Wir leben in einer Zeit, in der Museen von jetzt auf gleich keine Bildungseinrichtungen mehr sind, sondern Freizeitgestaltung und mit einem Lockdown auch geschlossen werden können. Zwar werkelt man hinter vielen Kulissen weiter, doch nicht zuletzt auch hier – mitten in der Kultur – kämpfen Künstler ums Überleben. Darunter befinden sich auch zwei fast schon traditionsreiche Institutionen, bei denen sich schon vor Corona Schwierigkeiten anbahnten. Beide eint die Vielzahl und Diversität ihrer Kunst- und Kulturschaffenden. Es sind zwei – wenn nicht die zwei – großen Kreativ- und „Kunstfabriken“ von Mainz: das „Atelier neun“ in der Neustadt sowie das Atelierhaus Waggonfabrik auf dem Industriegelände der ehemaligen Waggonfabrik in Mombach.
Immobilienwechsel in der Neustadt
Das „Atelier neun“ in der Heidelbergerfaßgasse 18 hat sich seit seiner Gründung im Januar 1994 zu einer Kunstinstitution mit ungewöhnlichem Konzept entwickelt: als Produktionsstätte und gleichzeitig als Ort der Präsentation von Kunst. Das idyllische Hinterhaus gehörte damals zu den verborgenen Schätzen, wo sich noch kleine Handwerksbetriebe halten konnten und diverse Künstler bezahlbaren Raum fanden. Unabhängig von staatlicher Förderung wagten die sechs Gründungsmitglieder wie Anne Kuprath oder Thomas Zimmermann die aufwendige Instandsetzung des Hinterhauses mit dem Ziel, großzügige Atelierflächen zu schaffen, um möglichst vielen Künstlern Raum zu geben. Aktuell arbeiten 12 Künstler und 14 Musiker (Proberäume) dort. Das läuft seit vielen Jahren gut, inklusive Teilnahme an den Mainzer Museumnächten, Ausstellungen von Gastkünstlern, Lesungen, Musikveranstaltungen, Theater und vielem mehr. Doch nun steht das „Atelier neun“ möglicherweise vor dem Aus. Eine Immobiliengesellschaft hat fünf Areale in der Neustadt gekauft, um sie in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Noch wurde dem Atelier keine Kündigung zugestellt. Doch um das Haus zu erhalten oder auch zu erwerben, steht es fünf vor zwölf. Die Künstler haben mit vier Unterstützern einen Verein gegründet, um auch eine mögliche Kaufoption zu prüfen. Über Startnext haben sie eine Crowdfounding-Kampagne erstellt mit frei wählbarer Spende oder Dankeschöns ab 10 Euro. Und was tut die Stadt bzw. das Kulturamt, um die traditionsreiche Ateliergemeinschaft zu retten? „Man habe ein gutes Gespräch mit Kulturdezernentin Marianne Grosse geführt und ein Empfehlungsschreiben erhalten“, so Pia Eisenbarth, eine der Künstlerinnen im Atelier. Ein Gespräch mit OB Michael Ebling stehe noch aus – Zukunft also ungewiss.
Eigentümersorgen in Mombach
Das zweite große Mainzer Atelierhaus befindet sich in der sogenannten alten Waggonfabrik am Rand von Mombach. Es besteht aus 14 städtischen Förderateliers, die die Stadt Mainz für maximal fünf Jahre an bildende Künstler vergibt, die kein eigenes Atelier besitzen. Im Atelierhaus sind unterschiedliche künstlerische Positionen von Malerei über Grafik, Bildhauerei, Fotografie bis hin zu Installations- und Videokunst vertreten. 2019 haben die Ateliers ihre Mieter gewechselt. Sie sind heiß begehrt, besonders bei den Absolventen der Kunsthochschule. Dazu gehört auch, dass die Ateliers und die Künstler sich in der Regel mit ein bis zwei Veranstaltungen im Jahr auf öffentlichen Rundgängen vorstellen. „Das hat immer gut geklappt. Sowohl die Kommunikation mit dem Vertreter der Eigentümer ‚Triwo‘ als auch dem Kultur- und Liegenschaftsamt der Stadt Mainz hat funktioniert“, sagt Stefan Budian, der damalige Ateliersprecher. Doch es hat sich geändert: Trotz ausgeklügeltem Hygienekonzept wurde der in Corona-Zeiten anvisierte Rundgang „Late Spring Opening“ kurz vor Eröffnung im September mit der Begründung „Brandschutz“ abgesagt. Die genauen Hintergründe liegen im Dunkeln. Behördenstrukturen und aktuelle Corona-Maßnahmen haben den Prozess zusätzlich verlangsamt. Möglicherweise lag es auch an bestimmten Feierlichkeiten und hin und wieder „unaufgeräumten Gemeinschaftsräumen“ nach einem Rundgang: Wie auch immer, die plötzliche und kurzfristige Absage kam für alle überraschend. Im Atelierhaus versteht man die Welt nicht mehr, gibt sich jedoch gemeinsam mit Triwo und Stadt zuversichtlich, „dass die Zukunft des Atelierhauses nicht in Gefahr ist, im Gegensatz zum Atelier neun“, so Künstlersprecher Bastian Piejko. Eigentümer, Stadt und Künstler sollten sich an einen runden Tisch setzen und verhandeln, doch dies ist in Corona-Zeiten nicht einfach. Und eines steht jetzt schon fest: Das Wort „Brandschutz“ würde sicherlich erneut wieder fallen. Die beiden renommierten großen Mainzer Atelierhäuser also in einer Bredouille mit ungewissem Ausgang? In Bälde mehr dazu, weitere Verzögerungen wären kontraproduktiv.
www.atelierhaus-waggonfabrik.de
www.atelier-neun.de
www.startnext.com/atelierneun
Text Marianne Hoffmann