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sensor-Kolumne: Ist Dr. Treznok homophob?

DrTreznok

Ich lebe seit 1980 offen schwul und habe seitdem viele Beschimpfungen und anti-schwule Gewalt erlebt. Vor 30 Jahren wurden Schwule noch auf der Straße angespuckt und haben in jeder „normalen“ Kneipe Lokalverbot bekommen. Als mein damaliger Freund, der im Stadtrat aktiv war, sich outete, formierte sich eine Bürgerinitiative, die meinte, Schwule dürften das Rathaus nicht betreten und erst recht nicht Politiker werden. Es war die Zeit der AIDS-Hysterie und evangelikale Gruppen fabulierten etwas von der gerechten Strafe Gottes.

Nun, nur wenige Jahrzehnte später, kämpfen die Landeshauptstädte darum, wer den schwulsten Oberbürgermeister hat. Wie hat sich in so kurzer Zeit ein so grundlegender Wandel vollzogen? Lesben-Verbände fordern nun das Recht auf eigene Kinder. Im Kinderwunsch-Zentrum sollen sie sich mit geprüftem und optimiertem Gen-Material ein Wunsch-Kind zimmern lassen dürfen. Das heterosexuelle Fortpflanzungs-Monopol soll abgeschafft werden, nicht zuletzt weil sich dadurch sexuelle Minderheiten unterdrückt fühlen. Unter diesen Voraussetzungen braucht man keine Lebensborn-Einrichtungen mehr, um normgerechte Kinder zu produzieren, das erledigen jetzt Biogenetiker im Labor.

Im antiken Griechenland bestanden die erfolgreichsten Armeen aus Schwulen, weil man sich, Seite an Seite mit seinem Liebhaber, für diesen aufopferungsvoller auf dem Schlachtfeld einsetzte als für eine zu Hause weilende Frau mit Kindern. Auch Ernst Röhm und seine SA waren eine schwule Schlägergruppe, die anfangs von der NSDAP durchaus wohlwollend unterstützt und zielgerichtet eingesetzt wurde. Immerhin war der Nationalsozialismus der Aufbruch in die neue Zeit, man wollte sich von überkommenden Normen befreien.

Dass die Schwulen später selbst Opfer des Nationalsozialismus wurden, ist in dieser Geschichte besonders tragisch, weil das zum Beginn des NSDAP-Regimes nicht absehbar war. Als ich kürzlich auf Facebook nach homophoben Seiten und Gruppen suchte, fand ich so gut wie nichts. Eine einzige Gruppe radikaler evangelikaler Fundamentalisten sprach sich offen gegen Homosexuelle aus. Stattdessen fand ich hunderte Seiten und Gruppen gegen Homophobie. Es gehört inzwischen zum guten Ton, gegen Homophobie zu sein.

Gerade einmal 20 Jahre nach der Streichung des Schwulen-Paragraphen 175 ist das mehr als nur erstaunlich. Und reichte der bloße Verdacht der Homosexualität 1984 noch aus, um die Karriere des 4-Sterne-Generals Kießling zu beenden, so reicht heute der Verdacht, homophob zu sein, um als Politiker oder Journalist indiskutabel zu werden. Dass sich eine ganze Stadt gegen einen Schwulen im Stadtrat zur Wehr setzt ist heute und insbesondere auch in Mainz nicht mehr denkbar.

Das ist auch gut so, und ich bin froh, nicht mehr auf der Straße angespuckt zu werden und überall Lokalverbot zu bekommen, nur weil ich einen Mann küsse. Auch die Haltung der Kirche hat sich geändert: Schwule Pfarrer, die mit einem Mann verpartnert sind, sind nichts besonderes mehr. Schwulenfeindliche Übergriffe habe ich in den letzten 20 Jahren ausschließlich von Muslimen erfahren, die sich mit Homosexuellen nach wie vor schwer tun. Ansonsten hat man sich darauf geeinigt, gegen Homophobie zu sein.

Dennoch kommt mir dieser sehr schnelle gesellschaftliche und politische Wandel unheimlich vor. Sind tatsächlich alle Schwulenhasser / -phobiker gestorben oder haben sich plötzlich umbesonnen? Dass sich nun Homosexuelle im Kinderwunsch- Zentrum gen-optimierten Nachwuchs züchten lassen, finde ich dagegen gruselig. Dass Sexualität nun gar nichts mehr mit Fortpflanzung zu tun haben soll, ist tatsächlich gegen die Natur und ein Eingriff in die Evolution des Lebens, die ja gerade mit dem planlosen Zusammenwürfeln von Genen und Chromosomen zu tun hat. Ich bekomme daher eine immer größer werdende Homophobie. Und die Geschichte zeigt, dass es auch ganz schnell wieder in die Gegenrichtung gehen kann. Vielleicht, wenn die Queer-Gruppen ihre Aufgabe erfüllt haben.