In der Welt der elektronischen Musik haben Frauen einen immer größer werdenden Einfluss. Diese Frauen mischen die Szene auf.
Tante Kante & Trockener Sekt
Die Tanzfläche ist voll, die Menschen tanzen, trinken, knutschen. Die Stimmung ist so schwül, dass die Nebelmaschine fast überflüssig ist – und das um 15 Uhr an einem Samstagnachmittag in Wiesbaden. Alles scheint normal unter den Tanzenden im Kesselhaus des Schlachthofs Wiesbaden, doch eine Sache ist besonders: Sogenannte „Cis-Männer“ stehen bei dieser Veranstaltungsreihe nie am DJ-Pult, stattdessen legen hier FLINTA*s (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans- und agender-Personen) auf. An diesem Nachmittag steht u.a. Luzie aus Offenbach an den Decks. Als Mitglied eines FLINTA*-Kollektivs setzt sie sich in Frankfurt für die LGBTQIA+ Community ein und bespielt Clubs wie die Panorama Bar in Berlin oder das Robert Johnson in Offenbach. Der Daytime-Rave „Club Loyal“ ist eine Veranstaltungsreihe mit einem besonderen musikalischen Anspruch, initiiert vom DJ-Duo „Tante Kante“ und „Trockener Sekt“. Der Schlachthof bot den beiden an, eine eigene Veranstaltung umzusetzen mit dem Ziel, mehr weiblich gelesenen Personen der Szene eine Bühne zu geben. „Es fällt einfach auf, dass oft nur Typen auf den Plakaten stehen“, sagt Selma alias Trockener Sekt. „Unsere Szene ist zum Teil noch sehr männlich geprägt und es kommt einfach häufig vor, dass Veranstaltungen komplett aus Männerhand organisiert sind. Das wollten wir ändern“, sagt Svenja alias Tante Kante. „Club Loyal“ will zeigen, dass es anders geht und dass FLINTA*s in der Szene existieren und ernst zu nehmen sind. Die Veranstaltung ist beinahe ein Unikat in einer Szene. Frauen halten mehr und mehr Einzug – auch hier in der Region. Svenja und Selma connecten durch die Veranstaltung viel in der Szene. Ihre Erfahrungen: Man müsse sich mehr beweisen, sobald man als FLINTA*-Person auflegt: „Ich kenne es von vielen Kollektiven, in denen ausschließlich männliche DJs dabei sind, dass eine Veranstaltung so organisiert wird, dass einfach alle aus dem Kollektiv durchspielen. Dann ist der Abend fertig geplant. Dass dabei FLINTA*s gar nicht vorkommen, wird dann gar nicht bedacht“, sagt Selma. „Und dabei spielt es dann oft kaum eine Rolle, wie viel Erfahrung jemand hat, die Jungs machen halt ihr Ding“, ergänzt Svenja. Bis man als Frau hinter die Decks dürfe, das dauere. Die gleiche Erfahrung machten beide mit ihrer Veranstaltung „Club Loyal“: „Uns fehlte aus der Szene die Unterstützung.“ Eigentlich ist es so, dass man sich in den sozialen Netzwerken gegenseitig unterstützt. Bei ihren Veranstaltungen sei das anders gewesen. „Wirklich niemand hat uns auf Social Media unterstützt, und es gab Gerede, dass bestimmte Leute unsere Veranstaltung aktiv meiden würden, weil keine Männer auflegen“, sagt Svenja. „Deshalb ist das hier viel mehr eine politische Veranstaltung, als eine Party“. Bislang haben die beiden im „Club Loyal“ selbst aufgelegt. „Aber wir wurden genug gehört. Wir wollen anderen den Vortritt lassen und durch ein gutes Booking spannende FLINTAs* in den Club Loyal holen.“ Sie laden meist eine Artist von außerhalb ein und eine aus der Region – wenn möglich. Die Vibes bei dem Konzept: immer gut. Der nächste „Club Loyal“ startet am 4. Mai von 12 bis 18 Uhr u.a. mit der Wahl-Leipzigerin eves120.
