Direkt zum Inhalt wechseln
|

So wohnt Mainz – Tetris für Erwachsene

000000001

Text Mara Braun    Fotos Frauke Bönsch

Wer Nikan Rezai in ihrer Wohnung in der Schießgartenstraße treffen möchte, muss erst ein wenig suchen. Nach dem Aufstieg durch das Licht durchflutete, mit Pflanzen üppig dekorierte Treppenhaus ist an der Klingel unterm Dach nicht ihr Name zu lesen. „Hinterhaus“, schallt derweil Nikans Stimme über den idyllischen Innenhof, und nach der netten Begrüßung durch ihren Vater und einem weiteren Aufstieg ist man quasi schon mittendrin im kleinen Reich der 31-Jährigen.

Die Dachwohnung der hübschen Frau mit den dunklen Augen ist sozusagen fest in Familienhand, wie überhaupt weite Teile des Hinterhauses. „Mein Vater hat sich einmal von oben nach unten durchgewohnt“, erzählt sie lachend. Und dabei in jedem Stockwerk etliche Arbeiten in Sachen Funktionalität und Verschönerung getätigt. Ein Teil der 2-Zimmer-Wohnung liegt vor der eigentlichen Eingangstür: Am oberen Ende des schmalen Treppenhauses fällt der erste Blick auf eine kleine Kommode, über der ein Spiegel hängt. „Hier sind meine Schals drin“, erklärt Nikan mit einem Griff nach der Schublade und streicht kurz über die bunten Stoffe.

Zur Rechten befindet sich die Mini-Küche, ein schmaler Schlauch, von dem die Gastronomie-Arbeiterin sagt: „Man darf nicht zunehmen, wenn man hier wohnt!“ Dabei lacht sie ihr sympathisches Lachen und weist sogleich auf eine Besonderheit ihres Heims hin: Die Dusche befindet sich hinter einem Vorhang in der Küche, die kleine Toilette ist gegenüber mit einer Tür räumlich abgetrennt – eine besonders offene Variante des Frankfurter Bads also. Am Ende des Schlauchraums sitzt Nikan gerne mit einer Zigarette und genießt den Blick über den Innenhof. „Hier fühle ich mich fast wie im Urlaub“, sagt sie und erzählt mit Fingerzeig auf die umliegenden Balkone von ihren liebgewonnenen Nachbarn, wie der Frau im Nebenhaus, für die sie manchmal am offenen Fenster singt.

Wohlfühlhöhle unter dem Dach

„Die Küche hat mein Vater hierhin umgebaut, seither hat die Wohnung ein zweites Zimmer“, erzählt Nikan, während sie die Führung fortsetzt. Im besagten Zimmer wohnt an den Wochenenden der zehnjährige Sohn der gebürtigen Iranerin, die als junge Frau länger in Kaiserslautern gelebt hat. Gemeinsam sind die beiden im Winter 2012/13 hier unters Dach gezogen. „Ich wollte immer gerne in der Wohnung wohnen. Mir gefällt, was mein Vater daraus gemacht hat. Allerdings hat sie keine richtige Heizung, und in diesem Winter wurde es dann noch wahnsinnig kalt.“

Für Nikan kein Problem – tagsüber sorgt eine aus zwei schmalen Heizstäben gebaute Heizkonstruktion für Wärme, die über dem Tisch im Wohnbereich von der Decke baumelt. „Und abends wärme ich unsere Betten mit Flaschen voll heißem Wasser.“ Die Möbel in ihrem gemütlichen Zuhause stammen größtenteils vom Sperrmüll. „Mein Vater baut Wohnungen – ich bastle Möbel“, erklärt sie lachend, klopft auf einen Sessel und sagt: „Der hier ist sicher aus vier alten zusammengebaut.“ Der Schlafbereich im größeren der zwei Zimmer ist mit einem Tuch abgetrennt, das an der Decke hängt, an der Wand steht ein Regal voller Bücher, Technik findet sich kaum in der Wohnung.

„Mit dem Strom ist es auch etwas schwierig. Wenn die Heizung läuft, kann man an der Steckdose nicht mal ein Handy laden.“ Was jedem Technik-Nerd den Angstschweiß ausbrechen lässt, empfindet die junge Mutter als echte Befreiung: „Ich bin, nachdem wir hier eingezoge sind, den Jakobsweg gelaufen. Da merkt man, wie wenig man braucht. Die Wohnung hilft dabei, sich von Unnötigem immer wieder zu trennen und nachhaltig zu leben.“ Was dennoch gebraucht wird, findet in einem ausgeklügelten Bastel-System unterm Dach Platz. „Meine Tetris-Wohnung“, umschreibt Nikan lächelnd ihr Baukasten-Verfahren. Manchmal gehe zwar doch etwas verloren, „dann ist die Freude aber umso größer, wenn ich es irgendwann wieder finde.“