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Schnaps-Ideen: Gin, Wodka & Schnäpse – made in Mainz

Foto: Awadam

Aus Sicht der Schorle ist die Lage dramatisch. Über Jahrzehnte war ihre Stellung in Mainz und Rheinhessen unangetastet. Lange war sie der alleinige Star auf den nächtlichen Bühnen der Bars, Clubs und Eckkneipen. Ob Marktfrühstück oder Fastnacht, oder ab Weck und Worscht – all das ohne sie unvorstellbar. Doch seit einigen Jahren hat das Mainzer Lieblingsgetränk Konkurrenz bekommen; die Schorle bangt um ihre Solitärstellung. Denn durch die Stadt weht eine frische Fahne in Form von edlen Tröpfchen in wohlgeformten Flaschen mit durchdesignten Etiketten und außergewöhnlichen Namen. Diese zergehen auf der Zunge wie der Marillenlikör aus Opas Keller: Muscatel Distilled Gin, Harald Schatz Wodka, Rauschritter, Tinte Gin, Mainzer Lust, Arabikuss oder Cascara, um nur einige Namen zu nennen. Doch wer steckt eigentlich dahinter?

Harald Schatz & Muscatel
Einer der Ersten, die ihre eigene Spirituose an den Start gebracht haben, ist Pascal Hedrich. Der gebürtige Mainzer war 17 Jahre lang Chef des bekannten Club 50 Grad. Schon seit 2015 bringt sein Unternehmen „A Witch A Dragon & Me“ den „Harald Schatz Wodka“ heraus. Geboren wurde die Idee, als Pascal mit seiner Schwester Laura, die er „Hexe“ nennt, einer Freundin (sie hat den Nachnamen Dragon) und deren Partner eine Wodka-Hausmarke für seinen Club entwickeln wollte. Diesen Wodka beschreibt Pascal jetzt so: Er habe eine leicht süßliche Note und sei „super smooth“, „ein Killer“, pur und warm trinkbar. Mitunter das Schönste an diesem Getränk ist die Geschichte dahinter: Er ist nämlich eine Hommage an den ehemaligen Hausmeister des 50 Grad. „Der Mann, der uns damals ermöglicht hat, den Mietvertrag zu bekommen“, so Pascal. „Ohne Harald Schatz hätte es das 50 Grad nicht gegeben.“ Heute hat Hausmeister Schatz (inzwischen ist er berentet und fährt viel Fahrrad) eine Wodka-Flatrate. Und Pascal ist statt im Mainzer Nachtleben nun in ganz Deutschland unterwegs. Seit ein paar Jahren ist sein neues Ding nämlich die Herstellung, Platzierung, der Vertrieb und Verleih von Fotoautomaten… Beim Wodka blieb es für „A Witch A Dragon & Me“ dann auch nicht. Inzwischen vertreiben sie noch verschiedene Gins, darunter den „Muscatel Distilled Gin“, eine „moderne Interpretation dieser köstlichen Spirituose“, die neben dem klassischen Wacholder-Aroma mit einer der ältesten Rebsorten der Welt, dem Gelber Muskateller, ergänzt wurde. „Allerdings wäre nichts davon von Bedeutung, ohne die wichtigste Zutat von allen: Hingabe und die Liebe für außergewöhnlichen Geschmack.“ Hört man Pascal zu, wenn er über seine Getränke spricht, hat man den Eindruck, er würde ein Kunstwerk beschreiben. „Der Bereich Gin und Wodka war über Jahrzehnte sehr angestaubt“, erklärt er sich den Spirituosen-Start-Up-Boom. „Es kam eine Generation kreativer Leute mit neuem Style, die Lust hat, diese Produkte aus der verstaubten Ecke zu holen. Außerdem sind Gin und Wodka relativ einfach herzustellen.“

