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Billigkäse gegen die Fleischindustrie: Perspektiven auf den Vegetarismus

Möhren-Milieu Veggiwagen auf dem Mainzer Neubrunnenplatz Foto: Sascha Kopp Foto: hbz/Judith Wallerius - No Model Release
von Thomas Bittel, Fotos: Thomas Bittel (Interviews) & Sascha Kopp (Möhrenmilieu)

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“, schleudert Macheath in Brechts „Dreigroschenoper“ dem Bürgertum entgegen. Heutzutage scheint die Priorität des „Fressens“ längst nicht mehr so selbstverständlich wie zu Brechts Zeiten. Je nach Studie ernährt sich jeder zehnte Mensch in Deutschland bereits vegetarisch, Tendenz steigend. „Der Trend ins Vegetarische ist unaufhaltsam. Vielleicht isst in 100 Jahren kein Mensch mehr Fleisch“, mutmaßt der ehemalige Generaldirektor von Nestlé, Helmut Maucher.

Möhren für Mainz
Auch in Mainz liegt die fleischlose Ernährung im Trend und hat mit dem „Möhrenmilieu“ einen ersten mobilen Imbissstand, der sich auf vegane Speisen spezialisiert hat. Die Idee stammt von Markus Kemen und Daniel Kalbfuß; die beiden studieren eigentlich Kommunikationsdesign an der Mainzer Fachhochschule, wagen sich jetzt aber als Imbissbuden- Betreiber auf kulinarische Ausflüge. Und dabei fallen sie nicht nur mit ihrer Menütafel auf, auf der sich Gerichte wie „Gemüse-Kebap“, mit Erdbeeren gefüllte Pita-Taschen oder Nudeln aus Zucchini und Karotten mit veganer Bolognese befinden – auch ihr Gefährt ist ein echter Hingucker. In einem grau-roten Citroen HY aus dem Jahr 1974, der in- nen mit allem ausgerüstet ist, was man für den mobilen Imbissbetrieb braucht, touren sie von Fest zu Fest. Und sind selbst überrascht von dem Zuspruch, den sie für ihre Idee so spontan erhalten. Vegan ist für die beiden dabei kein Experiment, sondern eine Lebenseinstellung. Beide leben vegan, „aus ethischen und ökologischen Gründen“, sagt der 25-jährige Markus Kemen. Mit dem Imbiss wollen sie nicht nur dafür sorgen, dass es auf Festen und Veranstaltungen mehr Alternativen für Veganer und Freunde des veganen Essens gibt, sondern auch gängige Vorurteile widerlegen und aufklären: „Wir möchten zeigen, dass veganes Essen genauso vielfältig und modern sein kann wie nicht-vegane Ernährung.“ Auch andere Mainzer Locations riechen den Trend: In der Mensa auf dem Campus stehen vegetarische und vegane Alternativen fest auf dem Speiseplan und immer mehr Läden nehmen vegetarische Gerichte in ihre Menüs auf. Viele Cafés bieten bereits Sojamilch an und erste Gastronomen entdecken die Vielfalt der veganen Küche.

Veganer oder Vegetarier?
Doch was sind eigentlich die Unterschiede zwischen den Ernährungsarten? Als Vegetarier werden zumeist Menschen bezeichnet, die keine Tier(leichenteile) wie Fleisch, Fisch oder Gelatine essen. Ursprünglich bezeichnete der Vegetarier-Begriff jedoch Leute, die heute wiederum als Veganer gelten. Veganer lehnen alle Produkte ab, die mit Tierleid in Verbindung stehen. Sie vermeiden über tote Tiere hinaus auch Käse, Eier, Honig und sämtliche Produkte, zu deren Herstellung Tiere benötigt oder die an Tieren getestet werden. Konsequent vegan zu leben ist anspruchsvoller und zeitintensiver als die vegetarische Ernährung, da auch der Produktionsprozess nachvollzogen werden muss. Die Umstellung auf eine vegetarische oder vegane Lebensweise folgt gesundheitlichen, religiösen, umweltpolitischen oder ethischen Motiven. Diese reichen von der Ablehnung der Massentierhaltung bis zur vollständigen Anerkennung eines Lebensrechtes bei Tieren. Hierbei wird oftmals ein so genannter „pathozentrischer“ Ansatz geltend gemacht: Nicht die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies, sondern die Leidensfähigkeit eines Lebewesens ist das zentrale Kriterium. Während der Vegetarismus unter einer artgerechten Haltung die Interessen der Tiere trotz der Nutzung ihrer Produkte gewahrt sieht, fordert der Veganismus die Befreiung der Tiere aus sämtlichen Verwertungszusammenhängen. Es wird argumentiert, dass alle vom Menschen benötigten Nährstoffe genauso gut aus pflanzlichen Quellen gewonnen werden können. Einen legitimen Grund, Tiere für unsere Zwecke auszubeuten oder zu töten, gibt es (hier) nicht. Ein Umstand, der offenbar immer mehr Menschen bewusst wird.

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Vincent (22 Jahre) ernährt sich vegetarisch

Wie bist du dazu gekommen, dich vegetarisch zu ernähren?

Nach meiner Schulzeit hat sich mein Freundeskreis stark gewandelt, so dass ich mich mit dem Thema Vegetarismus beschäftigt habe und das ausprobieren wollte. Da ich das Fleisch in der Mensa ziemlich ekelhaft fand, fiel mir der Schritt nicht gerade schwer. Dabei finde ich es prinzipiell nicht verwerflich, Fleisch zu essen, möchte aber die Massentierhaltung nicht unterstützen.

