Demographie, Globalisierung, Gesundheit, „Mobility & Connectivity“, Nachhaltigkeit und Bildung – das sind die Megatrends, die den Kurs bestimmen. Hinzu kommt ein gesteigertes Bedürfnis nach interaktiver Wissensvermittlung und technischem Komfort. Wie halten es unsere Städte damit?
Flaggschiff oder Kongressklotz?
Begleitet von großem medialen Interesse eröffnete im April 2018 in Wiesbaden das lang erwartete Rhein Main Congress Center (RMCC). Als „innovativstes Veranstaltungszentrum Deutschlands“ soll das Prestigeprojekt Maßstäbe auf dem Markt setzen. Das nach dem Abriss der Rhein-Main-Hallen komplett neu gebaute Objekt ist Teil der Marketingstrategie „2021plus“. Dabei handelt es sich um den Plan der hessischen Landeshauptstadt, die Weiterentwicklung als Tourismus-Standort anzuvisieren. Ziel ist es unter anderem, Wiesbaden zum führenden Messe- und Kongressstandort in Sachen Nachhaltigkeit zu etablieren. Dazu wurde mit der „Wiesbaden Kongressallianz“ eine Marketing-Kooperation geschaffen, die Kongresse, Messen und Events in allen städtisch betriebenen Veranstaltungshäusern organisiert.
Trotz oder gerade wegen seiner Zweckmäßigkeit könnte das RMCC das Flaggschiff der neuen Wiesbadener Tourismus-Offensive werden. Mit einer großen Teleskoptribüne in der Halle Nord und versteckten Trennwänden, die bei Bedarf an den Deckenschienen entlang aufgereiht werden, können die zahlreichen Räume für jeden Bedarf genutzt werden. Nach Expertenmeinung ist die Flexibilität der Raumaufteilung der wichtigste Aspekt für das Veranstaltungshaus der Zukunft. „Das ist in der Tat ein Trend, den wir ebenfalls stark spüren und auf den wir uns bei den Planungen der Halle eingestellt haben“, sagt Ilka Waßmann von der „Halle45“ in Mainz. Mehr denn je gelte es für jegliche Anforderungen eine Lösung anzubieten. Unter der Marke „Business Center Alte Waggonfabrik“ bietet die Halle45 insgesamt 6.500 qm für Konferenzen, Tagungen und Events aller Art an – mit Kapazitäten „von 20 bis 2.000 Personen“ und unter anderem einem „Konferenzraum Kurt Cobain“. Auch der „StijlMarkt“ läuft mittlerweile in der Halle45. Daniel Regenbrecht, Projektleiter des erfolgreichen Mainzer Messeformats hat es auf ebensolche Locations mit Charme abgesehen. Er ist der Meinung, dass das Messezentrum der Zukunft Ecken und Kanten haben muss. Mit ihrer festivalartigen Atmosphäre hat die Stijl vor neun Jahren den Nerv der Zeit getroffen und sich seitdem bundesweit zu einem Branchenhit entwickelt. In diesem Jahr geht es mit der Premiere in Luxemburg erstmals über die Landesgrenzen. „Reine Zweckbauten und klassische Kongressklötze werden an Bedeutung verlieren, stattdessen gibt es schon jetzt eine klare Hinwendung zu Orten mit historischer Kulisse“, ist Regenbrecht überzeugt.
Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit
Barrierefreie Zugänge sind mittlerweile in jedem Veranstaltungshaus eine Selbstverständlichkeit. „Barrierefreiheit ist ein Zukunftsthema, das wir mit dem RMCC optimal besetzt haben“, sagt Martin Michel, Geschäftsführer der Rhein Main-Hallen GmbH. Auch das Thema Nachhaltigkeit wird immer wichtiger. „Einige große Unternehmen buchen nur Häuser, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen“, sagt August Moderer, Geschäftsführer der mainzplus CITYMARKETING GmbH. Die städtische Gesellschaft vermarktet Mainz touristisch und kulturell. Sie vereint KUZ, Rheingoldhalle, Kurfürstliches Schloss und Frankfurter Hof unter einem Dach, allesamt bereits energetisch saniert oder in Planung. Ab Oktober wird die Rheingoldhalle umgebaut und auf den neuesten Stand gebracht.Eine Konkurrenz zum Wiesbadener RMCC sieht Moderer nicht: „Die Wiesbadener haben wesentlich größere Veranstaltungen als wir. Deswegen ergänzen wir uns eher, als dass wir Konkurrenten sind.“
Wie marktgerecht sind die alten Häuser?
