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Statement der Demokratie: Das Rathaus zwischen Denkmalpflege und Erneuerung

Die Initiative „Die Betonisten“ setzt sich für Mainzer Nachkriegsarchitektur ein

„Wir drücken die Daumen, Baby“ – mit diesem Slogan betitelten die „Betonisten“ kürzlich eine ihrer Instagram-Storys. Die bezog sich auf die aktuelle Sanierung des Rathauses. Zu sehen waren Aufnahmen des Gebäudes, dessen markante Silhouette in den wolkenlosen Himmel sticht. Das Grau der Fassade bildete dabei mit dem Blau des Firmaments einen einzigartigen Kontrast. Als „wichtigstes Bauwerk in Mainz des 20. Jahrhunderts“, bezeichnet es Maximilian Kürten – einer der „Betonisten“. Die Mainzer Initiative setzt sich seit 2018 für den Erhalt von Nachkriegsarchitektur in der Stadt ein. Die Gruppe aus Architekten, Designern und Kunsthistorikern gründete sich, als die Diskussion um die Rathaussanierung vor zwei Jahren an Fahrt aufnahm.

Das Rathaus ist das größte Sorgenkind. In einem offenen
Brief stellen „Die Betonisten“ Forderungen an die Stadt

Das von den dänischen Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling entworfene Gebäude auf dem Jockel-Fuchs-Platz macht derzeit einen Großteil ihrer Arbeit aus, aber auch andere Objekte und Freiräume wie etwa das Gutenberg-Museum, die Ludwigsstraße, das Allianzhaus, der Ernst-Ludwig-Platz oder die „Muschel“ auf dem Uni-Campus. Sie alle werden durch die „Betonisten“ wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Den Dreiklang „entdecken, vermitteln, erhalten“ trägt die Initiative in ihrem Namen und verknüpft damit die Ziele, einerseits Politik und Wirtschaft zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit den Bauwerken der Nachkriegszeit aufzurufen und andererseits Kritiker des funktionalen Stils von der Schönheit der Architektur zu überzeugen. Für Letzteres setzen die „Betonisten“ auf Instagram und Facebook relevante Bauwerke ins Spotlight und erläutern deren ästhetischen Wert. Durch Stadtführungen und Aktionen wie die „Schaustelle“ gibt es außerdem Gelegenheit, in der Öffentlichkeit mehr über die Nachkriegsmoderne zu erfahren und darüber zu diskutieren. Auf dem Jockel-Fuchs-Platz wurden dafür in der Vergangenheit um jenen Sockel knallgelbe Stühle aufgestellt, auf dem einst die Skulptur „Schlüssel des Stundenschlägers“ von Hans Arp stand. Der Metall-Monolith steht aktuell als Leihgabe im Arp-Museum in Remagen. Die Leere soll nun den städtischen Sanierungsstau symbolisieren.

Ästhetik der Nachkriegszeit
„Architektur der Nachkriegszeit obliegt oftmals der Stempel der Hässlichkeit“, sagt Maximilian Kürten. Dabei sei es manchmal schon hilfreich, genauer hinzusehen und den Blick nach oben zu richten. „Wir wollen da ansetzen, wo die Ressentiments herkommen. Häufig ist es so, dass Geschmacksbilder reproduziert werden.“ Kürten nennt als Beispiel den Mainzer Dom. Dieser gelte eben als schön und das werde dann auch so weitergegeben, wogegen niemand etwas sagen würde. „Aber die Antworten auf die Frage, worin die schönen Aspekte genau begründet sind, fallen oftmals schwer.“ Wie die Ästhetik der Nachkriegsmoderne greifbar werden kann, verdeutlicht Maximilian Kürten bei einem Blick auf die Außenwand des Rathauses: „Das Besondere an dieser Natursteinfassade ist, dass sie das Gebäude in Dynamik versetzt und damit belebt. Es entsteht eine Unregelmäßigkeit, die keinem Algorithmus folgt.“ Die Sanierung des Rathauses bereitet nicht nur den Betonisten derzeit die größten Sorgen. Mit einem offenen Brief wandten sie sich im August u.a. an Oberbürgermeister Ebling (SPD) und forderten einen transparenteren Umgang und Dialoge im Planungsprozess: „Dieses Rathaus ist ein Statement für die Demokratie. Gerade heute brauchen wir es mehr denn je.“ Es wurde beklagt, dass die Sanierungspläne zu stark hinter verschlossenen Türen stattfänden. Erschwerend kam die Vermutung hinzu, dass die Landesdenkmalpflege nicht ausreichend kooperativ in die aktive Planung integriert wird. Man forderte eine stärkere Öffentlichkeitsarbeit, eine dem Kulturdenkmal wohlgesonnene Abwicklung des Planungsprozesses und eine kontinuierliche, öffentliche Präsentation über den Umgang mit dem Interieur und angedachte Lösungsansätze. Zuerst gab es keine Reaktion, Mitte September folgte dann der Paukenschlag.

