Direkt zum Inhalt wechseln
|

Radfahren in Mainz: Kampf auf dem Sattel!

Radkampf2
von Florian Barz  Foto Jonas Otte

Fahrradstadt Mainz? Ein schlechter Witz! Wer in Mainz Rad fährt, braucht Geduld und gute Nerven. Besonders in der Innenstadt ist das Radfahren mitunter lebensgefährlich. Viele Wege sind in katastrophalem Zustand, enden im Nichts oder sind nur im Schritttempo befahrbar.

Beispiel Große Bleiche: Hier verläuft die Radspur – wie fast überall in Mainz – nicht auf, sondern parallel zur Straße. Der Weg ist gesäumt von Hindernissen, führt vorbei an Bushaltestellen, Mülltonnen und parkenden Autos. Ständig kreuzen Fußgänger den Weg, ohne nach rechts oder links zu schauen. Und wer als Radler klingelt oder sich mit Rufen bemerkbar macht, erntet nicht selten noch einen blöden Kommentar. Für Radler bleibt da nur: Hand an die Bremse und ganz langsam fahren. Oder eben gleich schieben.
An der Kreuzung zur Bauhofstraße zeigt sich ein besonders kafkaeskes Beispiel Mainzer Radverkehrsführung: Wer mit dem Rad von der Neustadt Richtung Höfchen unterwegs ist, wird plötzlich auf den Gehweg geleitet, direkt vor die Bushaltestelle Bauhofstraße. Hier verläuft sich der Radweg in der Busspur. Konflikte mit Bussen sind somit unausweichlich.

Im Nichts enden auch die Radwege am Gautor, in der Langgasse oder der Weißliliengasse. Zudem gleichen viele Radwege Buckelpisten und sind voller Schlaglöcher, Wurzeln oder Scherben. Kein Wunder, dass der Frust groß ist: „Mainz ist eine tolle Stadt, aber zum Radfahren gibt es nichts Schlimmeres!“, schreibt uns Leserin Leni Puteni auf Facebook. Simone Boers hat bereits kapituliert: „Als Münsterländerin kann ich ein klares Urteil fällen. Ich hab‘s aufgegeben in Mainz (und Umgebung) zu radeln. Voll anstrengend, spaßfrei und gefährlich.“

Lange Jahre Stillstand

Mainz hat über 40.000 Studenten und eine wachsende Kreativ-Szene. Tausende Pendler kommen täglich zum Arbeiten – lebendig, jung, dynamisch – aber beim Radfahren sind wir von vorgestern. Wie kann das sein? Dabei war Mainz sogar mal Vorreiter. Wir waren die erste deutsche Großstadt mit einem Fahrradbeauftragten. 1997 hob die Stadt das Einbahnstraßenverbot für Radfahrer auf – damals einmalig in Deutschland. Doch während viele Städte in den Nullerjahren dem erhöhten Fahrradaufkommen Rechnung trugen und die Fahrradinfrastruktur aufwerteten, gab es in Mainz Stillstand.

„Es gab über viele Jahre wenig Affinität in der Politik zum Radverkehr“, sagt Verkehrsdezernentin Katrin Eder von den Grünen. „Dabei wissen wir, dass immer mehr Menschen in Mainz Radfahren. Es gibt ein Bedürfnis für eine bessere Fahrradinfrastruktur.“ Seit 2011 ist Eder im Amt. Radfahren ist ein Schwerpunkt ihrer politischen Agenda. Sie erhöhte das Budget für die Rad-Infrastruktur von 50.000 auf 250.000 Euro, baute gegen Widerstände das MVG Radverleih-System aus und schuf 1.000 neue Fahrradständer. Konkrete Pläne gibt es für ein Fahrrad-Parkhaus am Hauptbahnhof, das Pendlern die Möglichkeit gibt, ihre Drahtesel sicher abzustellen.

Maßnahmen wie diesen ist es zu verdanken, dass Mainz im letzten ADFC-Fahrradklimatest im soliden Mittelfeld auf Platz 13 von 39 getesteten Städten abschloss, hinter Fahrradstädten wie Münster und Freiburg, aber eben auch weit vor Köln oder Schlusslicht Wiesbaden. Wer sich die Umfragewerte genauer anschaut, erkennt aber auch, wie schlecht die Mainzer Radwege bei der Umfrage abschnitten: Bei Wegweisung, Oberfläche und Breite der Radwege vergab die Mehrzahl der Befragten die Schulnote 6.

Radfahrer auf die Straße

Auch Katrin Eder weiß um die Unzufriedenheit der Radler. Das Problem: Selbst wenn das Geld und die Bereitschaft für ein breit ausgebautes Radwegenetz da wären, die Stadt ist einfach zu eng bebaut. Ihre Lösung lautet daher: Radler auf die Straße – wie in der Boppstraße. Hier hat die Stadt die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben. Das blaue Schild, das vormals den Radweg kennzeichnet, wurde entfernt. Alle Radler dürfen nun auf der Straße fahren, ganz legal.

Angesichts des katastrophalen Zustandes des Radweges die deutlich bessere Alternative, zumal Radfahrer auf der Straße ohnehin sicherer unterwegs sind, wie verschiedene Studien belegen. „Vor allem beim Abbiegen von Autos kommt es zu Unfällen, wenn Radler auf dem parallel laufenden Radweg übersehen werden“, sagt Eder. Auch in der Hindenburgstraße, der Göttelmannstraße und der Goethestraße wurde die Radwegpflicht aufgehoben. Weitere Straßen sollen folgen, unter anderem die Große Bleiche und Weißliliengasse. Einen genauen Termin kann Eder aber noch nicht nennen.

