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Nachhaltige Mode? – Die Mainzer Kleiderschrank Revoluzzer

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Ein Merkmal von Trends ist es, dass man ihre Existenz meist erst dann bemerkt, wenn sie schon wieder vorbei sind, lautet ein bekannter Ausspruch. Und gerade die Mode lebt von Trends – und das in einem nie zuvor dagewesenen Tempo. Die großen Player der Massenmode-Industrie erneuern ihre Kollektionen mittlerweile schon wöchentlich – auf Kosten der Umwelt. Zunehmend werden umweltschädigende Materialgewinnung, gesundheitsgefährdende Verarbeitungsprozesse sowie moralisch fragwürdige Arbeitsbedingungen toleriert. Als Gegentrend formt sich die Bedeutung von Sustainability – Nachhaltigkeit, auch als Konsummuster im Bereich Mode.

Ziel ist es alternativ auf die Strukturen der Massenindustrie zu reagieren, um Ressourcen zu schützen und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen nicht weiter zu fördern. Hier sind es vor allem viele kleine, teilweise unbekannte Labels und Modekonzepte, die den Markt aufrollen. Wir haben vier Ideen in Mainz gefunden.

Wenn Altes zu etwas Neuem wird
„Mein Opa hatte einen Pulli“, erinnert sich Robin Balser an seinen Großvater. „Den hat er oft drei Wochen am Stück getragen. Der hatte eine ganz andere Qualität als die meisten Pullover heute.“ Für Balser spielt Kleidung und der Umgang damit eine wichtige Rolle. Der 26-jährige Gründer der Kleidertausch-Plattform „darpdecade.com“ und Mitbegründer der deutschlandweiten VinoKilo-Events, die ihren Anfang in Mainz nahmen, versucht durch seine Arbeit für mehr Bewusstsein über bereits vorhandene Kleidung zu sensibilisieren.

024Bei den Veranstaltungen wird gebrauchte Kleidung nach Kategorien sortiert zu Kilopreisen (15 Euro / Kilo) angeboten. Einkäufer halten auf Märkten nach geeigneter gebrauchter Ware Ausschau. In Amsterdam befindet sich dafür einer der größten Umschlagplätze für Second Hand- Kleidung. Dort landet Tonne um Tonne gebrauchter Kleidung aus aller Welt für den europäischen Markt oder andere Länder. Die Masse spielt für den günstigen Verkaufspreis eine wichtige Rolle. „Uns bleibt nur eine kleine Marge“, sagt Balser, doch sei es nie sein Ziel gewesen, damit stinkreich zu werden.

Dabei schaffen er und sein Team es mittlerweile, ganze Hallen zu füllen. Die Resonanz ist groß, denn Vintage zu tragen ist in und der Hype um die Individualisierung des eigenen Outfits boomt. Nachhaltigkeit ist hier insofern der Fall, dass nicht immer wieder alles und ständig neu gekauft wird, sondern gebrauchte Kleidung immer wieder neu kombiniert werden kann. Der nimmersatte Kreislauf aus Neuproduktion und Konsum wird somit zumindest ein wenig durchbrochen.

Schwieriger Durchbruch
Was aber bedeutet Nachhaltigkeit genau? Laut einer Greenpeace- Studie sind die Deutschen groß darin, Kleidung kaum zu tragen und sie dann im Müll zu entsorgen. Etwa 60 Kleidungsstücke pro Jahr kaufen wir und tragen letztendlich doch nur gut die Hälfte. Auf diese Weise kommen in Europa jährlich etwa rund 6 Mio. Tonnen entsorgter Kleidung zusammen. 75 Prozent davon landen auf Müllkippen oder werden verbrannt. Die Schnelllebigkeit von (Mode)Trends ist für diesen Prozess ein Brandbeschleuniger. Doch das Nachhaltigkeitskonzept ist nicht auf immer mehr Konsum und Wegwerfmentalität aus. Im Vordergrund steht der faire Handel. Faire Preise, faire Arbeitsbedingungen.

Auch was in der Ernährung bereits einen hohen Stellenwert besitzt, etwa wo unser Fleisch herkommt, spielt zwar auch bei Kleidung eine Rolle, ist dort jedoch noch kaum geregelt. Wo kommt die Baumwolle her, wurden dafür Menschen ausgebeutet oder nicht? Ziel ist es, für mehr Gerechtigkeit im internationalen Handelsgefüge zu sorgen und die sozialen (Menschen)Rechte zu sichern. Gleichzeitig gilt es, auf nachwachsende Rohstoffe und damit auf ihre Regenerationsfähigkeit zu setzen, um so nicht nur die Menschen, sondern auch die Umwelt zu schützen.

