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Schwangerschaftsabbrüche – Situation Mainz

unsplash.com.

„Der §219a wird fallen.“ – So der Bundesjustizminister Marco Buschmann in seiner Bundestagsrede im Januar. Fast pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März, an dem auf die Benachteiligungen von Frauen aufmerksam gemacht wird. Die Abschaffung würde Schwangeren einen ungehinderten Zugang zu seriösen Informationen über Abbrüche bei Ärztinnen und Ärzten ermöglichen. Ein Recht, das schon seit Jahrzehnten intensiv diskutiert wurde. Doch wie griff dieses Gesetz bisher in das Leben von Schwangeren ein? Wie ist es um das Thema im Medizinstudium bestellt? Und ist die Gesetzeslage in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern restriktiver?

In diesem Artikel geht es konkret um Schwangerschaftsabbrüche. Wenn dieses Thema bei Dir negative Emotionen oder Gedanken auslöst, dann lies diesen Artikel nicht oder zusammen mit einer weiteren Person, der Du vertraust.

Wirft man in unserem Universitätsarchiv einen Blick in die Studentenzeitung nobis, zeigt sich, dass das Thema Schwangerschaftsabbrüche auch an unserer Universität nicht spurlos vorbeigegangen ist. Dort wurden Abtreibungen bereits 1953 eifrig in Leserbriefen von Studierenden diskutiert. Es zeichneten sich Standpunkte und Argumente ab, die auch in heutigen Debatten vertreten sind. Während die eine Hälfte der Studenten noch strengere Gesetze forderten, quasi Pro Life, gab es auch Gegenstimmen, die sich für die Abschaffung von §219a, Pro Choice, einsetzten. Der nun bald legale Zugang zu Informationen löst endlich ein Problem, das für etliche Menschen nur eines von vielen alltäglichen Zumutungen war.

Problem 1: Ärztin oder Arzt finden in Mainz

Einen Termin in einer gynäkologischen Praxis zu bekommen kann heißen, auch mal einige Monate darauf zu warten. Ebenso wird die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die zur Durchführung eines Abbruchs bereit oder fähig sind, immer geringer. Die bisher geltende Regelung, dass diese nicht über Abbrüche informieren durften, machte die Suche nicht leichter. Hinzu kommt, dass das Thema in unserer Gesellschaft weitestgehend tabuisiert ist. So stehen kaum weitere Informationsmöglichkeiten neben der Schwangerschaftsberatung und den teils verstörenden Webseiten von Abtreibungsgegnern zur Verfügung.

Ziehen Schwangere in Mainz einen Abbruch in Erwägung, haben sie genau eine Möglichkeit, sich vor Ort beraten und behandeln zu lassen: Pro Familia und deren Medizinische Einrichtung für Schwangerschaftsabbrüche und Nachsorge. Als weitere Option, allerdings nur in medizinischen Notfällen, kann man sich an die Uniklinik wenden. Laut Pro Familia existieren in Rheinland-Pfalz generell nicht besonders viele Möglichkeiten. In den umliegenden Städten sind es keine bis fünf Praxen. Im angrenzenden Wiesbaden sieht es besser aus: Dort gibt es immerhin sechs, die Abbrüche durchführen.

Problem 2: Meist bleibt kaum noch Zeit

Ein weiterer entscheidender Faktor ist Zeit. In Deutschland sind Abtreibungen bis zur zwölften Woche legal. Gerechnet wird ab dem Tag der Befruchtung, also zwei Wochen nach dem ersten Tag der letzten Periode. Zwölf Wochen klingt erst einmal recht viel, aber: Oftmals werden Schwangerschaften erst nach der sechsten Woche bemerkt. Die Hälfte der Zeit ist damit bereits verstrichen. Im besten Fall verbleiben maximal sechs Wochen, um sich einen Termin im vollen Kalender der Gynäkologin oder des Gynäkologen geben zu lassen. Danach folgt der verpflichtende Termin bei einer Beratungsstelle. Für den gibt es in Mainz mit seinen circa 217.000 Bewohnerinnen und Bewohnern (Stand: November 2021) nur eine Stelle. Dann folgt der Termin für den Abbruch selbst – auch hierfür nur eine einzige Möglichkeit in Mainz. Deshalb ist es so wichtig, sich frühzeitig und anhand seriöser Quellen informieren zu können, denn die Zeit ist knapp und die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte ist gering.

Wie wichtig es ist, sich schnell und sachlich informieren zu können, zeigt die neue Gesetzeslage in Texas. Während hierzulande die Ankündigung des Justizministers Hoffnung macht, wurde dort im September vergangenen Jahres ein strengeres Abtreibungsgesetz beschlossen. Es kriminalisiert Abbrüche ab der sechsten Woche, sobald der Herzschlag des Fötus feststellbar ist – auch bei Vergewaltigung und Inzest. In Texas wird jedoch ab dem ersten Tag der letzten Periode gerechnet. Das Ausbleiben der Periode nach vier Wochen ist ein erstes Anzeichen. Bleiben also nur noch zwei Wochen. Viele warten eine Woche ab, bevor sie einen Test machen und die Schwangerschaft ärztlich bestätigen lassen – womit nur noch eine einzige Woche übrigbleibt. Diese Rechnung bildet aber keineswegs die Realität ab. Wie erinnern uns: In der sechsten Woche sind viele unwissend schwanger, Wartezeiten müssen eingeplant werden und dann braucht es noch einen regelmäßigen Zyklus.

