so Nevian.

Resilienzforscherin Dr. Donya Gilan gibt Tipps gegen Lärmstress (R. Haindl)

Resilient gegen Lärm?
Für wen ein Umzug keine Option ist, der kann immerhin selbst etwas dazu beitragen, dass der Krach vor der Haustür nicht mehr ganz so sehr stresst. Resilienzexpertin Dr. Donya Gilan empfiehlt Lärmgeplagten, das Bett in den ruhigsten Raum zu stellen. Im Extremfall könne das auch mal die Küche sein. Auch Teppiche, Polstermöbel und Vorhänge in der Wohnung schlucken Schall. Sogenannte White-Noise-Geräte könnten helfen, in der Nacht seltener aufzuwachen. Dadurch werden laut Forschung die wichtigen Tiefschlafphasen gefördert. Achtsamkeitstraining, Entspannungs- und Atemübungen können helfen, den Lärm zu einem Hintergrundgeräusch umzudeuten. Gilan möchte aber betonen, dass es nicht allein Sache des Einzelnen sei, für seine Gesundheit zu sorgen. „Die Politik muss die Wohnumgebung der Menschen schützen“, so Gilan, die für die SPD selbst zuletzt für den Stadtrat kandidiert hat. Was bleibt also? Lärm in der Stadt stellt ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko dar, dem sich viele Menschen täglich ausgesetzt sehen. Während technische Maßnahmen wie Temporeduzierungen oder leisere Verkehrsmittel die Lärmbelastung reduzieren können, liegt es auch an der Politik, langfristige Lösungen zu schaffen, die den Schutz der Bevölkerung gewährleisten. Dennoch können individuelle Strategien, wie weniger Autofahren, weniger Fliegen und das Schaffen von ruhigen Rückzugsorten und gezielte Entspannungstechniken, einen Beitrag leisten, um mit dem urbanen Lärm umzugehen. Die Frage bleibt jedoch: Wie viel Krach ist akzeptabel, und welche Maßnahmen sind wir bereit zu ergreifen, um eine gesündere und leisere Stadt zu gestalten?

Text: Katja Marquardt

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