Univ.-Prof. Dr. Alf Giese, 45 Jahre, seit dem 15. April in Mainz als Direktor der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin und Inhaber des Lehrstuhls für Neurochirurgie.
Interview: David Gutsche
Foto: Ramon Haindl
Worum geht es bei der Neurochirurgie?
Um die Chirurgie des Gehirns und Rückenmarks und der umgebenden Struktur, also Schädel und Wirbelsäule. Die Neurochirurgie setzt sich zusammen aus der Neurologie (Erkrankungen des zentralen Nervensystems) und der Chirurgie. Der Neurochirurg muss sich anatomisch gut mit dem Gehirn auskennen – also viel traditionelle Anatomie lernen – aber auch mit modernen Verfahren wie 3D. Beim Gehirn ist es wichtig, dessen Funktionen zu schützen. So geht es bei der Hirn-Tumorbehandlung darum, den Tumor möglichst vollständig zu entfernen. Da der aber keine scharf definierten Grenzen hat, muss man schauen, wie weit man operieren kann, ohne Gehirnfunktionen zu beeinträchtigen.
In Mainz treten Sie ein für moderne Operationsmöglichkeiten.
Eher Technologien und Verfahren. Hier geht es um Computer, die uns Bilder geben, um 3D-Planung und Navigationsverfahren. Wir arbeiten mit optischen Technologien, mit denen wir den Anteil von Tumor identifizieren. Zum Schutz der Gehirnfunktionen führen wir elektrische Messungen durch und weitere Tests im Bereich von Sprache und Bewegung.
Kann man Hirntumore heute gut entfernen und wie ist die Medikamentsituation?
Bei Hirntumoren gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen, die häufig schlecht therapierbar sind. Dennoch gab es Fortschritte in den letzten 10 bis 15 Jahren. Manche Tumore sind heilbar geworden. Auch Medikamente wie die klassische Chemotherapie haben sich gut entwickelt und weitere neue Möglichkeiten sind dazugekommen. Es treten aber auch Resistenzen gegen Medikamente auf, die überdies sehr teuer sind. Ob das Geld dafür gut investiert ist oder nicht, wenn sie das Leben nur kurz verlängern, ist eine schwierige Diskussion, die man mit dem Patienten führen muss.
Was halten Sie von alternativen Behandlungsmethoden?
Die sind erst seit relativ kurzer Zeit Gegenstand der Betrachtung. Wir haben darüber wenig konkrete Daten. Bei einer Erhebung unter unseren Patienten waren wir sehr erstaunt. Hirntumorpatienten verfolgen im Lauf der Erkrankung viele Strategien, zum Teil sehr exotische. Was davon wirksam ist, ist schwer zu beurteilen, weil es schwierig zu messen ist. Für einige Verfahren zeichnet sich ab, dass sie möglicherweise Wirksamkeit haben können, zum Beispiel pflanzliche Therapien.
Hat Krebs zugenommen? Welche Gründe gibt es dafür?
Krebs hat tatsächlich zugenommen. Das ist teils demografisch bedingt, denn es gibt mehr ältere Menschen und im Alter tritt Krebs wesentlich häufiger auf. Auch Hirntumore sind häufiger geworden, was nicht nur am Alter liegt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Konkrete Gründe können Umwelteinflüsse sein, aber wir wissen es nicht wirklich.
Wie kommen Sie als Nordlicht in Mainz zurecht?
Als meine Frau und ich hier ankamen, haben wir uns gleich zu Hause gefühlt. Das hängt auch mit unserer Wohnung am Markt zusammen, da ist man nah am Leben. Mit den Leuten hier kommen wir schneller klar als anderswo. Für einen Norddeutschen ein ungewohntes Gefühl.
Womit verbringen Sie Ihre Freizeit?
Viel Freizeit bleibt mir nicht. Aber ich reise gerne und lerne andere Kulturen und Menschen kennen. Als Student habe ich das exzessiv betrieben. Meine Lieblingsregion ist Asien, vor allem Vietnam, Thailand, Kambodscha und Burma. An Korea fasziniert mich der technologische Fortschritt. Japan mag ich wegen seines Gefühls für Ästhetik und Design, und Thailand wegen des Essens.
Haben Sie weitere Hobbys außer dem Reisen?
Ich sammle gerne bestimme Objekte unter gewissen Ordnungsaspekten. Zum Beispiel besitze ich eine Vorliebe für Fotoapparate, da ich auch selbst gerne fotografiere. Schon in jungen Jahren war ich im Fotolabor aktiv. Jetzt ist alles digital, das macht die Abläufe schneller und einfacher. Da lebe ich meine Kreativität gern am PC aus.
Waren Sie schon immer so technikbegeistert?
Ich denke ja. Aber beruflich ausleben kann ich das erst seit den letzten zehn Jahren. In Lübeck hat das angefangen und dann in Göttingen. Die Mainzer Unimedizin ist extrem technikorientiert. Das ist wohl der Grund, warum ich hier gelandet bin.
Was war Ihr skurrilstes Erlebnis beim Operieren?
Da gibt es viele Erlebnisse. Die kuriosesten Sachen können passieren: Verletzungen vielfältigster Art, die mich immer wieder erstaunen. Ich sag ja immer: Die wirklich verrückten Sachen erlebt man nur im Krankenhaus.