Wer sich mit dem Rad auf der Straße unsicher fühlt, darf natürlich weiter die Radwege benutzen. Die hält die Stadt zwar in Betrieb, eine umfassende Sanierung wird es aber wohl nicht geben. Dafür fehlt schlicht das Geld. 25 Cent pro Einwohner sind derzeit im Haushalt zum Ausbau des Radverkehrs vorgesehen. Auf einigen Straßen soll es aber Schutzstreifen geben, wie es bereits jetzt auf der Finther Landstraße oder Am Judensand der Fall ist. Gestrichelte Linien bedeuten, dass Radfahrer hier Vorrang vor Autos haben. Ist die Linie durchgezogen, sind Autos ganz tabu.

Generationenkonflikt

Wolfgang Stallmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (AFDC) Mainz-Bingen begrüßt diese Maßnahme: „Fahrradwege sind ein Irrweg der Nachkriegszeit. Damals hat man die Radfahrer in der Stadt von der Straße auf Seitenwege verbannt. Das war ganz im Sinne der Autofahrer.“ Dabei sind Radfahrer auch normale Verkehrsteilnehmer, denen ein Teil der Straße zusteht. Das ist gewöhnungsbedürftig für Radler, aber erst Recht für Autofahrer.

Stallmann ist so regelmäßig auf der Kreuzstraße unterwegs, die auch von der Radwege- Benutzungspflicht aufgehoben wurde: „Autofahrer hupen mich oft an. Ich kläre sie dann freundlich über die neue Rechtslage auf. Einige verstehen das, andere weniger. Am Ende ist es wohl ein Gewöhnungsprozess, wie bei den Einbahnstraßen. Da beschwert sich heute auch niemand mehr.“ Er empfiehlt Radlern ein selbstbewusstes Auftreten auf der Straße. „Man sollte sich nicht an den rechten Bordstein drängen, das lädt Autos nur zum Überholen ein. Stattdessen: Ganz bewusst in der Mitte der Fahrbahn fahren.“ 1,50 m beträgt der Mindestabstand beim Überholen eines Radfahrers – zu wenig, um auf einer Fahrbahn zu überholen. „Die Autofahrer werden sicher nicht langsamer durch die Stadt kommen, nur weil sie die Straße jetzt mit Radlern teilen müssen.“

Viele Autofahrer sehen das anders und wettern gegen die neuen Pläne. Gerhard Hübel von der Senioren-Union warf Katrin Eder vor, den Radverkehr einseitig zu fördern und giftete gegen Radfahrer in der Stadt: „Die fahren, wie sie wollen.“ Als die Allgemeine Zeitung ihre Leser zu „Rüpel- Radfahrern“ in der Stadt befragte, gab es haufenweise Zuschriften. Katrin Eder spricht von einem Generationenkonflikt. „Ich glaube, dass viele Radfahrer zur jungen Generation gehören. Die äußern sich lieber auf anderen Wegen.“ Sie betont zudem, dass die Straßenverordnung vorgibt, dass das Fahrrad auf die Straße gehört. „Alle tun immer so, als wäre das eine Erfindung von uns. Dabei gab es dazu ein Gerichtsurteil.“

Rote Ampeln für Radfahrer abschaffen?

Für Carlo Müller (27) können die Maßnahmen der Stadt gar nicht weit genug gehen. Mit dem Journalisten Fabian Scheuermann betreibt er das Online- Portal „Fahr-Rad-Mainz.de“, das sich für die Belange von Radfahrern einsetzt. „Nicht allen Radfahrern ist es zuzumuten, wenn Autos auf der Straße neben ihnen mit über 50 km/h vorbeifahren“, sagt Müller und bringt deshalb das Konzept der „Shared Lane“ ins Spiel. Die rechte Fahrbahn ist hier bevorzugt für Radfahrer und Autos dürfen nur mit 30 km/h fahren. „Die Geschwindigkeit wird auf der rechten Spur reduziert und Räder können entspannt im Verkehr mitfließen“, sagt Müller. „Für die Kaiserstraße oder die Rheinallee wäre das eine optimale Lösung.“

Für einen flüssigeren Radverkehr schlägt Müller sogar vor, rote Ampeln für Radfahrer außer Kraft zu setzen. „Wir wissen, dass die Hälfte der Radfahrer jetzt schon über Rot fährt. Ich würde mir wünschen, dass dies erlaubt wird. Als Radfahrer kann man sich ganz anders durch den Verkehr bewegen.“ Dass das keine utopische Idee ist, beweisen Städte wie Paris, Basel oder Berlin. Hier gelten rote Ampeln für Radfahrer in bestimmten Vierteln nur noch als Stoppschilder. Ist die Straße frei, haben Radler freie Fahrt. Für eine solche Forderung finden sich in Mainz wohl kaum politische Mehrheiten. Aber Carlo Müller wird trotzdem weiter kämpfen. „Je besser die Fahrrad-Infrastruktur in der Stadt, desto mehr Leute fahren Rad. Das wollen wir erreichen, auch der Umwelt zuliebe. Radfahren ist gut für dich und gut für die Stadt.“