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Mainzer Zollhafen: Der Traum vom neuen Stadtquartier


von Sophia Weis, Fotos: Andreas Coerper

Nach über 120 Jahren endet die alte Nutzung des Mainzer Zollhafens. In Zukunft werden hier Wohnungen gebaut und Geschäfte, Restaurants und Unternehmen sollen sich ansiedeln. Derzeit eröffnet an der Nordmole ein Kulturbiergarten. Nur die angrenzende Industrie fürchtet um ihre Existenz.
„Wenn alles nach Plan geht, können 2011 die ersten Mieter einziehen.“ So optimistisch gab sich Stadtwerkeboss Detlev Höhne in einem Interview 2005. Den Stadtwerken als Tochtergesellschaft der Stadt gehört das 30 Hektar große Areal am Rhein. Gemeinsam mit dem Immobilieninvestor CA Immo aus Wien vermarkten beide als Zollhafen GmbH das Gelände an Bauherren & Co. Die Realität hat die kühnen Prognosen inzwischen eingeholt: Kein einziger Spatenstich wurde bis jetzt für neuen Wohnraum am Zollhafen getan, vom Abriss fast aller Gebäude einmal abgesehen. Dass es mit dem (Wohnungs-) Bau auch in Zukunft noch etwas dauern wird, liegt vor allem am Lärmschutz. Neben Straßen- und Schiffslärm ist die im Norden angrenzende Industrie die größte Lärmquelle. Können die neuen Quartiersbewohner – die sich dort Quartier leisten können – auch ruhig schlafen? Ein entsprechender Bebauungsplan wurde Anfang des Jahres von der Stadt vorgelegt. Bürger, Ämter und Unternehmen konnten bis zum 15. Februar ihre Einwände äußern. 19 Stellungnahmen wurden eingereicht und seitdem ausgewertet.

Industrie fühlt sich bedroht
Größte Kritiker des aktuellen Plans sind die anliegenden Industrieunternehmen, die um ihr Fortbestehen bangen. Ihnen wurde bei Vorverhandlungen von den Stadtwerken zugesichert, dass sie durch die Umstrukturierung des Zollhafens nicht in Mitleidenschaft gezogen würden. Besonders Matthias Moelle von der Eisengießerei Röhmheld & Moelle äußerte in den vergangenen Monaten starke Bedenken wegen der durch den Plan hervorgerufenen Schallproblematik. Laut Moelle sind besonders die im Norden geplanten Wohnungen nicht mit dem Bestand des Industriegebietes vereinbar. Dort hat man dem Unternehmen einen Flächenschallpegel von 62 db tags und 60 db nachts vorgegeben, was praktisch einer Halbierung respektive Viertelung des für Industriegebiete typischen Flächenschallpegels von 65 d(BA) gleichkommt. „Im Prinzip läuft die Realisierung der Planvorlage auf die Abschaffung des letzten Mainzer Industriegebietes hinaus“, sagte Moelle gegenüber der AZ. Auch der Immobilienwirtschafter Triwo fürchtet um sein Geschäft. Im Moment kann der Gewerbepark dank großzügiger Lärmschutzbestimmungen flexibel an andere Firmen vermieten. Das würde sich ändern, wenn man das ehemalige Blendax-Gelände, auf dem sich die Triwo befindet, aufgrund angrenzender Wohngebiete zum „eingeschränkten Gewerbegebiet“ mit niedrigen Lärmpegeln deklariert.

Streitigkeiten stehen im Weg
Insgesamt sollen laut Bebauungsplan etwa 1.400 Wohnungen im neuen Zollhafen entstehen. Knapp die Hälfte an Fläche ist für Gewerbe und Kultureinrichtungen vorgesehen. Wo genau was entsteht, ist noch unklar. Ein Großteil des Areals ist zunächst als Mischgebiet geplant, könnte also sowohl gewerblich als auch für Wohnungsbau genutzt werden. Ausschließlich für Wohnungen vorgesehen ist die lukrative erste Rheinlage auf der Nordmole. Ein 21 Meter hoher Gebäuderiegel aus Gewerbeimmobilien und eine Lärmschutzwand sollen vor zu lauter Industrie schützen. Doch Unternehmensleiter Moelle bezweifelt, dass diese Vorkehrungen ausreichen. Sollte die Stadt trotz seiner Einwände an ihren Plänen festhalten, erwägt er eine Normenkontrollklage, um sein Bestandsrecht zu sichern. Eine von ihm in Auftrag gegebene Untersuchung des Lärmschutzgutachtens, auf das sich die städtischen Pläne stützen, fand sowohl fachliche als auch rechtliche Mängel. Der baupolitische Sprecher der CDU-Stadtratsfraktion, Gerd Eckhardt, regte deshalb ein erneutes Gutachten an, um Klarheit und Bewegung in den Planungsprozess zu bringen. Dies lehnt Baudezernentin Marianne Grosse jedoch ab. Ihrer Meinung nach ist der aktuelle Bebauungsplan wasserdicht. Auch einer etwaigen Klage sieht sie gelassen entgegen: „Die Stadt hat in den vergangenen 26 Jahren alle Normenkontrollverfahren gewonnen.“ Dennoch zeigt sich Grosse zunehmend verhandlungsbereit und lud die Triwo zu einem Gespräch, bei dem die Verlagerung eines Teils der Wohnungen von Norden nach Süden Thema war.

