Direkt zum Inhalt wechseln
|

„Pulse of Europe“ Demo am 4. Juni: Unser Interview mit Aktivistin Marie Kaiser

Wer seid ihr und was macht ihr?

Unsere Bewegung für den Erhalt der EU gibt es seit vergangenem Jahr, etwas nach den Präsidentschaftswahlen in den USA. Wir wollten gewissen populistischen, nationalistischen und antieuropäischen Kräften etwas entgegensetzen. Zwei Rechtsanwälte aus Frankfurt haben das gestartet und wir haben uns daraufhin mit einigen Leuten in Mainz getroffen und mitgemacht. Darunter waren Studenten, Rentner, aber auch Menschen, die voll im Beruf stehen. Unsere erste Kundgebung war am 23. April. Da kamen überraschenderweise 500 bis 1.000 Leute, auch super viele junge. Ich finde es erfreulich, dass man die jetzt auf der Straße sieht, um für die EU zu demonstrieren.

Was ist eure Motivation?

Da kommt einiges zusammen, sei es Trump, Brexit, Polen, die Niederlande oder die Situation in Frankreich. Wir haben genug Grund, uns für Europa zu engagieren: Wir leben in Freiheit, wir dürfen sagen was wir wollen, lieben wen wir wollen, leben wo wir wollen und vor allem: Wir leben in Frieden. Das ist für meine Generation sehr selbstverständlich. Wenn man sich bewusst macht, dass das nicht überall so ist, dann muss man sich überlegen: Schaut man angesichts der vielen Anti-EU-Politiker da jetzt weg, oder tut man etwas für den Erhalt? Und jetzt ist es noch einfach etwas dafür zu tun. Wenn man dem Ganzen aber erstmal freien Lauf lässt und nur abwartet, was passiert, dann ist es später schwieriger, etwas gegen die Missstände unternehmen.

Was ist eure Agenda?

Wir haben zehn Thesen zu Europa, zum Frieden, zu Eigenverantwortlichkeit, aber vor allem auch feste Eckpfeiler wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenwürde, Toleranz und Respekt anderen gegenüber, die wir einfordern. Wichtig ist auch, dass alle bei uns mitmachen können.

Wann findet die nächste Veranstaltung statt?

Bisher fand sie jeden Sonntag statt, jedoch war die Initiative eigentlich nur bis zur französischen Präsidentschaftswahl geplant. Doch eigentlich können und wollen wir jetzt nicht aufhören, da noch die Bundestagswahl bevorsteht. Daher ist die nächste Veranstaltung am 4. Juni, wahrscheinlich auf dem Liebfrauenplatz am Gutenberg-Museum.

Wie werdet ihr wahrgenommen? Manch einer beobachtet euch ja auch kritisch…

Insgesamt sehr positiv, weil wir für etwas sind und nicht gegen etwas. Auch weil wir unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Kontexten ansprechen und weil wir überparteilich sind. Es ist schön, dass alle an einem Strang ziehen. Von dem Vorwurf, den du ansprichst, waren wir eher überrascht. Jeder der zu uns kommen will, ist willkommen. Das ist unabhängig von nationaler Identität oder ethnischen Hintergründen. Solche Vorwürfe gibt es immer. Manche suchen einfach das Haar in der Suppe. Wir feiern zwar die Idee der EU, aber wir wollen keinesfalls, dass alles so bleibt wie es ist. In unseren Thesen steht auch, dass wir für Reformen sind. Wir meinen aber, dass man erst einmal ein Fundament an Vertrauen braucht, um solche Reformen anzugehen.

Mensch

Du bist Mainzerin?

Ja, ich bin in Mainz geboren und auch hier in den Kindergarten, in die Grundschule und aufs Gymnasium gegangen. Nach dem Abi war ich in der Flüchtlingshilfe eine Zeit lang (in der Ludwigsburger- Straße) aktiv und habe dort sehr viele Menschen kennen gelernt und Schicksale mitbekommen. Das hat mir Anlass gegeben, mein eigenes Leben und die Verhältnisse, in denen ich aufgewachsen bin, mehr wertzuschätzen und mich mehr damit zu beschäftigen.

Gefällt dir Mainz noch?

Mainz ist die richtige Mischung aus „jeder kennt jeden“ und man trifft zweimal die Woche garantiert den gleichen Menschen im gleichen Café und sagt sich „Hallo“ auf der Straße, auch wenn man sich nur vom Feiern kennt oder aus der Uni. Auf der anderen Seite ist es gar nicht so klein und hat noch ein relativ gutes Angebot an kulturellen Dingen und an Politischem. Das ist für mich der größte Knackpunkt, dass jetzt Orte wie die Planke Nord verschwinden und das Haus Mainusch umziehen soll.

Dabei gehen junge Menschen gar nicht mehr so viel feiern oder?

Ich glaube, die Leute suchen wieder mehr nach individuellen Sachen. So was zieht mehr als das immer gleiche Programm der Clubs. Wenn ich irgendwo hingehe, dann lieber zu bestimmten Events. Mainz ist aber auch eine Stadt, die draußen auf den Plätzen lebt. Und da haben gerade im Sommer die Clubs ein Problem, weil die Leute bis spätabends auf den Rheinwiesen oder am Winterhafen sind.

Bist du eine Feministin?

Schwer zu sagen. Irgendwo schon. Ich finde es aber schwierig, mich da einzuordnen. Ich finde, Frauen müssen auf jeden Fall dasselbe verdienen wie Männer. Ansonsten ist diese Bewegung sehr vielfältig. Ich finde es schwierig zu sagen: Ich bin Feministin. Was ist denn Feminismus? Wenn eine Ivanka Trump sagt, sie ist Feministin und trotzdem ihren Vater unterstützt, der laufend frauenverachtende Bemerkungen macht, dann bin ich mir nicht sicher, ob wir dieselbe Definition haben.

Was würdest du tun, wenn du nur noch einen Monat zu leben hättest?

Ich würde mir jeden Tag etwas anderes vornehmen. Auf jeden Fall würde ich all meine Lieblingsplätze besuchen, jeden Tag mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen, meine Lieblingsmusik hören und mein Lieblingsessen essen. Ich denke, ich würde sehr banale Dinge tun. Alles, was ich vermissen könnte.

Interview: David Gutsche  Foto: Jana Kay