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Mit Blaulicht und Basilikum – Nachtarbeit in Mainz

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Text  Florian Barz und Mara Braun     Fotos Jonas Otte

Wenn sich die Mehrheit der Mainzer abends gemütlich in die Bettdecke kuschelt, fängt für andere der Arbeitstag erst an. Wir waren kurz vor Fastnacht über den Verlauf einer Woche in der nächtlichen Stadt unterwegs.

„Hey, Mädchen, guck nicht so böse! Das steht dir nicht.“ Julia ignoriert den angetrunkenen jungen Mann, der ihr mit einer Bierflasche zuprostet. Stoisch bahnt sich die 23-Jährige mit ihrem Partner den Weg durch die Masse der Feiernden: 90er Party im KUZ. Es riecht nach Schweiß und Bier. Julia scannt mit ihren Blicken den Tanzraum. Sie hält Ausschau nach Raufbolden, Grapschern und Besoffenen.

Seit drei Jahren arbeitet sie am Wochenende als Türsteherin im KUZ. Sie ist die einzige Frau im achtköpfigen Team des Ordnerdienstes. Genau wie damals, als sie in ihrer Ausbildung Hochhausfenster putzte und Tatorte reinigte. „Die Jungs akzeptieren mich voll und ganz“, sagt sie stolz. „Dass ich eine Frau bin, macht keinen Unterschied.“

Gegen halb drei beginnt die gefährlichste Phase der Nacht. Betrunkene kommen und gehen. Gedränge an der Garderobe. „Die Stimmung gefällt mir nicht“, sagt ein Kollege, der seit 23 Jahren als Security arbeitet. Zu viele Leute, zu viele Gruppen auf einem Haufen. Seine Worte klingen wie eine Vorahnung. Nur wenig später knallt es auf der Tanzfläche. Alarmstufe rot, donnert es aus Julias Funkgerät. Rot bedeutet: Eine Schlägerei ist im Gange. Nur schwarz ist schlimmer, dann sind Waffen im Spiel. Zu sechst stürmen Julia und ihre Kollegen los. Zwei groß gewachsene Männer haben sich auf der Tanzfläche ineinander verkeilt, prügeln wild aufeinander ein. Der eine blutet. Die Ordner separieren die Kontrahenten. Keine fünf Minuten später müssen beide die Halle verlassen.

„Das ist die Herausforderung in dem Job. Die ganze Nacht kann ruhig sein, dann musst du plötzlich in kurzer Zeit die richtigen Entscheidungen treffen“, erklärt Julia, die sich mit Energy-Drinks wach hält. Entscheidend sei die Zusammenarbeit der Kollegen. „Wir sind hier alle Freunde. Das ist wahnsinnig wichtig.“ Einmal attackierten Jugendliche sie am Eingang. Da griff sie zum Pfefferspray, rief die Polizei, stellte Anzeige. Ein Restrisiko gibt es immer. Trotzdem liebt sie den Job. „Das Schönste ist, wenn die Gäste mit einem Lächeln nach Hause gehen und sich bei uns für einen schönen Abend bedanken.“ Um vier gehen im KUZ die Lichter an. Verschwitzte Menschen mit kleinen Pupillen bewegen sich durch die große Halle, wie Fische, die an Land gespült wurden.

Wenn die Musik verstummt, leert sich das KUZ schnell. Julia begleitet eine Frau nach draußen, die sich auf der Toilette mehrfach übergeben hat. Dann geht es zur Nachbesprechung, inklusive Feierabendbier. Die Bilanz der Nacht: eine Schlägerei, zwei Männer, die Frauen belästigt haben und Minderjährige, die sich bis zwei Uhr vor den Ordnern versteckt haben. Alle wurden aus dem Club geworfen. Der Einsatzleiter ist zufrieden: „Wir hatten heute jede Situation im Griff.“ Um fünf Uhr ist Schluss. Julia zieht ihre Schutzweste aus und sperrt die Ausrüstung in einen Schrank. Bis sie schlafen kann, wird es noch etwas dauern. „Nach dem Dienst wirken die Eindrücke der Nacht immer nach. Ich muss jetzt erstmal runter kommen.“