Amina
Wie gut die Stimmung im „Club Loyal“ ist, konnte Amina aus Mainz bereits erleben. Im Oktober war sie im „Club Loyal“ als DJ. „Ich fand es perfekt für so ein Tagesevent“, sagt sie. In kleineren Locations käme immer eine gute Stimmung auf. Die 31-Jährige ist ausgebildete Musical-Darstellerin. Neben Rollen am Theater schreibt sie eigene Texte und Stücke, macht also viel und gute Musik, ist Radio-Moderatorin und seit kurzer Zeit auch DJ. Amina fand das Musik-Machen schon immer interessant. Doch die Jahre zuvor hat sie mehr gesungen und Theater gemacht: „Ich finde auflegen so geil, eigentlich müsste ich das jetzt machen“, und hat damit angefangen: „Auflegen musste ich mir erst mal beibringen.“ Doch mit jedem Üben werde man besser. Was außer Übung notwendig ist, um auflegen zu können, weiß sie auch: Kontakte in der Szene. In der Region hat sie unter anderem bereits im off, im bürro und im Schlachthof gespielt. Im Sommer war sie im Mjut in Leipzig zu Gast. „Ich bin da allgemein durch Kontakte drangekommen. Weil ich über irgendwen dann irgendwen kenne“, sagt sie. „Ich bin ja hier aufgewachsen.“ Ihr Ex-Freund habe aufgelegt, ihr aktueller Freund ist auch DJ und Club-Betreiber, und auch in ihrem Freundeskreis sind viele, die regelmäßig auflegen a la Fuchsbau & Co. Als Frau benachteiligt fühlt sich Amina gar nicht: „Ich kenne Mädchen, die sich benachteiligt fühlen, ich kenne aber auch welche, die sich nicht benachteiligt fühlen“, sagt sie. Allgemein sieht sie, dass es noch mehr Männer gibt, die bei Events am Mischpult stehen. „Ich denke aber, wenn du fleißig bist und gute Musik spielst, dann wirst du auch gebucht. Es kommt auf den Sound an, weniger auf das Geschlecht.“
Lady Sunrise
Auch Caro, die als „Lady Sunrise“ auflegt, ist mit einem DJ zusammen. Sie wohnt seit einem knappen Jahr in Nieder-Olm, davor hat die Flugbegleiterin ihr Talent zum Auflegen in Frankfurt entdeckt – während der Pandemie. Mit YouTube-Videos hat sie zunächst auf einer App auf ihrem IPad geübt. „Weil die Clubs geschlossen waren, habe ich mir mit meinen Freunden gedacht, wie toll es wäre, Clubs nach Hause zu holen.“ Ihre Freunde fanden das passend, da sie sich schon immer für Musik interessiert hatte. Als später Veranstaltungen wieder anrollten, bekam sie einen Spot als Newcomerin beim Christopher Street Day in Frankfurt: „Ich stand das erste Mal allein auf so einer Bühne, hatte mir schöne Musik, ein schönes Set zusammengesucht, und als die erste Aufregung sich gelegt hatte, hatte ich auch viel Spaß.“ Anschließend legte sie auch bei den CSDs in Köln, München und Hamburg auf und lernte über das Hobby ihren Mann, DJ DNS, kennen. Zusammen sind sie regelmäßig in Frankfurt in der Housebar55. Nun möchte sie sich mehr nach Mainz orientieren. Doch ohne Netzwerk und Beziehungen geht es nicht. Generell sei es als Newcomer-DJ schwierig reinzukommen, die meisten Auftritte kommen über Beziehungen zustande: „Es war mein größtes Glück, dass ich meinen Mann kennengelernt habe, der macht das seit 25 Jahren und 80 Prozent der Auftritte habe ich ihm und seinem Netz zu verdanken.“ Im Januar ergatterte sie dann doch einen Gig im Mainzer „Schick“. Über Instagram hat ein Kollektiv einen Aufruf für Newcomer gemacht: „Das hat mir mein Mann geschickt und ich habe mich beworben“, sagt Caro. Der Abend hat ihr gut gefallen. Das Set hat sie gleich auf Soundcloud geladen. Eine Benachteiligung gegenüber männlichen DJs empfindet sie nicht. „Es ist zwar immer noch eine eher männliche geprägte Branche“, sagt sie. „Aber Frauen und andere sind genauso auf dem Vormarsch, und ich denke, es kommt auf das Netzwerk an.“ Sie sieht in den Aufrufen von Kollektiven oder Promotern, die immer häufiger speziell Frauen suchen, eine große Chance.
