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So wohnt Mainz – Leben im Kulturquartier Alte Patrone

„So wie es ist, ist es gut“, sagt Christine Rosenthal, die nach Mainz zurückgefunden hat, nach Jahrzehnten abenteuerlicher Wanderschaft, begleitet von Kunst, Politik und Film – und natürlich von ihrem Mann Kurt. 26 Jahre lebte das Paar in Peru, davor in Hamburg und Kassel. Aufgewachsen ist sie jedoch in der Mainzer Rheinallee, in den 60er Jahren. Die Lebensgeschichte dieses ungewöhnlichen Paares zu erzählen, dafür reicht der Platz kaum aus:

Etwa 1970 lernten sie sich kennen und lieben. Beide pflegten eine Leidenschaft für Malerei und Film. 1973 kommt „aus Fernweh“ die Übersiedlung nach Lateinamerika. Dort arbeiten sie für Film und Fernsehen, erleben alle Arten von politischen Umbrüchen, machen Kulturarbeit, unterrichten an Hochschulen und gründen eine Familie.

Zurück nach Deutschland

1999 fällt die Entscheidung: Zurück nach Deutschland. Das Leben in Peru war kompliziert geworden. Die Filmaufträge wurden spärlicher. Man dachte an die Ausbildung der Kinder und Sohn Florian war an Leukämie erkrankt. Zuerst ging es nach Berlin. Aber in der deutschen „Filmstadt“ hatte sich die Szene gewaltig verändert. Nach einem Jahr zog die Familie weiter nach Mainz, wegen familiärer Kontakte und eines äußerst attraktiven Wohnangebots in einem zukünftigen Künstlerdomizil. Konrad Kolz, damals Geschäftsführer der Wohnbau, hatte es nämlich geschafft, seinen Traum zu verwirklichen: Die „Alte Patrone“, ein jahrelang vor sich hin dümpelndes Ruinengelände, sollte zum Künstler- und Kulturviertel werden.

Umgeben von der eigenen Kunst: Christine und Kurt Rosenthal

Die Rosenthals konnten eine völlig entkernte Etage im Rohbau besichtigen und mitentscheiden, wie ihr zukünftiges Wohn- und Arbeitsquartier aussehen sollte. Eine verlockende Idee: stadtnah, im Grünen, gemeinsam mit anderen Kreativen und alternatives Wohnen. Für zehn Jahre gab es die Auflage, nur an Künstler zu vermieten. Dementsprechend waren die Wohneinheiten geschnitten, jeweils mit Atelierund Wohnbereich. Ein Kindergarten und ein Restaurant sollten für die richtige Mischung sorgen. Auch der Berufsverband bildender Künstler in Rheinland-Pfalz bekam einen Ausstellungsraum auf dem Gelände.

Rote Zahlen

Wartet wieder auf Bespielung: Das Karree der Alten Patrone

In den ersten Jahren nach der Renovierung und dem Einzug der Künstler ging das Konzept auf. Kulturevents verschiedenster Art fanden statt, im Veranstaltungssaal des Restaurants gab es gut besuchte Konzerte und der gemütliche Biergarten wurde gern besucht. Leider blieb es nicht lange dabei. Das Restaurant brummte nicht genug und der Pächter Günter Beck – mittlerweile Bürgermeister bzw. Finanzdezernent der Stadt – verlegte sich auf Partys mit entsprechender Lärmatmosphäre. Bis auch das nicht mehr funktionierte und das Geschäft in die Miesen rutschte. Die Gastronomie musste schließen, Künstler zogen weg, Ateliers und Wohnungen wurden zu Büros und Therapiepraxen. Langsam kamen auch andere Gewerbetreibende. Die Mieten erhöhten sich Schritt für Schritt. Die Rückkehr der Wohnbau zu ihrem „Kerngeschäft“, Folge der Unternehmenskrise Anfang 2000, wirkte sich aus. Von der Idee des kulturengagierten Initiators Kolz, inzwischen pensioniert, blieb nicht mehr viel übrig: Ein Künstlerquartier in Mainz – kaum möglich? Der einzige Publikumsmagnet heute besteht im Modeshop von Designerin Anja Gockel.

Versuch der Wiederbelebung

Viele sind fort, aber die Rosenthals sind geblieben. Und nicht nur sie. Eine neue Initiative hat sich gebildet, um wieder kulturelles Leben in die Alte Patrone zu bringen. Junge und alte Mieter gehören dazu, z. B. der Fotograf Philipp Münch und die Designerin Lara Glück (www.altepatrone.net). Ein erstes Sommerfest gab es im Mai, 2018 ist ein nächstes geplant. „Urban Gardening“ wird entwickelt, und man bemüht sich darum, ein neues Café auf dem Gelände zu etablieren. Regelmäßig beteiligt sich das Ehepaar an den „Offenen Ateliers“ in Rheinland-Pfalz, in diesem Jahr am 16. und 17. September. Wenn man die Rosenthals besucht, kann man kaum entscheiden, wo Beruf und Privates sich räumlich trennen. Staffeleien mit Christines Zeichnungen finden sich neben mehreren Computer-Arbeitsplätzen. Erinnerungsstücke und Kultgegenstände aus Südamerika teilen sich die Wände mit Kurts Gemälden. Gearbeitet wird im Wohnbereich – oder, anders gesagt: „Wir wohnen da, wo wir arbeiten.“

Finanzpolster Schwimkissen 

Die Frage danach, wovon das nicht mehr ganz junge Ehepaar heute eigentlich lebt, wird offen thematisiert: Neben der Malerei sind es die „Schlori-Schwimmkissen“, 1936 von Christines Mutter erfunden und seitdem im Patent weltweit vertrieben. Alle kennen sie, aufblasbare Kissen ohne jedes Ventil, mit denen Millionen Kinder das Schwimmen gelernt haben – bedruckt mit Motiven von Christine Rosenthal. Maiko und Florian, die beiden Söhne, sind inzwischen die Geschäftsführer des Familienunternehmens. So kommt aus Mainz Hilfe zum Über-Wasser-Bleiben. Und das passt wieder gut zu den Rosenthals: Optimismus, Lebensfreude und Offenheit. Trotz oder wegen aller Erfahrungen und Schicksalsschläge, die das Leben manchmal so bereithält.

Offene Ateliers – Christine und Kurt Rosenthal Am Judensand 57 C, (Hartenberg-Münchfeld) 16. und 17. September (14 bis 19 Uhr)

Text Minas  Fotos Frauke Bönsch