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Wellness für Abwasser – Der lange Abfluss in den Rhein

Abwasser3
von Mara Braun und Jonas Otte (Fotos):

„Vorsicht, das riecht gleich etwas streng.“ Mit klappernden Schlüsseln öffnet Ralf Weber die schwere Tür zum „Alten Wasserwerk“ in Mainz- Hechtsheim. Seit der Wirtschaftsbetrieb die Anlage von den Stadtwerken übernommen hat, rauscht in dessen Tiefen Abwasser statt Trinkwasser. Im Inneren riecht es entsprechend. Weber hantiert an einem Apparat, der an seinem Gürtel hängt: ein Gaswarngerät. Beim Abstieg ins Kanalsystem unter der Stadt ist es vorgeschrieben. „Wenn das anschlägt, heißt es: Gas-Alarm, raus da.“ Deshalb muss stets ein Kollege an der Luft bleiben, der im Notfall mit Gurt und Winde helfend eingreifen kann: „Falls man es alleine nicht mehr schafft.“

Mit der Zeit ist der Gestank im Vorraum weniger wahrnehmbar, da piepst plötzlich Webers Gaswarner. Der Abteilungsleiter Kanalbetrieb prüft das Gerät mit fachmännischem Blick und beruhigt: „Es ist noch nicht richtig eingestellt.“ Nachdem das passiert ist, geht es über eine Holztreppe unter die Erde. Das Abwasser rauscht in einem schmalen, offenen Kanal durch, je nach Wetter kann der unterirdische Bau komplett voll laufen. Eine Messsonde funkt den Wasserstand an den Wirtschaftsbetrieb. Am Boden liegen kleine schwarze Köttel: Kot. „Man sagt, auf jeden Mainzer kommt eine Ratte“, grinst Weber. Die menschenscheuen Tiere verstecken sich, doch ihre Hinterlassenschaften verraten sie.

Roboterfahrt bis fast hoch ins Klo

Pro Tag verbraucht ein Mensch im Durchschnitt 120 Liter Wasser, etwa eine Badewanne voll. Über die Abflüsse von Dusche, Spülmaschine oder Toilette gelangt es ins Kanalsystem. In Mainz gibt es vor allem Mischkanalisation, hier fließen Abund Regenwasser gemeinsam. In neueren Wohngebieten verlaufen zwei Rohre in der Erde: Bei dieser Trennkanalisation kann der Regen in spezielle Becken geleitet werden, wo er versickert oder verdunstet. Sofern möglich, verlaufen die Rohre bergab. Wo das nicht geht, helfen insgesamt 70 Pumpen dem Wasser ins Klärwerk nach Mainz-Mombach.

Hier wird neben dem Mainzer Abwasser auch das aus Bodenheim und der Verbandsgemeinde Budenheim aufbereitet. So kommt das Abwasser aus zwei Richtungen in Mombach an. Insgesamt hängen etwa 230.000 Einwohner am Netz, das jedoch rechnerisch mit 380.000 Einwohnern belastet ist: „Die Differenz ist das Abwasser aus der lokalen Industrie“, erklärt Herbert Hochgürtel, Abteilungsleiter Abwasserreinigung und Netzeinrichtungen. „Das wird aber vorgereinigt, bevor es hier landet.“ Die Wasserrohre werden 365 Tage im Jahr von Kamera-Robotern abgefahren, welche Schäden ermitteln.

Die Bilder, die diese senden, erinnern an eine Darmspiegelung. „Theoretisch kämen die bis hoch in Ihre Toilette“, zwinkert Weber. Die Saugspülfahrzeuge des Wirtschaftsbetriebes sind rund ums Jahr im Einsatz, damit jedes Rohr im Schnitt alle zwei Jahre von grobem Dreck befreit wird. Meist wird dieser mit Schläuchen rausgespült, manchmal auch von Hand geschippt. Jeder der 15.000 Kanaldeckel in Mainz bietet Zugang ins Kanalsystem. Dort herrscht hohe Luftfeuchtigkeit. „Hier ist es nie kalt“, sagt Weber: „Die Mitarbeiter tragen Blaumänner, in Funktionskleidung würde man nur schwitzen.“ Bei Starkregen ist der Einstieg verboten, weil die Pegel steigen.