Neben modernen Messezentren wie dem RMCC, Rheingoldhalle, Halle45 oder der Messe Mainz müssen sich auch historische Häuser wie der Frankfurter Hof oder das Kurfürstliche Schloss oder in Wiesbaden das Jagdschloss Platte, Kurhaus oder die Casino-Gesellschaft auf dem Markt positionieren. Kurhaus und Schloss verfügen als Aushängeschilder von Mainz über Räume in unterschiedlicher Größe für unterschiedliche Bedürfnisse. Auch die prunkvollen Innenräume der Casino-Gesellschaft sind auf unterschiedliche Wünsche eingestellt. „Unsere Formel lautet Individuelle Betreuung + flexible Lösungen = erfolgreiche Veranstaltungen“, sagt Martina Freymann-Dederichs, Leiterin der Geschäftsstelle. Das Jagdschloss Platte wurde von 2003 bis 2007 vollständig saniert und um einen modernen Panoramasteg und ein Glasdach ergänzt. Eine ähnliche Mixtur findet sich im Foyer des Frankfurter Hofs in der Altstadt, das ebenfalls mit einem Glasdach ausgestattet ist. Beide Häuser sind trotz ihres hohen Alters technisch auf dem neuesten Stand.
International und gut erreichbar
Beide Landeshauptstädte legen Wert auf Internationalität. „Die interkulturelle Kompetenz wächst automatisch mit der Anzahl an Veranstaltungen“, weiß August Moderer (mainzplus). Auch das Kurhaus präsentiert sich international, mit einer 24-Stunden-Hotline für Anfragen aus aller Welt. Für Alexander Klar, Direktor des Museums Wiesbaden, ist kulturelle Kompetenz gleichbedeutend mit interkultureller Kompetenz. „Eine Kultur von Rang ist immer interkulturell, und unsere Ausstellungen und Sammlungspräsentationen richten sich an alle Kulturen und Ethnien der Welt“, sagt der Museumschef, der sein Haus mitunter auch für andere als die originären Nutzungen öffnet. Regelmäßig veranstaltet der Schlachthof hier zum Beispiel Konzerte mit besonderer Note. Die Nähe zum Flughafen ist für Mainz und Wiesbaden ein Vorteil beim wichtigen Thema Mobilität. Wiesbaden Marketing bietet in Zusammenarbeit mit örtlichen Busunternehmen Shuttleservices und Transferleistungen an. mainzplus setzt auf nachhaltige Mobilität und wirbt für das Veranstaltungsticket der Deutschen Bahn: „Mittlerweile reisen 60 Prozent der Kongressbesucher mit der Bahn an“, sagt August Moderer. Eine Veranstaltung beginne für den Besucher daher nicht erst mit dem Betreten der Halle, sondern bereits vor seiner eigenen Haustür.
Zur Kultur gesellt sich Kommerz
Der stetige Wandel auf dem Eventmarkt hat auch zur Folge, dass klassische Kulturbetriebe ihr Konzept überdenken müssen. Das KUZ wird sich ab Dezember mit einem neuen Gesicht präsentieren. Das Angebot wird nicht mehr ausschließlich auf Kultur ausgerichtet sein. Ein Drittel ist für Kongresse, Tagungen und Präsentationen vorgesehen. Ob auch das seit Anfang 2017 leer stehende Walhalla-Gebäude mitten in der Wiesbadener Innenstadt eine solche Entwicklung erfahren wird, lässt sich nicht abschätzen. Laut René Weimer von der stadteigenen WVV Wiesbaden Holding soll das Objekt an einen kulturellen Betreiber vermietet werden. Wie marktgerecht das Walhalla in Zukunft sein werde, hänge von dem neuen Betreiber ab, so Weimer. Nur leider herrscht dem Vernehmen nach derzeit Stillstand. Die für 2018 angekündigte Ausschreibung ist ausgesetzt, offenbar verweigert man den Interessenten derzeit sogar jegliche Informationen über den Stand der Dinge.
Es wird interaktiv
Egal ob Konzert, Kongress oder Museum: Es reicht nicht mehr aus, beschallt zu werden – der Teilnehmer will mitgestalten. Der Trend entwickelt sich zu interaktiven Foren, verteilten Kongressen, Co- Working, Hackathons oder hybriden Veranstaltungen. „Mitgestalten wollen, allein weil man mitgestalten will, ist in meinen Augen noch keine gute Ausgangsbasis, um effizient und vor allem wissensbasiert zu agieren“, sagt Museumsdirektor Klar. Dennoch halte er den heute noch praktizierten informierten Monolog des Führenden für eindimensional. „Das Wichtigste an einem Kongress ist die Kaffeepause“, sagt August Moderer, „dort haben die Besucher die Möglichkeit sich auszutauschen.“ „Früher war das Wichtigste beim Kongress das Essen. Heute ist das Wichtigste, dass Sie in der Halle auf Ihr Handy schauen können“, sagt Uwe Leitermann (mainzplus). Eine digitale Infrastruktur mit schnellem und sicherem WLAN werde in Zukunft selbstverständlich sein, weshalb auch die Rheingoldhalle mittlerweile auf Glasfaserleitungen umgestiegen ist. „In Deutschland besteht da leider noch Nachholbedarf“, ergänzt August Moderer. Auch die BRITA Arena, die mittlerweile Konzerte mit 10.000 Gästen veranstaltet, will digital aufrüsten. „Dies umfasst freies WLAN für die Gäste und eine leistungsfähigere Infrastruktur für Fernseh- und Internetübertragungen“, sagt Geschäftsführer Thomas Pröckl.