Problem 3: Mangelnde Behandlung im Medizinstudium

An vielen deutschen Universitäten werden Abtreibungen in Seminaren behandelt. Allerdings nur in der Theorie und auch dann nicht ausreichend. Den Studierenden der Mainzer Medizin, so die Lehrbeauftrage für Geburtshilfe und Frauenheilkunde Prof. Dr. med. Christine Skala, werden Abbrüche in der Vorlesung Kontrazeption und in der Wahlpflichtwoche beim Thema gynäkologische Endokrinologie vermittelt. Besprochen werden die rechtliche Situation, Indikation und Behandlungsoptionen. Möchte man jedoch den Eingriff praktisch erlernen, ist das nach der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz nur über eine fachärztliche Weiterbildung möglich – unter der Voraussetzung, dass die Weiterbildungsstätte diese spezielle Behandlung auch anbietet. Es erweist sich als schwierig, solch eine Weiterbildungsstätte zu finden, da viele diesen Eingriff nicht selbst praktizieren können und wollen. Was die Möglichkeit eines fristgerechten Schwangerschaftsabbruchs weiter verringert.

Abbrüche lernen auf Eigeninitiative

Weil der tatsächliche medizinische Eingriff im Studium nicht gelehrt wird, haben sich Studierende der Charité in Berlin zur Arbeitsgruppe Medical Students for Choice zusammengetan. Gemeinsam mit ausgebildetem Fachpersonal lernen sie in einem ein- bis zweimal im Semester stattfindenden Workshop anhand einer Papaya, wie man einen operativen Abbruch durchführt. Nur so können sie lernen, wie man einen operativen Eingriff in der Praxis vornimmt und ihn gleichzeitig üben.

Einen anderen Weg nahm Leonie, eine Medizinstudentin an der Charité in Berlin: Im Interview mit Spiegel erzählte sie, dass sie für das Modul Gynäkologie nach Schweden ging. Dort war die Situation ganz anders: Zwei Wochen lang wurden ihr die theoretischen Aspekte beigebracht. Darauf folgten sechs Wochen Praxis, in denen sie die Methoden und den Ablauf dargestellt bekam und bei Erstgesprächen dabei sein durfte. Operative Abbrüche wurden wie alle anderen Eingriffe behandelt – als ganz normal. So gelten sie im schwedischen Studium als eine Pflichtveranstaltung, anders als bei uns in Deutschland.

Das genaue Gegenteil zu diesem offenen Umgang spielt sich in Polen ab. Infolge eines nahezu vollständigen Abtreibungsverbots starb im September letzten Jahres eine schwangere Polin an einem septischen Schock. Ihr wurde eine lebensrettende Abtreibung verweigert, da das medizinische Personal den Tod des Fötus abwartete. Wie prekär dieses Gesetz die Situation von Schwangeren gestaltet, macht der Fall von Zuzia Smoczyńska deutlich. Dem Spiegel erzählte sie in einem Interview, dass sie mit 21 Jahren als Studentin in Warschau ungewollt schwanger wurde. Statt Adressen von Beratungsstellen und Praxen, suchte sie nach Erfahrungsberichten im Internet, um sich Tabletten für eine medikamentöse Abtreibung bestellen zu können. Auf ärztliche Versorgung konnte sie nicht hoffen.

Selbstbestimmung und Rechte für Schwangere

Die Abschaffung des §219a ist ein wichtiger Schritt für die Rechte von Frauen. Aber ist damit das Problem gelöst? Nein. Es fehlen noch weitere Schritte. Gerade am Weltfrauentag muss daran erinnert werden, dass Schwangere wie Zuzia viel auf sich nehmen und Hürden überwinden müssen, um etwas in Anspruch nehmen zu können, was in anderen Ländern bereits selbstverständlich ist. Und auch in Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung unseres medizinischen Personals besteht Handlungsbedarf. Wem das zu lange dauert, der kann schon jetzt aktiv werden: Medizin-Studierende könnten sich auch in anderen Städten zu Arbeitsgruppen wie die Medical Students for Choice zusammenschließen. Oder wie wäre es mit Papaya-Workshops, um zu lernen, was das Medizinstudium derzeit noch nicht ausreichend vermittelt – vielleicht ja auch in Mainz?

 

Bei Fragen und Problemen könnt Ihr Euch jederzeit an das Autonome AlleFrauen*Referat, das Autonome Referat für Eltern, an den AStA oder auch an Pro Familia Mainz wenden. Auch im Familien-Servicebüro und bei der Stabsstelle für Gleichheit und Diversität der JGU kann Euch geholfen werden. Während einer Schwangerschaft im Studium habt Ihr außerdem Anspruch auf den Studentischen Mutterschutz. Weitere Informationen könnt Ihr unter Studieren mit Kind finden.

 

Eberle, Valerie Tayla

1 response to “Schwangerschaftsabbrüche – Situation Mainz

  1. Das ist ja alles schön und gut, nur regelt der Paragraph 129a nicht den Abbruch und er verhindert auch nicht das die Betroffenen an Informationen kommen. Alle Beratungstellen dürfen soviel Online Informieren wie sie wollen. Im gegenteil der Paragraph soll verhindern, dass Ärzte die Abtreibungen durchführen dafür „werben“ dürfen, was zu einem Interessenkonflikt führen kann.

    Was auch fehlt und ich nach lesen der Überschrift erwartet hätte, wie es zahlenmäßig aussieht in Mainz mit Abtreibungen? Hier wird viel von Mangel gesprochen ohne das man sich ein Bild über diesen machen könnte.

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