Denn die Konsequenzen, auch modischer Schnäppchen, sind fatal: Billige Kleidung geht nicht nur zu Lasten von Umwelt und Arbeiter, sondern auch der Gesundheit derjenigen, die sie am Ende tragen. Immer mehr Menschen erkennen die ungesunde Spirale unbewussten Konsums. Allerdings ist sie in ihrer Masse an Mode- und Konsumartikeln kaum noch zu durchschauen, geschweige denn zu durchbrechen. Gute Ansätze kommen von kleinen Labels, die lokal anfertigen oder auf die Wiederverwendung gebrauchter Sachen achten. Es geht letztlich auch um ein entschleunigtes Konsumverhalten, einen bewussteren Umgang mit Kleidung und um größere Wertschätzung von Produkten an sich.

Schätze mit Geschichte
janablumeNicht nur das VinoKilo-Team, auch Jana Blume, eine quirlige Berlinerin, die ihren liebevoll bestückten Vintage-Laden in der Mainzer Scharngasse betreibt, sieht den wertvollen Aspekt alter Kleidung in ihrer zumeist nachhaltigen Herstellung. Oldschool-Bio könnte man fast schon sagen. Hinter jedem Kleidungsstück steckt hier eine Geschichte. Und das Wissen darüber führt zu einem bewussteren Umgang damit: „Wenn ich zum Beispiel ein Bild in den Händen halte, auf dem eine junge Dame aus den 50ern ein Kleid voller Stolz an ihrem Hochzeitstag trägt, dann entwickle ich einen ganz anderen Bezug dazu“, erklärt die 36-Jährige strahlend.

013Bei jedem Ankauf legt sie Wert auf ein Gespräch und erfährt so die Bedeutung für den Vorbesitzer. Dass das noch eine viel zu kleine Rolle spielt für die meisten, bedauert Jana Blume, deren Liebe zu alter, wiederverwendeter Kleidung in ihrer Kindheit in Berlin wurzelt. Die Kleiderhaufen, die in Häusern großer Ketten achtlos auf dem Boden herumfliegen, bestürzen sie, denn der Wert von Kleidung sei verloren gegangen, jedes Teil anonym und tausendfach vorhanden. „Wenn jeder seinen kleinen Beitrag leistet, dann ist schon einiges erreicht.“

Ihr Laden bietet genau dafür eine Anlaufstelle. Jedes Stück wird von ihr und ihrer Mutter liebevoll und sorgfältig ausgewählt. „Ich bin so dankbar, dass mein Mann das auch zuhause mitmacht“, sagt sie und muss lachen. Anschließend werden die Kleidungsstücke mit dem Fahrrad zum Laden gebracht. Die Tüten bestehen aus recyceltem Papier, alles findet eine Wiederverwendung. So leistet sie mit ihrem Konzept einen Beitrag dazu, dass der textile Müllberg nicht noch weiter wächst und alte Kleidungsstücke – wie zum Beispiel von Oma Sylvia nebenan – eine neue Verwendung finden.

Grün, Grün, Grün sind alle meine Kleider…
Wer hin und wieder trotzdem etwas Neues möchte, dem seien die vielen jungen Labels geraten, die fair oder lokal produzierte Mode anbieten. Eines dieser Labels ist das von Oliver Mayer. Einen ganzen Stapel Mützen und Schals hat er da vor sich liegen, jedes ein handgestricktes Einzelstück. Der Mitbegründer von „Fairbiolous“ muss Lächeln beim Gedanken an ihre Hersteller: „Ein kleiner Kreis von älteren Damen strickt sie. Ganz nach Kundenwunsch“, erzählt er von seinen „Strickomis“. Jedes Stück wird individuell aus italienischer Bio-Merinowolle hergestellt. Bio und FairTrade ist für den hauptberuflichen Journalisten zu einem zentralen Thema geworden.

typAngefangen hat alles mit einem 5-Liter-Eimer voll pflanzlicher Farbe, mit dem er und ein Freund T-Shirts färben wollten. Das Experiment ging zwar schief, der Enthusiasmus aber war geweckt. Heute verkaufen sie in ihrem Onlineshop. Über Transfair e.V., einer Dachorganisation für FairTrade, gelangten sie an eine Liste mit Anbietern, die in einer Kooperation mit Kalkutta / Indien mündete. Dort kommt ihre Bio-Baumwolle her. Kalkutta wurde es auch deshalb, da die Abnahmemenge häufig über den Möglichkeiten kleiner Labels lag und das Angebot dort stimmte. Sie hätten zwar lieber lokal produziert, aber in Deutschland ließ sich damals kein bezahlbarer Anbieter finden.

Grüne Mode bedeutet eben vor allem auch auf finanzielle Hürden zu stoßen. Seit 2007 gibt es in Deutschland zwar auch Anbieter für Bio- oder Fairtrade-Baumwolle, die nach bestimmten ökologischen Standards produzieren. Dennoch folgt dann die Weiterverarbeitung: Spinnereien, Webereien und Nähereien. Ein kostenintensiver Prozess, auch wenn die „Öko-Welle“ inzwischen auch die großen Häuser erreicht hat. Ein Umstand, der vor allem junge Macher grüner Mode dazu zwingt, die Kleidung in einem höheren Preissegment anzubieten.

So hofft auch der gebürtige Mainzer Mayer, dass potenzielle Kunden sich nicht vom Preis abschrecken lassen und den Wert des Produkts erkennen. Bei T-Shirts (um die 35 Euro) seien die Leute oft noch nicht bereit, mehr Geld auszugeben, nur weil es FairTrade oder Bio ist: „Da muss schon noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden.“ Bei den Mützen (zwischen 50 und 90 Euro) sei das etwas anderes. „Da spürt man förmlich die Hände der Omis, die daran gestrickt haben.“

Lokalkolorit
Eine andere Idee: Man bietet so etwas Spezielles wie Verrücktes an, dass sich die Kunden am höheren Preis nicht stören. Zum Beispiel ein deutsches Hawaiihemd. Dabei handelt es sich aber nicht einfach nur um ein Hemd, das in Deutschland produziert wurde. Die typischen Blütenmuster, die Träger dieser Gute-Laune-Hemden schon von weitem erkennbar werden lassen, ergeben sich bei dem jungen Label Schönwetterfront aus der heimischen Pflanzenwelt:  Löwenzahn, Vergissmeinnicht oder Rieslingtrauben.

017Die Gründer Christian Jakob und Rebecca Kerbeck stellen sie in eigener Handarbeit nebenberuflich zu Zweit her. Christian, der bereits seit Jahren sein Faible für Hawaiihemden pflegt, fand seine erste Inspiration im Wappen seiner Wahlheimat Wiesbaden – gelbe Lilien auf blauem Grund. Angefixt durch die Idee entwarf er „deutschtypische“ Muster und bekam so viel positive Resonanz, dass für ihn irgendwann klar war: „Wir machen das.“

Finanziert durch Crowdfunding begann Anfang des Jahres die Konzeption von Schnitten und Konfektionsgrößen. Als es dann um die Frage des Materials und der Produktion ging, brachten Recherchen ernüchternde Ergebnisse: „Bei vielen deutschen Anbietern hätten wir pro Meter Stoff etwa 30 bis 40 Euro zahlen müssen. Jedes Hemd benötigt aber zwei Meter Stoff“, erklärt Christian. Das Hemd hätte also um ein vielfaches teurer werden müssen. „Aber in Thailand zu produzieren kam für uns nicht in Frage“, denn ein deutsches Hawaiihemd sollte schließlich auch in Deutschland produziert sein.

Dank eines Stoffproduzenten und Textildruckers in Sachsen konnte sein Vorhaben schließlich dennoch umgesetzt werden. Die Hemden werden jetzt zum Preis von 89 Euro angeboten. Die gesamte Produktionskette liegt dabei in Deutschland und ermöglicht es Christian und Rebecca, die Kontrolle darüber zu behalten, wer zu welchem Zeitpunkt unter welchen Bedingungen arbeitet. Und auch wenn sie sich damit auf ein eigensinniges, aber fröhliches Kleidungsstück spezialisiert haben, zeigt sich gut, was Lokalität bei Mode bedeuten kann.

Ein langer Weg

Aufrüttelnde Berichterstattungen, wie 2012 über den Großbrand einer Näherei in Bangladesch oder Dokumentationen wie „The True Cost“ von Andrew Morgan, sorgen immer wieder für neue Aufmerksamkeit in Bezug auf Konsum in der Gesellschaft. Doch trotz etlicher Nachhaltigkeitsberichte und der Integration von FairWear in einschlägigen Modehäusern, ergibt sich der Hauptanteil der Umsätze nach wie vor aus billiger und fragwürdig produzierter Massenware. Flächendeckende Nachhaltigkeit ist noch lange nicht realisierbar und der Wunsch, dementsprechend zu konsumieren, oft mit Schwierigkeiten verbunden.

Die wirtschaftlichen, aber auch sozialen Systeme unserer Gesellschaft haben sowohl den Konsumenten als auch die Anbieter fest im Griff, der Alltag lässt kaum Raum zu selektieren. Darüber hinaus herrscht trotz Aufklärungskampagnen und -organisationen ein nahezu unüberschaubarer Siegel-Dschungel, der nur wenig Transparenz über die Herkunft oder Arbeitsbedingungen der Produzenten zulässt. Und dennoch: Vermehrt entstehen Ansätze, die zeigen, dass es zumindest für manche Bereiche Alternativen gibt. Die eigentlichen Nachhaltigkeits-Helden der Modebranche kommen hier aus der Mitte der Bevölkerung und revolutionieren mit ihren Ideen den heimischen Kleiderschrank. Doch am Ende hilft nur eines wirklich: weniger zu konsumieren.

von Fabienne Makhoul und David Gutsche. Fotos: Isabel Hayn