„Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter“, schrieb einst Aristoteles. Ein zeitloses Phänomen ist die Freundschaft also. Es geht kaum ohne sie. Dass jedes Alter eine andere Freundschaft bildet, hat der Philosoph auch erkannt. Wir stellen Freundschaften Generationen übergreifend vor.
Nathalie Butscher (46) und Wolf Lustig (63)
Mit Mate fing es an. „1995 muss das ungefähr gewesen sein“, sagt Wolf. Bei ihm im Büro haben er und seine damalige Schülerin, Arbeitskollegin und mittlerweile gute Freundin Nathalie meist zu zweit das Teegemisch getrunken. Aber erst nachdem der frühere Dozent für Spanisch und Katalanisch ihr das Du angeboten hatte. Im überschaubaren Sprachkurs haben sich die beiden näher kennengelernt und für sympathisch befunden: „Sie ist jetzt wohl meine beste Freundin.“ Anfänglich hat Wolf sich als Mentor für Nathalie erwiesen und ihr viele Ratschläge gegeben. „Wolf ist für mich der größte Helfer, Unterstützer und Befürworter, den ich so habe!“ Nach der Uni ist er oft noch zu ihr gefahren. Sie haben gekocht und gequatscht. „Die ganzen ersten Jahre haben eher um die Uni herum stattgefunden“, erzählt Nathalie. Später hat es sich verändert.
Mit dem Einstieg ins Berufsleben ändert sich eine Freundschaft oft, weiß Dr. habil Bozana Meinhardt-Injac, Dozentin am psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität. „Man ist zeitlich eingeschränkt, erst recht, wenn noch eine Familie dazu kommt. Die Freundschaft fungiert dann als Ausgleich und stellt ein Gleichgewicht zur alltäglichen Belastung dar“. Was abnimmt, ist das Schließen neuer Freundschaften. Man orientiert sich an dem, was man bereits kennt. Es dauert im Vergleich zur Jugend länger, eine neue Freundschaft aufzubauen, „da man nicht mehr die Zeit hat, alles auszuprobieren“. Je länger eine Freundschaft dauert, desto unwahrscheinlicher ist es auch, dass sie abbricht. „Man kennt sich so gut, dass es keine Rolle mehr spielt, wie unterschiedlich man mittlerweile ist.“ Man kann direkt wieder anknüpfen, selbst wenn man sich nur wenige Male im Jahr sieht. Mit dem Alter wird man auch selektiver. Man hat weniger enge Freunde und geht dafür sehr viel bewusster mit diesen um. Wolf und Nathalie verbindet auch eine spirituelle Neigung und die Liebe zur Natur. „Wenn wir auf Feldern unterwegs sind, kann Wolf mir immer sagen, ob ich an Kräutern nun sterbe oder nicht“, scherzt Nathalie. Aber auch das Interesse für die Romanistik und interkulturelle Aktivitäten sind wichtige Verbindungen. Schon zweimal hat Nathalie Wolf auf Kreta besucht, sein Zufluchtsort seit über vierzig Jahren. „Man entwickelt sich, wird älter, kriegt graue Haare, aber man bleibt man selber“, sagt Nathalie. Doch es hat sich eine zweite Ebene gebildet, die sich nicht näher beschreiben lässt als mit einem Sich-Gern-Haben: „Bei uns ist was gewachsen, was zeitlos ist.“
Antonia (22) und Luca (21)
Ein Leben ohne den anderen ist für Luca und Antonia nicht vorstellbar. Schon als Fötus im Mutterbauch war klar, dass die beiden einander nicht so schnell loswerden würden. Dabei sind sie keine Zwillinge, sondern einfach Kinder befreundeter Mütter. Drei Monate trennen sie alterstechnisch, und mittlerweile trennt sie auch der Wohnort. Doch tut das der Freundschaft keinen Abbruch, im Gegenteil. Wie wichtig man sich ist, lässt sich nicht nur daran messen, wie häufig man sich sieht, findet Antonia, die seit einiger Zeit in Mainz studiert. Die gebürtigen Göttinger haben etliche Lebensphasen gemeinsam durchgemacht: vom Spielen über „Jungs-sind-Doof“ bis hin zur ersten langen Trennung voneinander während Antonias Auslandsaufenthalt in Neuseeland. Sätze wie „Seid ihr verliebt? Nein? Dann müsst ihr aber Geschwister sein, das geht sonst nicht!“ bekamen sie oft zu hören. Diese Phase war aber schnell vorüber. Als Antonia ihren ersten „Freund“ hatte, war es dennoch kurz ein Thema. Plötzlich gehörte eine weitere männliche Person zu ihrem engsten Kreis, wo Luca doch lange ihr einziger enger Freund gewesen war. „Das war am Anfang schon komisch für mich. Antonia konnte damit besser umgehen“, erinnert er sich. „Wir wählen unsere Freunde aufgrund von Ähnlichkeit“, sagt Dr. Bozana Meinhardt-Injac, Dozentin am psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität. Auch sei es abhängig davon, in welcher Lebensphase man stecke. So definieren Kinder Freundschaft mehr über gemeinsame Aktivität und Spaß. In der Schule verlagere es sich auf die psychischen Merkmale, sprich: Ist jemand zuverlässig oder eher aggressiv? Auch die Popularität in der eigenen Peergroup spielt dann eine große Rolle.