Rauschritter-Papa David Wilk

Getränkekunde
Spirituosen – die „geistigen Getränke“ – zeichnen sich durch einen Alkoholgehalt von mindestens 15 Prozent aus. Die Gewinnung ihrer alkoholischen Basis geschieht durch Brennen (Destillation) von Früchten, Wurzeln, Knollen oder Getreide. Historisch gesehen sind Spirituosen viel jünger als Wein. Bereits vor 8.000 Jahren wurden laut Deutschem Weininstitut in Mesopotamien Trauben gepresst, um daraus Wein herzustellen. Der Durchbruch der Spirituosen aber gelang erst um das Jahr 1000 in den Klosterküchen und Apotheken Süditaliens. Lange Zeit galt Branntwein ausschließlich als Heilmittel, heißt es beim Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure. Erst im 15. Jahrhundert setzte er sich auch als Genussmittel durch, entwickelte sich und zeichnet sich heute durch Vielfalt und Raffinesse in den Aromen aus. Eine der bekanntesten Spirituosen ist Wodka mit einem Mindestalkoholgehalt von 37,5 Prozent. Er besteht in der Essenz nur aus Wasser und einem Destillat etwa aus Kartoffel, Getreide oder Melasse. Sein Name kommt vom russischen Woda, was „Wässerchen“ bedeutet. Ein Likör hingegen hat nur mindestens 15 Prozent und beinhaltet neben Alkohol und Wasser optional unterschiedliche Aromen und Farben sowie vor allem Zucker. Ein Brand zeichnet sich wiederum durch einen Mindestalkoholgehalt von 37,5 Prozent aus und trägt die Hauptzutat meist gleich im Namen, wie Weinbrand oder Birnenbrand. Er besteht aus einem Destillat aus Früchten, Beeren oder Nüssen sowie Wasser sowie optional Zucker. Gin, die Diva unter den Spirituosen, hat ebenfalls einen Mindestalkoholgehalt von 37,5 Prozent und beinhaltet mindestens Alkohol, Wasser und Wacholderbeeren. Oft kommen hier noch allerlei „Botanicals“, also Aromen, hinzu, die dem Ganzen einen mehr oder minder fancy Geschmack verleihen.

Gin vom Rauschritter
Die 30-jährige Wahlmainzerin Svenja Büttner hat mit ihrem Geschäftspartner David Wilk, der mit seiner Mutter die Neue- GoldenRossKaserne in der Mombacher Straße betreibt, im Mai dieses Jahres den Gin „Rauschritter“ an den Start gebracht. Es handelt sich dabei um einen hochwertigen London Dry Gin, bestehend aus zwölf Botanicals und 45 Prozent Alkohol. Trotz der hohen Promillezahl ließe er sich pur trinken und sei fast mild, sagt Svenja. „Er ist wacholderlastig

Wurde zur Gin-Liebhaberin: Svenja Büttner

im Geruch, im Geschmack nimmt er sich aber schön zurück.“ Die Inhalte seien „ein bisschen verrückt“, darunter Orangenblüte, Gelbholz und Kardamom. „Rauschritter“ ist laut Svenja „eine schöne und vielfältige Alternative zum Wein, den ja auch nicht jeder gerne trinkt“. Sie selbst hatte vorher mit Gin nicht viel am Hut, ist aber mittlerweile zum Fan geworden. Die Entstehung von „Rauschritter“ war übrigens auch „eine Schnapsidee“ innerhalb der Community der Neuen GoldenRossKaserne. In dem Co-Office-Space, in dem Svenja als Filmproduzentin arbeitete, lernte sie David kennen. Aus einer Geschäftsbeziehung wurde eine Freundschaft, die zu einer Kooperation mit Edelranz führte, die wiederum den „Tinte“ Gin herstellen. „Wieso haben wir eigentlich keinen eigenen Gin?“, fragten sich Svenja und David eines Tages. So wurde aus einem „Wollen wir das zusammen machen?“ ein „Joa, warum nicht?! Wir haben zwar keine Ahnung davon, aber das kann ja werden“ und daraus ihr „Einsteiger-Gin für die breite Masse“. „Rauschritter“ ist übrigens nur der Anfang. Weitere Getränke- Ideen sind schon in der Pipeline.

Nuss-Schnaps
Spirituosen können also basic sein oder exquisit, so wie die neuen Mainzer Stoffe, die inzwischen weit über die Stadtgrenzen mindestens deutschlandweit verkauft werden. Die Konkurrenten der Schorle kommen mit fünffach destilliertem Alkohol und zweifach gefiltertem Wasser daher, zeichnen sich durch feinste Kreationen mit zwölf oder mehr teils fast unaussprechlichen Inhaltsstoffen aus und werden in durchnummerierten Flaschen für teilweise 90 Euro verkauft. Sie sind aber – im Vergleich zur 3,90-Wein-Schorle – nicht nur hochpreisig, sondern auch hochwertig, dazu oft regional in Handarbeit produziert und im besten Fall nur aus natürlichen Zutaten. Kreiert sind sie oft von jungen, hippen Start-Ups, die in der Gastro- oder Kreativszene beheimatet sind.