Kleines Stäbchen, großes Problem

„Alles, was kein Abwasser ist, stört uns“, sagt Herbert Hochgürtel. Und Störfaktoren gibt es zuhauf: „Sie ahnen nicht, was die Leute so in der Toilette runterspülen“, schüttelt er den Kopf. Schläuche, Binden, Barbies oder Lappen werden bei der Ankunft im Klärwerk mit den Rechen abgefangen. „Es passiert auch, dass Leute anrufen, deren Ehering in den Abfluss gefallen ist.“ Die Chancen, den zu finden, gehen aber gegen Null. Besonders garstig für die Kläranlage sind Wattestäbchen, weil sie durch die Rechen rutschen. Auch Haare gehören nicht in die Toilette: „Stecken Sie mal einen Milch-Aufschäumer in ein Glas mit zwei, drei Haaren, da sehen sie was passiert, wenn die sich um alles herum wickeln.“

Im Rechenhaus sind vier Rechen im Einsatz. Der Geruch ist beißend, die Luft beinahe neblig: Das Rechengut dampft in offenen Containern, in die es über eine automatisierte Förderstrecke gelangt. Nach der groben Reinigung im Rechen fließt das Wasser in einen so genannten Sandfang. Dort wird aus dem Rechenhaus abgepumpte Luft ins Wasser eingeleitet, so sinken schwere Teile ab und leichte steigen an die Oberfläche. Auf den ersten Blick sieht das Becken aus wie ein Teich. Hier an der frischen Luft steigt kaum unangenehmer Geruch auf und im Wasser schwimmen friedlich Möwen, die nach Nahrung suchen. In der anschließenden Vorklärung sinkt Zellgut aus dem Wasser in kleinen Flöckchen zu Boden. Dieser Primärschlamm kommt in die Faultürme, wo Klärgas gewonnen wird. „Wir produzieren den Strom für unsere Anlagen und Gebäude selbst“, verdeutlicht Hochgürtel. Neben Gas entsteht hier auch Klärschlamm, der getrocknet und dann abgeholt und in Kraftwerken verbrannt wird.

Letzte Station vor dem Rhein

Das Wasser erreicht nun die Belebungsbecken, wo man sich die Eigenschaften von Mikroorganismen zunutze macht, um es weiter zu reinigen. Es schimmert jetzt bräunlich, was nicht an Kot-Resten liegt, sondern dem Eisensulfat, mit dem es versetzt wird. Die letzte Station sind die Nachklärbecken. Mitarbeiter mit Humor haben hier ein Schild hingehängt: „Nicht vom Beckenrand springen.“ Die Zuleitung erfolgt über Rohre in einer Art Maschinenraum unter der Erde, der an das Innere eines Schiffes erinnert. Das Wasser wird nun in den Rhein eingeleitet.

Etwa 45.000 Kubikmeter fließen täglich durch die Anlage, bei Regen mehr. „Und über den Tag variiert die Belastung“, sagt Hochgürtel: Wenn die Mainzer morgens duschen oder abends kochen, fließt besonders viel Wasser – mit einer Zeitverzögerung entstehen so die Hochphasen in der Anlage. Apropos kochen: Auch Essensreste gehören nicht in die Toilette, weil sonst auf jeden Mainzer bald mehr als eine Ratte kommt. Medikamente, Küchentücher, Dreck und Putzmittel dürfen ebenfalls nicht in den Abfluss, weil sie das Wasser oder den Kanal belasten. Um es mit den Worten von Herbert Hochgürtel zu sagen: „Alles, was kein Abwasser ist, stört uns.“