Luca schätzt vor allem Antonias Loyalität und ihre Denkanstöße. Das Bemühen um Verständnis und die Gewissheit der Freundschaft sind für Antonia wichtige Punkte, das Wissen um die volle Akzeptanz und Begleitung in allen Lebensphasen. In Luca sieht sie eine Person, die sie nicht verurteilt und sie annimmt, wie sie ist. Das ist laut Meinhardt-Injac für eine Freundschaft grundlegend: die Akzeptanz des anderen – mehr noch als das Verstehen seines oder ihres Innenlebens. Hin und wieder findet Antonia einen Brief von Luca im Briefkasten: „Jeder von uns hat seine eigene Art, sich auszudrücken.“ Freundschaft ist auch eine Entscheidung und bedeutet Hingabe dem anderen gegenüber. Nach 22 Jahren hat sich die Qualität der Freundschaft sicher verändert. „Dass die Freundschaft solange überlebt hat, ist erstaunlich“, denkt Luca. Für beide ist ein Ende nicht in Sicht.
Marie Thomas (21), Maximilian Widrinsky (23), Laura Christ (22) und Stefan Kieslich (21)
Dieser Freundeskreis scheint auf den ersten Blick eher zufällig entstanden zu sein: Marie und Stefan kennen sich vom Schauspielern aus ihrer Heimatstadt Heidelberg. Maxi und Marie haben sich das erste Mal auf einer Party vor zwei Jahren getroffen und sind seit einigen Monaten ein Paar. Laura und Marie kennen sich über die Uni. Und Maxi und Stefan wohnen seit Kurzem zusammen. Durch beinahe zufällige Fügungen wurden die vier fast wie von selbst immer nah zusammengehalten: „Ich kam in einen bereits bestehenden Freundeskreis, und dennoch war das ein nahtloser Übergang auf eine freundschaftliche Ebene“, sagt Maxi. – „Er wurde mit offenen Armen empfangen“, lacht Stefan. Alle vier haben ihr Elternhaus vor knapp zehn Jahren verlassen und sich gegenseitig zwar nicht gesucht, aber gefunden. Mittlerweile sind sie sich Anlaufstelle bei jeglichen Problemen, fast ein Familienersatz: „Ich bin erst so richtig hier angekommen, als ich diesen Freundeskreis hatte“, sagt Laura. Für Maxi und Stefan war es sogar ein Grund, von Karlsruhe und Frankfurt nach Mainz zu ziehen.