Katharina, Moritz und Sascha sind das Kollektiv KAMORA

So hat die Entstehung des Haselnusslikörs „Voll auf die Nuss“ einen feuchtfröhlichen Ursprung. Das Kollektiv KAMORA, seit 2019 bestehend aus den kreativen Köpfen Katharina Bahne, Moritz Brüggemann (u.a. zuständig für Vertrieb) und Sascha Radewald. Sie veranstalteten eine Zeit lang Underground- Tischtennis-Partys. Doch bald sei klar gewesen, dass nicht nur jeder Gewinner an der Platte einen Shot verdiene, erinnert sich Sascha, der sich bei KAMORA um die Zahlen kümmert, sondern auch: „Wenn wir damit Geld verdienen wollen, brauchen wir ein eigenes Getränk.“ Angefangen haben sie, „wie man nicht rangehen sollte“, nämlich von dem auszugehen, was ihnen persönlich schmeckt. Kurzerhand hat Sascha mit Katharina und Moritz (die auch schon gemeinsam ein Kinderbuch herausgegeben haben) eine regionale Brennerei in Rheinhessen gefunden und die eigene Likör-Mixtur entwickelt. „Voll auf die Nuss“ schmeckt trotz eines gewissen Pflichtanteils an Zucker „nicht zu babbisch“ und auch der 86-jährigen Oma eines Kumpels, die ihn im Liebs-Laden in der Neustadt kauft. Bei KAMORA werden Schorle und Spirituose unter einen Hut gebracht. Denn parallel zum Likör entwickelten die drei die noch bekanntere „Rheinschorle“, die mittlerweile in drei Sorten erhältlich ist. Die Schorle bringe dem jungen Unternehmen aus der Mainzer Neustadt auch deutlich mehr Gewinn ein, der Nusslikör gehe dafür etwa an Weihnachten sehr gut. Den Spirituosen- Boom erklärt sich Sascha dadurch, dass die Getränke für Produzenten und Konsumenten gleichermaßen leicht zugänglich sind: „Man entwickelt eben keine Rocket Science, keine Impfstoffe oder Blumendünger.“ Zudem hatten er, Katharina und Moritz einfach Lust, etwas gemeinsam zu gründen.

Diesen Drink liebt sogar die 86-jährige Oma

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eulchen-Gründer Philipp Vogel
(rechts) und Leonidas Lazaridis

Der Brand unter den Bieren
Kommen wir zu unserem letzten „Entwickler“, der eigentlich vor allem auf dem Biermarkt bekannt ist und erst dadurch zum Schnaps kam: Eulchen. „Von der Bachelor-Arbeit zur Brauerei“, fasst Gründer Philipp Vogel die Geschichte zusammen. Und all das war eher ein Versehen als geplant. Mit seinem Partner, dem gebürtigen Mainzer Leonidas Lazaridis, hat der heute 32-Jährige 2013 seine Abschlussarbeit als Kommunikationsdesigner über Bier und die Mainzer Biergeschichte geschrieben. Denn „historisch betrachtet war Mainz eine Bierstadt“. Vor 50 bis 100 Jahren hat es hier laut Philipp bis zu 100 Brauereien gegeben, manche zählten zu den größten in Deutschland. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Die beiden ehemaligen Mainzer Studenten brauen seit 2013 unter dem Namen „Eulchen“ ihr eigenes Bier. Zunächst in anderen überregionalen Brauereien eingemietet, wird dieses nun an einem geschichtsträchtigen Ort hergestellt: auf der Kupferbergterrasse – hier haben die beiden Betreiber gut eine Million Euro für die großräumige, etwa 1.000 qm umfassende Produktionsstätte investiert. Mit einer 10 Hektoliter großen Brauanlage werden pro Jahr etwa 600.000 Flaschen verschiedener Sorten abgefüllt. Aus Bier holten die Eulchen-Chefs raus, was geht: Märzen, Helles, Pale Ale, Pils, Weizen, Alkoholfreies. Und dann irgendwann, fast als logische Folge, kam mit dem Bierbrand die erste Spirituose: „Es ist relativ naheliegend, aus Bier Schnaps zu brennen“, sagt Philipp. „Wir machen unser Bier fertig und statt es zu trinken, destillieren wir es noch mal.“ Der klare Bierbrand besteht also aus den gleichen Rohstoffen wie Bier, schmeckt aber nicht danach, sondern hat ein überraschend feines Aroma von Steinobst, Richtung Williams-Christ-Birne.

Mit 41,5 Prozent sei er zwar kein Jedermannsschnaps, sagt Philipp, „aber ich bin großer Fan“. Zudem bildet der Schnaps die Basis für zwei weitere Neuentwicklungen aus dem Hause Eulchen: den Bierlikör und den Biernusslikör. Beide sind gefälliger, samtiger, weicher und süßer als der Brand und eine schöne Dessertalternative. Für den Winter kündigt Eulchen-Chef Philipp übrigens schon den nächsten Drink an – wir sind gespannt, was man aus Bier noch alles machen kann…

Text Hannah Weiner Fotos Jonas Otte