Eine Freitreppe und ein „Bürgercafé“
am Rathaus wurden vereinbart

„Keine realistische Schätzung“
Transparenz wurde der Öffentlichkeit schließlich geboten. Im September nimmt OB Ebling Stellung zu den derzeitigen Planungen: „Inzwischen ist viel passiert“, erklärte der OB auf einer Pressekonferenz, bevor er mitteilt, dass die Sanierung inklusive eines zwanzigprozentigen Risikozuschlags nun rund 30 Mio. Euro mehr kosten wird. Der Ausgangspunkt des Stadtratsbeschlusses zwei Jahre zuvor lag bei 71,2 Mio. Euro. „Der Auftrag von 2018 ist in diesem Umfang daher nicht mehr erfüllbar“, so Ebling. Die neue Bewertung der Denkmalpflege, allgemeine Kostensteigerung und geplante Vorhaben wie ein Bürgerforum- und -dach würden die Kosten gar auf etwa 115 Mio. Euro steigen lassen. Deshalb wurde die Planung erneut angepasst und reduziert, wodurch 17 Mio. Euro gespart werden könnten und die derzeitige Planung bei

Das begehbares Bürgerdach ist
jetzt doch in den Plänen enthalten …

gesamt etwa 97 Mio. Euro liegt. Aus der Kostenaufstellung der Stadt geht auch hervor, dass der Denkmalschutz mit rund 20 Mio. Euro zu Buche schlägt. Für Diskussionen sorgt unter anderem die Fassade. Während die Denkmalschützer weiterhin auf eine Natursteinverkleidung setzen würden, bevorzugt die Stadt eine Keramiklösung, die rund 2 Mio. Euro günstiger und „energetisch gut zu hinterfüttern“ sei. Auch das geplante Bürgerforum- und -dach ist derzeit aus den Plänen gestrichen – zu teuer. Uneinigkeiten gab es ebenfalls über den Austausch der Jacobsen- Decken und -Wandschränke. Vieles ist noch in der Diskussion. Will man wirklich ein abgespecktes Rathaus für so viel Geld oder nicht doch eins mehr für Bürger und nun lieber etwas drauflegen? Doch wieviel? Und werden die Kosten noch weiter steigen? War es doch hinter vorgehaltener Hand schon seit Jahren klar, dass die einst geplanten 70 Mio. nie eingehalten werden können. Der Stadtrat nahm am 23. September dazu Stellung: Bei der Rathaussanierung soll nicht auf das Bürgerforum und das Bürgerdach verzichtet werden. Der Innenhof soll nun doch mit einem Glasdach versehen werden, um so einen 800qm großen Mehrzwecksaal als Bürgerforum zu schaffen. Außerdem soll das Rathausdach als Aussichtsplattform für alle Bürger begehbar sein. Dafür entstehen zusätzliche Kosten von mindestens 5 Mio. Euro, somit wird dann auch die 100 Mio. Grenze locker gerissen. Wenn man den Rathaus-Keller, den Vorplatz und die Tiefgarage mit einbezieht, liegen die Zahlen vermutlich noch höher. Hier ist also das letzte Wort noch nicht gesprochen. Teile der CDU gehen

…und auch ein Bürgerforum im Innenhof des Rathauses soll nun umgesetzt werden

sogar davon aus, dass es zu einem Bürgerentscheid kommen könnte. Und die „Betonisten“? Auch sie wollen sich weiterhin für das Rathaus einsetzen. „Wir sind jedoch nicht angetreten, um politisch aktiv zu werden“, so Kürten. Als „ambivalent“ schätzen sie dennoch die Stellungnahme des Rathaus-Chefs ein. Das Bekenntnis zum Standort sei als positiv hervorzuheben, der Denkmalschutzbehörde die Schuld für die Kostenexplosion zu geben, sei jedoch falsch, zumal sich diese kompromissbereit gezeigt hätte. Vielmehr mache die jahrzehntelange Hinauszögerung wichtiger Maßnahmen die Sanierung jetzt teurer. Nach aktuellem Stand soll sie 2025 abgeschlossen sein. Derzeit läuft der Rückbau im Inneren des Gebäudes.

Text Alexander Weiß Fotos Felix Tauber