Verglichen mit früheren Lebensphasen und Heimatstädten fühlen sich alle hier sehr viel wohler und haben sich gegenseitig in ihren Lebensalltag integriert. „Seitdem ich mit euch befreundet bin, bin ich ungern allein“, sagt Laura und: „Man versucht sich auch gegenseitig zu besseren Menschen zu machen“. Früher habe sie öfters das Bedürfnis nach Alleinsein verspürt. Nun verbringt sie die Zeit viel lieber mit ihren Freunden. Eine starke Dynamik ist spürbar. „Es ist aber auch wichtig, dass man einander nicht überdrüssig wird und nervt“, weiß Stefan. Heute hat man mehr als früher einen größeren Kreis an Bekannten, sagt die Psychologin Meinhardt-Injac. Das liege an den größeren Möglichkeiten, die es früher so nicht gab. Mehr wirkliche Freunde habe man deshalb aber nicht. Man hat eher Freunde, die das gleiche studieren. Kinder schließen Freundschaften in der Nachbarschaft. Wenn man tanzen geht, freundet man sich mit Menschen an. In der Adoleszenz treten dann die Freunde anstelle der Kernfamilie. Die Zeit, die man mit der Familie verbringt, geht fast komplett runter.
Magdalena Wuff (89) und Luise Tebbe
Seit sieben Jahre wohnt Magdalena Wuff nun schon im Mainzer Altenwohnheim. Das sind fünf Jahre länger als der Durchschnitt. Hier hat sie die acht Jahre ältere Luise Tebbe kennengelernt und beide haben sich sofort gut verstanden. Noch vor wenigen Jahren waren sie gemeinsam in der Stadt unterwegs – mit ihren Rollatoren. Auch Einkaufen war damals noch im Rahmen des Möglichen. Heute geht das alles nicht mehr. Die Frauen sind älter geworden und mit ihnen ihre Körper. Zusammen sitzen sie nun ab und zu bei den Fischen am Teich und den Hühnern im Innenhof, das beschäftigt eine Weile. Doch Frau Tebbe zieht sich immer mehr zurück, will allein sein, ist müde und erschöpft. Magdalena Wuff hat Mühe, ihre alte Freundin zu motivieren, mit ihr in den Garten zu gehen und gemeinsam Zeit zu verbringen. „Ich bin jetzt die Böse“, schmunzelt sie, „weil ich sie immer störe“. Das macht Frau Wuff aber auch traurig. Das Alter macht sich bemerkbar und darunter leiden auch die einst noch so stark gepflegten zwischenmenschlichen Beziehungen. „Worüber sollen wir denn groß sprechen? Wir erleben ja nichts mehr!“ Es fehlt ihnen an neuen Erfahrungen. Die beiden Frauen erleben immer wieder Altbekanntes. Da können die Fische im Teich noch so schön sein und die Eistörtchen in der Cafeteria noch so köstlich.
Freundschaft trägt stark zur menschlichen Gesundheit bei, sagt Dr. Bozana Meinhardt-Injac. „Körperlich wie geistig sind Menschen mit Freundschaften fitter. Im Alter ist es eindeutig, dass Menschen, die isoliert bleiben, es schlechter haben.“ Alleinsein bedeute dabei aber nicht ein Sich-Einsam-Fühlen. „Wenn man isoliert ist, das aber dem eigenen Wunsch entspricht, erfährt man keinen Nachteil gegenüber integrierteren Menschen.“ Wenn eine Isolation aber durch äußere Umstände entsteht, ungewollt, ist das dem Wohlbefinden abträglich. Wenn man begrenzt ist in der Entscheidungsfreiheit, dann nimmt das die Lebensfreude. Trotzdem gibt es Symbole, die die Frauen einander zeigen, um die Freundschaft und Verbundenheit zu würdigen. So hat Frau Tebbe Frau Wuff einmal eine Jacke geschenkt. Und als Frau Wuff ihre Operation hatte und anschließende in die Reha ging und fast zehn Wochen weg war, da habe sie Frau Tebbe wirklich vermisst, sagt sie, und sich auf sie gefreut, als sie wiederkam, „so verbunden sind wir!“. Freundschaft kann also auch noch im hohen Alter entstehen. Wenn sie zudem ein ganzes Leben lang hält, ist das umso schöner. Doch Menschen verändern sich. Und nicht jeder passt in jede Phase des eigenen Lebens. Doch lohnt es sich oft, ein wenig Mühe in eine Freundschaft zu stecken, die droht zu entschwinden, oder wenigstens ein Dankeschön zu sagen für die schönen Zeiten.
Text Victoria Kühne Fotos Katharina Dubno