Direkt zum Inhalt wechseln
|

sensor-Kolumne im November: Dr. Treznok will Liebe für alle!

drtreznok
In Syrien und anderswo werden Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Deutschland muss ein gewisses Kontingent an Flüchtlingen aufnehmen. So kommt es, dass in Mainz etwa 250 Flüchtlinge hinzukommen. Diese sollen in drei verschiedenen Einrichtungen im Stadtgebiet wohnen. 250 Neu-Mainzer: Das klingt nicht viel, aber schon gibt es Proteste von Anwohnern.

Die Bürgerinitiative „Pro Mainz“ ist der Meinung, dass man sich nicht so sehr um Fremde kümmern sollte, wo wir doch genug eigene Leute haben, die dringend eine Wohnung suchen. Außerdem wisse man ja, dass Asylantenheime Brutstätten der Kriminalität sind. Aber nicht nur Pseudorechte wehren sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Auch ganz seriöse Mainzer Bürger, die nichts mit „Pro Mainz“ zu tun haben wollen, wehren sich. Unter anderem befürchten sie, dass ein Heim für 80 Asylsuchende zum Anziehungspunkt rechter Gewalt wird. Auch sonst ist man einfach unzufrieden: Seit Jahren wartet man auf den Ausbau von Kindergärten oder sorgt sich um Immobilienpreise. Müssen wir wirklich all diese Fremden bei uns beherbergen, wo doch schon keine Mittel da sind, um ein selbstverwaltetes Kulturzentrum zu unterhalten? Brauchen wir noch mehr Menschen, die an der Mainzer Tafel Schlange stehen, um dort ein paar verschrumpelte Kohlrabi als Almosen zu erbetteln? Haben wir nicht schon genug Kopftuchmädchen, die unserer fortschrittlichen Kultur einen reaktionären Schub verpassen?

Die Leute bleiben lieber unter sich
Meine Eltern waren auch Flüchtlinge. In der DDR verfolgt und gedemütigt blieb ihnen, kurz vor dem Mauerbau, nur noch die Flucht in den Westen. In Süddeutschland gelandet, wo man frühestens ab der fünften Generation als Einheimischer gilt, wurden sie mit Argwohn betrachtet und fanden Anschluss nur an andere Ex-DDRler oder Gastarbeiter aus Italien und Griechenland. Die Freunde meiner Eltern, mit denen ich großgeworden bin, stammten aus Sachsen, Jugoslawien, Italien und der Türkei. Als Ostdeutscher blieb man fremd im Schwabenländle. Dabei gab es damals noch nicht den Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen. Dennoch blieb die spanische Familie, die im Dorf lebte und mit denen wir engeren Kontakt hatten als mit allen Schwaben zusammen, ebenso wie wir fremd, exotisch, wurde misstrauisch beäugt und ausgegrenzt. Dabei waren wir als Deutsche eigentlich keine Fremden, und auch die Kinder der spanischen Familie sprachen akzentfrei Deutsch und waren bald deutscher als alle anderen. Was also steckt hinter der Angst vor 250 Flüchtlingen? Ist es in Wirklichkeit das schlechte Gefühl, die Katastrophe vor Ort, in Syrien und dem Irak, mitverschuldet zu haben? Sicher haben die harmlosen Bürger in Bretzenheim, die mit „Pro Mainz“ so gar nichts zu tun haben wollen, keine Waffen an Syrien verkauft und wollen auch keine Ölpipeline vom Ural bis zum Bosporus bauen. Aber das dumpfe Gefühl, dass die deutsche Politik nicht unschuldig ist an der Flüchtlingssituation, ist vielleicht latent spürbar.

Globalisierung des Wir-Gefühls
Bleibt die Hoffnung, dass sich die Haltung „erst wir, dann die anderen“ ändert. In Zeiten der Globalisierung sollte man langsam anfangen, auch das „Wir“ zu globalisieren. Wer gehört zu diesem „Wir“, und warum gehören Flüchtlinge nicht dazu? Warum hat man nach der Übernahme der DDR durch den Westen davon gesprochen, dass nun die DDR endlich zu Deutschland gehört, als hätte sie sich vorher volks- und staatenlos auf einem fremden Planeten befunden? Vielleicht sollten wir alles gleichzeitig fordern: die menschenwürdige Unterbringung und Versorgung von Kriegstraumatisierten aus Syrien, bezahlbaren Wohnraum für alle, ein von der Stadt unterstütztes selbstverwaltetes Kulturzentrum, den Kindergartenausbau in Bretzenheim, die Achtung der Menschenwürde im Altenheim, Umbau sämtlicher Gebäude nach neuesten Kriterien für Barrierefreiheit, ein angemessenes Grundeinkommen für alle – Ausländer und Einheimische – finanzielle Förderung nichtkommerzieller Projekte und Liebe für alle, selbst für „Pro Mainz“-Aktivisten. Die Mittel dazu sind vorhanden – seien wir Idealisten um der Nächstenliebe willen!