Chancen für Hotellerie und Gastronomie
Digitalisierung und zunehmende Verschmelzung von Arbeit und Freizeit machen den Markt auch für Hotellerie und Gastronomie interessant. Ein zeitgemäßes Beispiel ist das Boutique-Hotel „me and all“, das im September / Oktober am Binger Schlag, in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, eröffnet. „Die Hotellerie denkt verstärkt vom Gast her und greift Trends aus anderen Bereichen auf“, sagt Pressesprecherin Catherine Bouchon. „me and all“ vermarktet sich deshalb nicht ausschließlich als Hotel, sondern auch als Co-Working-Space und gemütlicher Veranstaltungsort für Wohnzimmerkonzerte mit regionalen Musikern und DJs. Ein Konzept, das sicher auch Wiesbaden gut tun würde – vielleicht eine gute Idee für das Hotel, das als Teil der neu gedachten City-Passage entstehen soll.
Der heimathafen versteht es in Wiesbaden seit seiner Gründung, die Themen Work-Life-Balance und Digitalisierung geschickt zu bespielen. Als hippes Café und Co-Working-Space bietet es besonders der Gründer- und Kreativszene einen Ort zum Vernetzen. Etablierte Unternehmen genießen die Nähe zur Community, vor allem in den Konferenz- und Meetingräumen oder bei einem der Events. Mit dem Umzug in das Alte Gericht will der heimathafen den nächsten Schritt vom Co-Working-Cafe zum „Labor für soziale Innovation“ vollziehen: „Mit reichlich Kunst, Kultur, Gemeinschaftssinn und frischen Ideen für unsere Stadt“, so die Verlautbarung. In der Gastronomie wird zudem der Erlebnis-Charakter immer wichtiger. „Neben qualifizierter Beratung zählen mehr denn je eine ehrliche, aufrichtige Zuwendung und herzliche Gastfreundschaft. Die Gäste wollen verwöhnt, nicht versorgt werden“, heißt es in der Pressemitteilung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes.
Da ist Musik drin
Der Eventmarkt hat den Buchhandel von der Spitze der Entertainment-Märkte verdrängt. Zu diesem Erfolg tragen nicht nur Messen und Kongresse bei, sondern auch und vor allem der immer wichtiger werdende Musik-Tourismus. Städte wie Hamburg und Wien haben diesen Trend längst erkannt und vermarkten sich gezielt als Musikstädte. „Man muss nicht erst nach Hamburg schauen, um zu sehen, dass Kultur neben der Steigerung der Lebensqualität auch einen finanziellen Mehrwert bietet“, sagt Hendrik Seipel-Rotter, Pressesprecher des Schlachthof Wiesbaden. „Die 250.000 Gäste, die den Schlachthof pro Jahr besuchen, geben in Wiesbaden auch woanders Geld aus: fürs Taxi nach Hause, fürs Hotelzimmer, im Restaurant oder an der Tankstelle.“ Mit einer Open-Air-Reihe brachte der Schlachthof in diesem Sommer Künstler wie Queens of the Stone Age, NOFX oder die Beginner nach Wiesbaden. Insgesamt 40.000 Besucher waren bei den Konzerten. Auch das Format „Summer in the City“ der Stadt Mainz holt jeden Sommer Hochkaräter wie Sting, Carlos Santana oder Norah Jones an den Rhein und vermarktet sich so als Musikstadt. Musiktouristen besuchen häufig auch weitergehende Angebote einer Stadt. Einzelhandel und Gastronomie profitieren davon. „Im Zusammenhang mit der Vermarktung von Kulturangeboten gilt es deshalb auch, weitere „Erlebnisbausteine“ in Stadt und Region offensiv anzubieten“, heißt es aus dem Wirtschaftsdezernat. Die Stadt Mainz hat hierfür gemeinsam mit Akteuren der Privatwirtschaft einen Tourismusfonds eingerichtet. „Wir wollen kommunale und private Interessen zusammenbringen“, so der Mainzer Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte. So kann die chronisch klamme mainzplus zumindest mit diesen Mehrwerten punkten. Und ob sich beide Städte tatsächlich ergänzen, wird sich nach der Sanierung der Rheingoldhalle und den ersten Monaten des RMCC zeigen. Auch wenn sich beide Oberbürgermeister kennen und mögen und die Citybahn zwischen beiden Städten geplant ist, könnte die Kommunikation sich in diesem Segment noch deutlich verbessern.
Text Taylan Gökalp Fotos Kai Pelka, Frank Meißner