Interview: David Gutsche, Foto: Ramon Haindl
Der Ventil Verlag feiert dieses Jahr sein 15-jähriges Jubiläum. Auf was blickt ihr zurück?
Wir sind aus der Zeitschrift „testcard“ entstanden plus dem Dreiecksverlag, den es vorher schon gab und einer weiteren Zeitschrift „Ventile“. So ist das zusammengeflossen und vor 15 Jahren offiziell gegründet worden. Seitdem haben wir uns stetig vergrößert und das Programm erweitert. Derzeit machen wir 10 bis 12 Bücher pro Jahr. Bei 15 Jahren sind das etwa 200 Titel. Im Prinzip machen wir aber das gleiche wie früher, also im weitesten Sinne Musik, Bücher, Popliteratur und vegetarisch/ vegane Kochbücher. Ich selbst bin erst seit 2006 dabei, war aber vor 15 Jahren schon Leser der Bücher – vom Konsumenten also zum Produzenten.
Für was bist du im Verlag zuständig?
Bis auf den Grafiker, der unsere Bücher setzt, machen bei uns ja alle alles, vom Lektorat bis zur Pressearbeit. Wir fünf sind auch alle Geschäftsführer. Meine Funktionen bestehen aus Bücher betreuen, Lektoratsarbeiten und Pressearbeit – aber auch Bücher selber schreiben und herausgeben.
Was ist eure Philosophie?
Zum einen sind wir alle gleichberechtigt. Wir haben einen Einheitslohn. Und es gibt keine Hierarchien. Wir machen nur Bücher, die im Konsens entstanden sind. Wenn einer einen Titel absolut nicht möchte, dann wird der auch nicht bei uns gedruckt. Auf der inhaltlichen Ebene beschäftigen wir uns mit Sub- und Popkultur, was sonst nur wenige Verlage machen, und versuchen da eine eigene Stimme zu sein. Wir sind manchmal selbst zwischen Fantum und Wissenschaft.
Funktioniert das mit dem Einheitslohn?
Bis jetzt gab es noch nie Probleme. Das funktioniert aber sicherlich auch, weil wir alle mehr oder weniger miteinander befreundet sind. Jeder steckt immer das an Zeit rein, was er gerade hat. Es gibt natürlich Zeiten, wo das mal schwieriger ist, wo man andere Dinge zu tun hat. Aber dafür gibt’s auch Zeiten, wo man ein bisschen mehr Luft und Spielraum hat und so gleicht sich das wieder aus. Dazu kommt, dass wir alle nicht zu vollen Teilen vom Verlag leben. Dann wäre der Druck vermutlich größer.
Wo geht es für Ventil in Zukunft hin?
In der Ausrichtung, die wir in den letzten Jahren eingeschlagen haben, machen wir einfach weiter. Es wird dieses Jahr ein paar Romane geben von Autoren, die wir schon länger im Programm haben. Es wird das ein oder andere Sachbuch geben zum Thema Popkultur. Und es wird eine „testcard“ geben und zwei neue vegane Kochbücher. Im Grunde ist dieses Jahr eine Repräsentation unseres Programms der letzten Jahre.
Mensch
Du bist ansonsten Journalist?
Ja, ich schreibe als freier Journalist für ein paar Zeitungen, gebe Bücher heraus, halte Vorträge zu bestimmten Themen, die meist mit Büchern zu tun haben und verschiedene andere Dinge. In unserem Verlag habe ich Bücher gemacht, die sich mit Musik beschäftigen – eines über Feminismus und Popkultur, über die riot-girl-Bewegung, wie in den 90er Jahren Frauen versucht haben, feministische Fragen in die Hardcore und Punkszene zu tragen. Außerdem hat mich die jüdische Subkultur interessiert, wir hatten die letzten zwei Jahre ja auch entsprechende Festivals hier in Mainz, wo ich an der Organisation beteiligt war. Aber eigentlich bin ich Literaturwissenschaftler und habe meine Doktorarbeit über Gesellschaftsbilder im Independent-Comic geschrieben. Eigentlich bin ich also Comicforscher. Mittlerweile habe ich eine ziemlich große Sammlung und halte Vorträge zu diesem Thema und reise damit ein bisschen herum. Das ist mein Steckenpferd im Verlag.
Bist du auch selbst Veganer?
Nein, ich habe zwar zehn Jahre vegetarisch gelebt – von 14 bis 24 war ich Vegetarier – aber das ist auch schon wieder 10 Jahre her. Seitdem esse ich wieder Fleisch, aber in Maßen. Ich bin keiner von denen, die sagen: Ich bin gerne Fleischesser. Aber ich versuche mich nicht rauszureden, indem ich sage, dass ich nur wenig Fleisch esse. Obwohl ich aktuell auch wieder damit liebäugele mit dem Fleischessen aufzuhören. Aber bei mir ist das so: ganz oder gar nicht. Ich mache mir darüber jedenfalls viele Gedanken …
Du bist gerade Vater geworden. Verändert sich dadurch deine Perspektive?
Was den Vegetarismus angeht, will ich meinem Kind das schon auch mitgeben. Ansonsten erst mal nicht. Ich muss mir zwar meine Zeit anders einteilen, aber da hilft mir auch die Struktur im Verlag. Es gibt eben auch mal Phasen, in denen man andere Prioritäten hat und ein bisschen aus dem Verlag zurücktritt. Was aber nicht heißt, dass ich in einem halben Jahr nicht wieder voll zurück bin. So gesehen funktioniert das gerade ganz gut, nicht durch ein Kind auf einmal alles anders machen zu müssen, sondern das ganze integrieren zu können.
Welche Musik hörst du gerne?
Ich bin eher so ein Typ Dorfpunk aus der Nähe von Bacharach. Aber da gab’s keine wirkliche Punkszene. Durch die Musik bin ich in den Verlag gekommen, denn der kommt ja aus einer Subkultur, also aus der Punkszene. Dadurch hat sich relativ früh schon eine Nähe ergeben und das ist tatsächlich was, was bis heute wichtig für mich ist: mich mit Musik zu beschäftigen, zu schauen, was es Neues, Interessantes gibt. Eben nicht mehr nur Punk, sondern diverse Ausdifferenzierungen – einfach immer dran zu bleiben, an dem was gerade passiert. Zurzeit fasziniert mich Postrock zum Beispiel sehr.
Wenn du ein Tier wärst, was wärst du für eins?
Am ehesten vermutlich ein fliegendes Tier. Ich habe mich viel mit der Metapher des Fluges beschäftigt und deshalb auch immer wieder mein Versuch, mich vor festen Strukturen zu schützen, der Verwurzelung in bestimmten Strukturen zu entgehen. Das ist auch, was ich mit meiner Arbeit versuche: mich nicht festlegen zu lassen, möglichst viel Offenheit und Freiheit zu behalten und flexibel zu sein. Oder über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Ich will einfach auch für Zwischenräume und Nischen offen zu sein, die sich ergeben.
Zum Ventil Jubiläum im Februar gibt es gleich zwei Veranstaltungen:
mit dem furiosen Singer/Songwriter Jeffrey Lewis und mit dem Ausnahme-Literaten Al Burian, beide aus den USA.
Konzert mit Jeffrey Lewis & The Rain 1. Februar 20 Uhr im Hafeneck Eintritt: 8 Euro
Lesung von Al Burian 7. Februar 20 Uhr im Bukafski Eintritt: 5 Euro