Hast du schon mal versucht, dich vegan zu ernähren?

Nicht dauerhaft. Wenn ich selbst koche, ist es meistens vegan. Gehe ich außerhalb essen, achte ich aber nicht unbedingt darauf, zum Beispiel bei Pizza. Ich fände es blöd, Veganismus nicht komplett durchzuziehen, obwohl ich ihn eigentlich richtig finde.

Bist du zufrieden mit dem vegetarischen Angebot in Mainz?

Eigentlich schon. In fast allen Gastronomien werden vegetarische Speisen angeboten. In Biomärkten gibt es eine große Auswahl vegetarischer Produkte und beim Möhren-Milieu esse ich auch gerne. Allerdings fehlt ein rein vegetarisches Restaurant mit einem großen Angebot, das sich beispielsweise nicht auf die indische Küche beschränkt.

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Jasmin (35 Jahre) ernährt sich vegan

Wie bist du dazu gekommen, dich vegan zu ernähren?

Seit meinem neunten Lebensjahr ernähre ich mich vegetarisch, nachdem ich im Urlaub auf einem Bauernhof gesehen habe, wie Kühe zur Schlachtung abgeholt wurden. Kurze Zeit darauf habe ich in einer Fernsehzeitschrift gelesen, dass Küken lebendig geschreddert oder vergast werden. Eier wollte ich dann auch nicht mehr essen. Jahre später war ich noch einmal auf dem Bauernhof zu Besuch und musste eingestehen, dass ich die Milchproduktion, die ich damals noch als unproblematisch empfunden habe, verklärt habe. Die Ställe waren dunkel und stark verschmutzt, die Kälbchen von ihren Müttern getrennt. Als ich mich nach der Geburt meiner Tochter über die vegetarische Ernährung von Kindern informiert habe, stieß ich auf Studien, die in Milch enthaltene Wachstumshormone mit Krebs und Milcheiweiß mit Allergien in Verbindung bringen. Aufgrund dessen haben wir auf eine vegane Ernährung umgestellt.

Ergänzt ihr eure Ernährung durch Vitaminpräparate?

Wir nehmen alle Vitamin B12. Neben den frischen und abwechslungsreichen Speisen ist es das einzige, was wir brauchen. Ich finde es nicht wichtig, es auf natürlichem Weg aufzunehmen. Tierprodukte sind genauso mit B12 künstlich angereichert.
Wo kauft ihr eure Lebensmittel und worauf müssen Veganer dabei achten?
Wir kaufen fast nur in Biomärkten oder frisch beim Bauern. Man muss als Veganerin nicht unbedingt bio einkaufen, aber es macht vieles leichter, weil dort auf versteckte tierische Zusätze in der Zutatenliste weitgehend verzichtet wird. Wir achten auch darauf, dass kein Palmfett drin ist, dass Saft, Wein und Essig nicht mit Gelatine oder Fischblase geklärt wurden und dass Kaffee und Kakao fair gehandelt werden. Ich fände es widersprüchlich, Tierleid umgehen zu wollen und dann Kindersklaverei zu unterstützen.

Wie stehst du zum Vegetarismus?

Vegetarier essen zwar keine toten Tiere, nehmen Tierqualen und -tötung aber in Kauf und finanzieren diese. Ich habe letztens jemanden kennen gelernt, der sich auf eine vegane Ernährung umstellen möchte, aber zuerst Milchprodukte weglässt und weiterhin Fleisch isst. Er tut damit das Gleiche wie Vegetarier: Er lässt eine Kategorie von Tierprodukten aus. Solange er das nicht mit dem Konsumieren einer anderen Kategorie kompensiert, ist es aber ein Schritt in die richtige Richtung. Manche werden von heute auf morgen vegan, andere brauchen eine Umstellungsphase. Wer aber im Vegetarismus verharrt, dem fehlt es an Konsequenz oder an Information.

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Lukas (26 Jahre) isst ab und zu Fleisch

Wie stehst du zum Vegetarismus?

Der Grundansatz, allen Lebewesen ein angemessenes Leben ermöglichen zu wollen, mag einleuchtend sein. Deswegen seinen Käseverbrauch, für den Tiere genauso gefangen gehalten werden müssen, um das Zehnfache zu erhöhen, finde ich widersprüchlich. Wenn Selbstversorger auf einem Bauernhof leben und sich mit den Produkten ihrer Tiere versorgen, ist das etwas anderes, als mit Billigkäse aus dem Supermarkt diesen Widerspruch aufheben zu wollen.

Hast du schon mal versucht, dich vegetarisch zu ernähren?

Eine längere Phase über habe ich mich vegan ernährt. Wenn man viel zu tun hat, wird es jedoch schwierig, das im Alltag umzusetzen, da die nötige Infrastruktur fehlt. Ich habe nicht die Zeit, meinen Fokus auf das Essen zu richten. Außerdem stehe ich viel zu sehr auf Gerichte mit überbackenem Käse. Hut ab vor den Leuten, die ihren Veganismus konsequent durchziehen.

Du bist aber nicht einverstanden mit der gewöhnlichen Fleischproduktion?

Nein, überhaupt nicht. Deswegen esse ich auch nur wenig Fleisch und wenn, dann bewusst. Es ist allerdings auch eine Kostenfrage. Während man Fleisch im Supermarkt hinterher geworfen bekommt, ist eine vegane Ernährung wesentlich kostspieliger. Gerade als Student ist es schwierig, sich dauerhaft vegan zu ernähren.

www.vebu.de