Luxus contra bezahlbarer Raum
Auch die Frage, welche Art von Wohnraum am Zollhafen entstehen soll, ist noch nicht geklärt. Während sich die SPD für den Bau von günstigen Wohnungen für Familien einsetzt, die zur Struktur der Neustadt passen, sieht die CDU kein Problem darin, wenn beim Neubau auf hochpreisige Immobilien gesetzt wird. Dass direkt am Wasser erschwingliche Mietobjekte entstehen, hält auch der ehemalige Hafenleiter Klaus Kuhn für unwahrscheinlich: „Weil wegen möglichen Hochwassers besondere Auflagen eingehalten werden müssen, ist Bauen am Wasser immer teuer. Da denkt sich der Bauherr: Wenn ich schon so viel investiere, dann will ich auch etwas damit verdienen.“ Tatsächlich wirbt die Zollhafen GmbH in einem Imageflyer bei potentiellen Investoren mit einem exklusiven Ambiente im neuen Stadtquartier, durch das „Spitzenmieten für attraktive Angebote erzielbar“ werden sollen. Ein reines Luxus- areal soll aber laut Grosse am Zollhafen nicht entstehen: „Durch den Umbau wollen wir den Rhein für die Neustadt wieder besser zugänglich machen.“

Ein Hafen wird zum schicken Stadtviertel
Ein kleines Naherholungsgebiet mitten in der Stadt verspricht Oberbürgermeister Ebling: „Das geplante Quartier wird sich durch eine hohe Aufenthaltsqualität und einen hohen Freiflächenanteil rund um das Hafenbecken auszeichnen. Vorgesehen ist unter anderem ein großer Anteil öffentlicher Bereiche, darunter die erstmalige Herstellung einer Rheinwiese bis zur Kaiserbrücke.“ Erschlossen wird der Zollhafen von Süden nach Norden, eine geplante Straßenbahn soll ihn an die Innenstadt anbinden. Bereits 2008 wurde im südlichen Teil im alten Kesselhaus die Kunsthalle eröffnet, den Umbau hatten die Stadtwerke aus eigener Tasche bezahlt. Seit 2011 erstrahlt das historische Weinlager in neuem Glanz und beheimatet zahlreiche Büro- und Geschäftsräume. Direkt gegenüber auf dem Rheinkai (ehemaliges Rhenus-Gelände) soll bald das nächste Bauprojekt am Zollhafen in Angriff genommen werden. Das 7.000 qm große Grundstück in nur viereinhalb Metern Abstand vom Rhein wurde bereits letzten Sommer vom Investor KAIROS erworben, der kurz darauf einen Architektenwettbewerb ausrief. Der Gewinner steht wohl schon fest, mit der Bekanntgabe möchte KAIROS aber warten, bis der endgültige Bebauungsplan sicher steht. Auf dem an die Rheinallee angrenzenden Gebiet zwischen Nord- und Südmole sollen in den nächsten Jahren Geschäfte, Gastronomie- und Kultureinrichtungen sowie ein Yachthafen entstehen. Da der Abriss auf dem Gelände zügig vorangeht, musste vor wenigen Wochen eine Halle geräumt werden, die von den Skatern des Mainzer Rollsportvereins genutzt wurde, so ziemlich das letzte alte Gebäude, das noch steht.

Neuer Kulturbiergarten „Planke Nord“ eröffnet
Aber auch Neues im Bereich Freizeit und Kultur findet am Zollhafen bereits Platz. Nachdem die Zollhafen GmbH im März zu einem Ideenwettbewerb für einen Biergarten zwischen Nordmole und Kaiserbrücke aufgerufen hatte, beteiligten sich zahlreiche alte und neue Bekannte aus der Mainzer Kulturszene. Besonders reizvoll machen die Fläche des ehemaligen Containerterminals der direkte Rheinblick und die große Distanz zu angrenzenden Wohngebieten. Den Zuspruch bekamen die Macher des „Gebaeude27“, einem Kulturraum im Nordhafen, die gemeinsam mit den Betreiberinnen der mobilen Gastronomie „Zum Bauwagen“ ein Konzept vorgelegt hatten. Die Gruppe möchte außerdem mit dem Pengland, dem Nordhafen e.V. und Mainzer Kunst- und Kulturschaffenden kooperieren. Voraussichtlich drei bis fünf Sommer lang darf das Team die mietfreie Location betreiben. Dabei möchte es vorrangig mit recycelten Materialien, Paletten, Containern und Grünflächen aus Rollrasen arbeiten. „Wir legen bei unserem Konzept besonderen Wert auf eine nachhaltige und grüne Architektur, die sich mit dem industriellen Charme des Geländes verbindet. Dabei werden wir so wenig wie möglich in die Grundsubstanz des Areals sowie der bestehenden Bauten eingreifen“, so die Gruppe. Herzstück des Kulturbiergartens, der den Namen „Planke Nord“ trägt, wird der Bereich für Gastronomie und Veranstaltungen. Für das leibliche Wohl werden der „Bauwagen“ und der bereits in zweiter Generation bestehende Imbiss „Zum Schorsch” sorgen. Auf einer ebenerdigen Freilichtbühne können Konzerte und Freilichtkino stattfinden. Rund herum gibt es die Möglichkeit, es sich auf großzügigen Sitz- und Liegeflächen gemütlich zu machen. Die Dachflächen der auf dem Gelände verteilten Schiffscontainer sollen als Sonnendecks dienen, innen drin wird es Ausstellungen, Lesungen und Performances geben. Und auch für den heimatlos gewordenen Rollsportverein möchte die Gruppe eine Fläche bereitstellen. Kunst, Kultur, Unterhaltung und Entspannung am Zollhafen – wir freuen uns drauf!

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