Unterwegs mit Rotlicht

Drei Einsatzwagen von Feuerwehr und Polizei versperren die Abzweigung zur Schiersteiner Brücke. Für den Fahrer des dunklen Kombis ist das offenbar kein Grund, anzuhalten. Erst die wilden Handzeichen eines Polizeibeamten können ihn von seinem Vorhaben abbringen, sich an der Straßensperre vorbeizumogeln. Brandamtmann Mario Ambrosius ist kaum überrascht. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt der gebürtige Franke. „Manche Autofahrer sind gleichgültig gegenüber Blaulicht und teilweise achtlos. Da muss man aufpassen, dass man nicht überfahren wird.“

Es ist kurz nach 0 Uhr in der Nacht auf Mittwoch. In einem Pfeiler der Schiersteiner Brücke ist ein Riss entdeckt worden, die Brücke muss komplett gesperrt werden. Für die Männer vorerst ein Routineeinsatz: Schilder aufstellen, die Fahrbahn versperren, Autofahrer aufklären. Später stellt sich heraus, dass die Brücke durch eine Verschiebung eines Stahlträgers auch leicht abgesackt ist. Die wichtige Hauptverkehrsachse zwischen Mainz und Wiesbaden bleibt somit gesperrt, mindestens bis Ende März. Feuerwehr- Einsatzleiter Ambrosius ahnt schon in der Nacht: „Das wird morgen ein gigantisches Verkehrschaos in beiden Städten geben. Viele glauben nach wie vor, dass die Feuerwehr nur da ist um Brände zu löschen, aber dass stimmt schon lange nicht mehr… Wir sind quasi Mädchen für alles.“ Wenn Bäume auf Straßen stürzen, Wasserrohre brechen oder Rauchmelder Fehlalarm schlagen, sind sie zur Stelle. Deshalb arbeiten die Kollegen im Schichtdienst, rund um die Uhr.

Zurück auf der Feuerwache in Mainz-Bretzenheim legt sich Ambrosius in einem Ruheraum schlafen. Das ausklappbare Wandbett ist nicht sehr bequem. Ohnehin ist der Schlaf wenig erholsam. „Das ist eigentlich mehr ein Ruhen“, erklärt Ambrosius. „Ein richtiger Tiefschlaf ist es nicht wirklich, da man ja einsatzbereit sein will, wenn der Alarm losgeht.“ Erhalten die Kollegen in der Leitstelle einen Notruf, der ihr Einsatzgebiet betrifft, gehen überall die Lichter an. Eine Computerstimme verkündet, wer ausrücken muss. Dann haben Ambrosius und seine Kollegen exakt acht Minuten, um den Einsatzort zu erreichen – so sieht es die Hilfsfrist in Rheinland-Pfalz vor. „Das Adrenalin hilft, wach zu werden“, sagt er. „Vor allem, wenn Leben in Gefahr sind.“ Manchmal reihen sich die Einsätze nahtlos aneinander. An Schlaf ist dann nicht zu denken. Anders in dieser Nacht: Der Alarm bleibt stumm. Ambrosius und seine Kollegen können bis Dienstende durchschlafen.

Nach dem Brücken-GAU

„Die Nachtschicht ist vorbildlich“, lobt Patrik Türk, während er zu dieser ungewohnt ruhigen Stunde unterhalb der Schiersteiner Brücke eine bunt bemalte Tür aufstößt: Das Metallschloss daran war vorschriftsmäßig abgesperrt. „Geklaut wird aber trotzdem“, erklärt der Bauleiter – erst kürzlich wieder Werkzeug, am helllichten Tag, während der Verkehr über die Brücke rauschte. In dieser Nacht rauscht hier gar nichts: Vor etwas mehr als 24 Stunden ist der Riss in einem der Pfeiler entdeckt worden. Still liegt die alte Brücke in der Dunkelheit, von Ferne leuchten die Absperrungen auf beiden Uferseiten.

Die Bauarbeiten an der neuen Brücke gehen derweil weiter, unbeeindruckt von der Sperrung und dem Verkehrsinfarkt am Vortag – und das fast rund um die Uhr: Die Tagschicht der Baufirma Max Bögl ist von 7 bis 18 Uhr im Einsatz, die Nachtschicht von 18 bis 5 Uhr. Gearbeitet wird unter Zelten, die von Mainz kommend wie eine Campingsiedlung auf der Rheininsel Rettbergsaue links von der Brücke liegen. Über ein Gerüst, das immer genau an der Stelle der Konstruktion neu aufgebaut wird, an der die Arbeiter gerade tätig sind, führt der Weg in den Bauch der Baustelle. Die wird mit warmer Luft befüllt, damit die Arbeiter nicht frieren, und um das Metall vorm Auskühlen zu schützen, das hier Tag und Nacht verschweißt wird.

