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Rasse statt Masse – Mainzer Geflügelzucht als Artenschutz

von Elif Urel und Domenic Driessen (Fotos):

Das Rauschen der Blätter an den Bäumen klingt noch frühlingsfrisch. Zwölf Krähen ziehen am Himmel ihre Kreise, ein Propellerflieger zerschneidet ratternd die Luft. Das Betreten
des vor uns liegenden Geländes verspricht Schutz und Abgeschiedenheit. Seine Bewohner sind uns unbekannt. Sie nennen sich Zwerg-Brahmas, Araucanas oder auch Zwerg-Orpingtone. Es sind mit die ältesten ihrer Art. Würde man sie nicht schützen, würde es sie nicht mehr geben.

Zeitintensives Hobby

Über das Areal wacht Rainer Wejwoda. Er führt uns durch jenen Kosmos in Mainz-Ebersheim, dem größten Rassegeflügelzuchtverein des Kreises Mainz-Bingen. Seit gut 40 Jahren widmet sich der Vorsitzende des Kreisverbandes voller Hingabe der Arbeit mit den Tieren. Für ihn ist dieses Hobby so normal wie Essen und Trinken: „Andere befassen sich in ihrer Freizeit mit Sport, ich mit Rassegeflügelzucht. Ich mag den Umgang mit Tieren und der Natur.“ Er bewegt sich langsam. Hektik und Ungeduld liegen ihm fern. Damit käme er bei diesem zeitintensiven Hobby auch nicht weit, denn hier wird Präzisionsarbeit geleistet.

Die Tiere werden nach einem festgelegten Standard des Dachverbandes gezüchtet: selektiert nach Merkmal und Eigenschaften, die im Gengut verankert sind. So ist etwa vorgegeben,wie der stolze Bart des „Antwerpener Bartzwerges“ auszusehen hat. Sieht der Bart anders aus, ist es eben kein „Antwerpener Bartzwerg“ – zumindest nicht so wirklich.

Vielfalt gegen Gleichmacherei

In 30 Parzellen züchten die Vereinsmitglieder an die 40 Rassen von Hühnern, Tauben und Gänsen. Die Ebersheimer Anlage gibt es seit 1980. Bundesweit widmen sich fast 200.000 Menschen innerhalb der zwanzig Landesverbände der Rassegeflügelzucht. Was auf den ersten Blick aussieht wie deutsches Kleingarten-Spießbürgertum, ist auf den zweiten Blick eine wichtige Arbeit. Denn eine Artenvielfalt wäre ohne diese Arbeit nicht möglich. Die Massentierhaltung(s)-Industrie fördert eher das Gegenteil. Die Züchter streben gute Arbeit an, um ihre Tiere später auf Landes-und Kreisschauen zu präsentieren. Damit das fischschuppenartige Gefieder des Zwerghuhns weiterhin dem Verbands-Standard entspricht, müssen sie genauestens planen: Sie sind das Parship der Vogelwelt.

Wie man sich am besten präsentiert, lernt man von den Tieren selbst. Eine schwarze Kropftaube, die aussieht wie ein Pastor, plustert sich auf und bläst Luft in ihr Gefieder. Hier versteht auch der Laie: Der will es jetzt wissen. Wer sich nicht zeigt, kommt nicht zum Zug – ein Überlebensprinzip. Pro Gehege werden einem Hahn vier Hennen zugeteilt, die unter sich die Rangordnung auspicken. Unter den Weibchen existiert ebenfalls eine Nummer eins: die Dominante, das allseits präsente Weibchen, das überall zuerst ran darf. Das letzte Wort hat dennoch der Hahn im Korb.

Bei den Vögeln spielen Namen keine Rolle

Sobald Wejwoda vor seinem Gehege steht, erkennen ihn die Tiere und kommen leise zu ihm. Er kennt jede Rasse, jedes Tier im Revier. Zu viel Nähe ist allerdings auch nicht drin. Maximal zwei Jahre werden die Hühner für den Arterhalt eingesetzt, danach segnen sie letztlich doch das Zeitliche und landen früher oder später auf dem Teller. Tauben dürfen sich immerhin bis zu acht Jahre reproduzieren.

Werden braucht Zeit

Der 69-jährige Rentner hat längst verinnerlicht, was in vielen Lebenslagen gerne ignoriert wird: Dass alles im Leben seine Zeit braucht. „Es ist wichtig, warten zu können. Man kann nicht losziehen und sich ein Küken besorgen, nur weil man jetzt gerne ein Küken hätte. Es dauert nun mal 21 Tage bis ein Küken aus einem Ei geschlüpft ist“, sagt der ehemalige Schlosser. Mit seiner ruhigen Art wirkt er wie ein Bote aus einer anderen Zeit. „Man kann die genetisch hervorragendsten Tiere miteinander in ein Gehege stecken – oftmals kommt dann etwas völlig unerwartetes raus. Irgendein Gen, mit dem man nicht rechnet, setzt sich plötzlich nach fünf Generationen durch.“ Mit warmen Augen schaut er in die Runde: „Was in unseren Augen perfekt zusammenpasst, passt oftmals dann doch nicht zusammen. Man kann im Leben nicht alles beeinflussen.“

Rassegeflügelzuchtverein Mainz-Ebersheim e.V Auf der Lochsteig 55129 Mainz-Ebersheim Tel.: 0 61 36 / 42 32 9 Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter