Es ist ein besonderes Gebäude in der Blücherstraße 7 in Mainz-Kastel. Die Grundmauern, in denen ein Gewölbe zum Partykeller umgebaut worden ist, sind reichlich alt. Die oberen Stockwerke sind im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen und wurden in der Nachkriegszeit erneuert. Dass man sich in einem WG-Haus befindet, macht schon der Charakter des Treppenhauses deutlich: Auf einem Treppenabsatz befindet sich ein Bücherschrank, ganz oben steht ein Kühlschrank. Hier befinden sich auch das gemeinsame Wohnzimmer und die große Küche, die sich sieben Menschen und Katze Lotta teilen. In den unteren beiden Etagen sind aus den ehemaligen Küchenräumen weitere WG-Zimmer entstanden, damit auf rund 190 qm Fläche viele Bewohner einen eigenen Raum haben können.
Krasse Unterstützung
Damit das so bleibt, haben die Bewohner das „Blüchi“-Haus im Herbst 2022 gekauft. Nachdem sie im Sommer erfahren hatten, dass die Vermieter es veräußern wollen, begann für die WG-Mitglieder eine aufregende Zeit. „Es ist krass, dass wir es in so kurzer Zeit geschafft haben und so viele Leute uns unterstützen“, erzählt die 35-jährige Sarah. Immerhin 600.000 Euro haben sie von 35 Direktkreditgebern erhalten. Der Bankkredit, der im Laufe von zwanzig Jahren zu tilgen ist, beläuft sich dank Unterstützung auf 250.000 Euro. „In der Zeit werden wir wahrscheinlich die ganze Summe an Direktkrediten noch mal einwerben müssen“, sagt der 37-jährige Pierre. Schließlich können die privaten Kreditgeber, die aus dem direkten Umfeld der Bewohner stammen, nicht jahrzehntelang auf ihr Geld verzichten.
Völlig neue Herausforderungen
Die Zeit des Fundraisings ist damit nicht vorbei. Überhaupt haben sich die WG-internen Aufgaben durch den Hauskauf erweitert. So gibt es jetzt Arbeitsgruppen für Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit oder Instandhaltung. „Über Reparaturen haben wir uns früher keine Gedanken gemacht oder die Vermieter angerufen“, sagt Sarah. Während das Werkeln in Haus und Garten in der WG aber bereits eine gewisse Tradition hat, fallen im Bereich der eigens gegründeten GmbH, die die Immobilie besitzt, diese neuen Aufgaben an: „Es ist schon auch eine Herausforderung, wenn man plötzlich mit doppelter Buchführung umgehen muss“, weiß Pierre.
Wenn er nicht die Gelegenheit gehabt hätte, beim Mietshäuser Syndikat – eine deutschlandweit tätige Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft für selbstorganisierte Hausprojekte – einen Workshop in diesem Bereich zu absolvieren, hätte er sich an anderer Stelle Hilfe organisieren müssen. Die gesamte Konstruktion ist von vornherein so aufgebaut, dass das Syndikat eines Tages als zweiter Gesellschafter einsteigt und dann knapp die Hälfte des Stammkapitals der GmbH – insgesamt 25.000 Euro – einzahlt. Ob es dazu kommt, steht noch nicht fest, denn die Bewerbung läuft noch.
Haus dem Immobilienmarkt entziehen
„Es geht darum, das Haus dauerhaft dem Immobilienmarkt als Spekulationsobjekt zu entziehen. Es kann sein, dass hier in zehn Jahren ganz andere Leute leben und das Haus vielleicht verkaufen wollen“, erklärt Pierre. Gegen eine solche Entscheidung soll dann das Syndikat sein Veto einlegen. Nicht umsonst hat dieses bei der Bewerbung einen Finanzierungsplan vorgelegt bekommen. In diesem musste dargelegt werden, wie die Mieten dauerhaft auf einem sozial verträglichen Niveau gehalten werden können. „Es war gut, dass das Haus schon da gewesen ist und nicht erst gesucht werden musste“, findet die 27-jährige Maike. Sie ist als letzte Bewohnerin eingezogen und wusste im Oktober vergangenen Jahres, worauf sie sich einlässt. „Man muss Zeit investieren, um so eine Sache voranzubringen, aber es ist gut, sich aktiv in so einer Wohngemeinschaft zu beteiligen.“
Text Hendrik Jung Fotos Nele Prinz