Die Männer unter den Zelten arbeiten in blauer Schutzkleidung. Die Tagschicht hat die Teile vorbereitet, die in der Nacht bearbeitet werden müssen – nun werden sie mit Fülldraht verschweißt. Die Arbeiter klappen das Schutzvisier vors Gesicht, Funken stieben, der Lärm ist ohrenbetäubend, es riecht nach erhitztem Metall. Die fertigen Bauteile werden intern überprüft, dann von einer externen Firma mit Ultraschall kontrolliert – es geht schließlich um die Sicherheit all jener, die irgendwann die neue Brücke überqueren werden. Über den Männern mit den Schweißgeräten erhellen Lampen das Innere der Zeltstadt. „Wenn der Strom ausfällt, wird jede dritte per Akku betrieben“, sagt Christian Lindner. Er koordiniert die Schweißaufsichtspersonen (SAPs), die wiederum über die Arbeiter wachen. Die meisten kommen aus Tschechien und Polen, auf der Baustelle wird vor allem Englisch gesprochen. Untereinander reden die Männer in ihrer Muttersprache, scherzen in den Raucherpausen und lassen die Beine vom Gerüst in den Nachthimmel baumeln.

Stammgäste und gestrandete Fastnachter

Die Glut der Zigarette leuchtet im Dunkeln. Vom Rummel der Straßenfastnacht zu Altweiber, die wenige Hundert Meter die Gaugasse hinab tobt, ist zu später Stunde unter den Rauchern vorm Hubert nichts zu spüren. Lediglich zwei Clowns, die im Inneren der Bar müde über den Rand ihrer Biergläser schauen lassen erahnen, was in der Stadt los ist. In einer Ecke unterhält sich eine Gruppe auf Englisch, immer wieder schallt Gelächter durch den kleinen, abgedunkelten Raum. „Die kommen öfter“, bemerkt Sophie. Die 21-Jährige gehört fast von Anfang an zum Personal im Hubert, seit einem halben Jahr mixt sie auch Drinks.

„Mich hat das Barkeeping interessiert, da habe ich es mir zeigen lassen“, erklärt die hübsche Dunkelhaarige und ihre Augen leuchten. Sie selbst steht vor allem auf straighte Drinks, mixt aber alles, was die Kundschaft wünscht. „Wenn Gäste sagen: ‚Überrasch mich doch mal!‘ frage ich nach ihren Vorlieben, ob fruchtig, klassisch oder süß, bevor ich mir was überlege.“ Im Hintergrund läuft Musik, inzwischen haben die Clowns das Hubert verlassen, dafür stehen zwei Pinguine plaudernd an der Bar. „Stammkunden“, sagt Sophie.

Die meisten Gäste kämen gezielt für die Drinks, erklärt die Studentin, die als Tochter eines Kochs in der Gastronomie aufgewachsen ist. „Ich mag den Kontakt mit Menschen“, sagt sie und signalisiert Barchef Josh mit einem leichten Nicken zwei Frauen, die zahlen wollen. Die Rezepte für rund 30 Drinks hat sie im Kopf, wichtiger sei es aber, ein Gefühl fürs Mixen zu haben. „Das kommt mit der Zeit und der Erfahrung.“ Verschiedene Sorten Wodka, Gin, Whisky, Tequila und Rum stehen auf dem schwebenden Glasregal über den Barkeepern. „Wir mixen mit einer Standardsorte, sofern der Kunde keinen Extra-Wunsch hat.“

Der Mann, der seit Stunden auf einem Barhocker sitzt und an seinem Tablet tippt, schaut kurz auf und deutet auf seinen Drink, um ein weiteres Glas zu bestellen. Sophie mixt derweil mit Gin und Basilikum einen „Gin Basil Smash“. In den frühen Morgenstunden schließt das Hubert gegen zwei Uhr, die Arbeit ist dann noch längst nicht erledigt. „Die Bar wird komplett abgeräumt und gewischt, die Gläser gespült und alle Flaschen gesäubert“, sagt Sophie, während sie eine Brombeere auf den Drink setzt. Vor vier Uhr schließt sie selten die Türe hinter sich. „Dann trifft man manchmal schon den Bäcker von gegenüber – und auf dem Heimweg sieht man, wie die Stadt langsam wieder erwacht.“