Taira
„Es verändert sich jetzt etwas im Musik Business“, sagt auch Taira, die als Taira Soleil auflegt. „Es ist die Zeit für Female Artists.“ Die 28-Jährige ist erst vor knapp einem Jahr nach Mainz gezogen, davor war sie in Stuttgart und Köln. Aufgelegt hat sie zuletzt in Frankfurt in der Pracht, in Mainz hat sie bisher zwei Gigs absolviert. Einen davon verdankt sie ihrem Set auf Soundcloud: „Jemand vom Kollektiv „Kleinlaut“ hat das über mein Instagram-Profil gesehen und mich gefragt, ob ich auflegen will“, erzählt sie. Benachteiligt fühlt sie sich auch nicht, höchstens bei Einladungen zu Gigs: „Wer lädt die Leute zum Auflegen ein? Das sind meistens Jungs.“ „Woman support Women“ funktioniere erst langsam. Seit der Pandemie würde sie verstärkt von Frauen hören, die in den Lockdowns angefangen haben aufzulegen. In der Zeit der Pandemie hätten gerade Party-People ihr Ausgehen wieder in WG-Partys verlagert. Sie habe das mit einer Freundin genauso gemacht: „Wir Ladies trauen uns inzwischen schönerweise deutlich mehr zu.“ Dabei spricht sie auch von Selbstverantwortung, da es am Anfang bei jeder allein läge, sich hinzustellen und Sets aufzunehmen. „Innere Überwindung und Mut gehören dazu. Einfach mal machen und nicht viel nachdenken.“ Die eigentliche Aufgabe sei es, den eigenen Sound zu finden.
Franzi Dries
Auch die damals 22-jährige Studentin Franziska aus Mainz entdeckte während der Pandemie ihre Leidenschaft für das Mischpult, während sie noch zu Hause im Rheingau mit ihren Eltern war. Es war ihre Mutter, die sie ermutigte, Sets aufzunehmen und sie auf Soundcloud hochzuladen, während sie auf Instagram darauf verwies. Schnell erhielt sie ihre erste Anfrage: Das Weingut Dillmann, das für elektronische Events im Rheingau bekannt ist, hatte sich gemeldet. „Sie fanden es toll, endlich mal eine Frau im Rheingau zu haben, und wollten das unbedingt unterstützen“, sagt Franziska. Während der Lockdowns streamte sie nebenbei mit Freunden auf Twitch und legte auch dort auf. „Das war immer super Gaudi“. Ihr erster Club-Gig fand im Dezember 2021 im MTW Offenbach statt: „Bei mir ging es relativ schnell, dass ich die Clubs fix hatte.“ Es folgten weitere Gigs in Frankfurt, Mainz, Freiburg und Köln. Franzi spielt mittlerweile bis zu sieben Gigs im Monat und musste demnach schon schnell nicht mehr aktiv nach Aufträgen suchen. Sie vernetzt sich viel mit Promotern und anderen DJs. „Aber ich kann mir vorstellen, dass es für viele schwer ist, Fuß zu fassen…“ Oft ist sie die einzige Frau, die am Abend auflegt. Vielen fehle auch der Mut oder die Lust, sich zu zeigen: „Als Frau fragt man sich ja immer, ob man gut genug ist …“ Mittlerweile ist sie bei einer Agentur, die Künstler*innen unterstützt. Dort versuche man auch gezielt, mehr FLINTA*-Personen aufzunehmen: „Aber es ist nicht leicht, sie zu finden. Man kennt einfach keine.“ Sie hat bereits Workshops angeboten, in denen FLINTA*-Personen auflegen, sich vernetzen und ausprobieren können. Daraus ist auch ein neues Kollektiv entstanden. Der Anteil an Female Artists in der Branche steigt also. Es wird immer besser, wissen die meisten zu berichten: Für Frauen ist es die perfekte Zeit!
Text Maren Kaps Fotos Katharina Dubno