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Kunst auf Duldung: Kulturschaffende kämpfen in Mombach um ihre Räume

Wenn, wie an diesem Nachmittag, dunkle Wolken aufziehen und der Regen kurze Zeit später nur so runterprasselt, dann entfaltet das Mombacher Gewerbegebiet erst seine volle Pracht. Ein Mix aus grauen und beigen Gebäuden und viel Backstein fügt sich in das Areal um die ehemalige Waggonfabrik entlang der Hauptstraße ein. Längst geht es hier nicht mehr nur um Industrie – über die Jahre hinweg haben sich auch Kreative niedergelassen und dem Gebiet den Charme verliehen, den es heute ausstrahlt. In der „Alten Waggonfabrik“ etwa existieren wie an vielen anderen Stellen Ateliers und Freiräume für die Kunst.

Der Proberaum ist für Musiker wie Max oftmals schon das zweite Zuhause

Ideen entwerfen und verwerfen
Inmitten des Starkregens springt Jasper aus einem dieser alten Gebäude auf die Straße. In dem Haus, das ein bisschen versteckt liegt, ist „U-Kult“ zuhause. Die noch junge Initiative ist Anlaufstelle für alle Kreativen, die vor allem eins suchen: einen Ort, an dem sie kreativ sein können. „Einfach der Musik folgen“, sagt Jasper und führt durch das Treppenhaus, das wahrscheinlich so manche gute Anekdote aus der Vergangenheit erzählen könnte: von Leuten aus dem Nachtleben, die es für die Afterhour immer wieder in die obere Etage zog, und von allen anderen Begebenheiten, die dieses Haus mit Leben füllten. Oben angekommen beben Gitarrenbässe aus einem der hinteren Räume. Sie vermischen sich mit Schlagzeug-Rhythmen und Synthieklängen. Esa, Alex und Max stehen in ihrem Proberaum, in dem sie viel Zeit verbringen. Erst kürzlich haben sie ihre Band gegründet. Max spielt außerdem in zwei weiteren Bands. „Wobei eine Band gerade so ein bisschen auf Eis gelegt ist“, sagt er und lässt sich auf dem Sofa nieder. Es geht hier ums Ausprobieren, dem Nachgehen von Ideen, die unter Umständen irgendwann der Welthit werden, und falls nicht, bleibt immer noch die Erinnerung an eine gute Zeit.

Unkommerzielle, selbstverwaltete Räume
„Während Corona ist die Idee gereift, den Verein zu gründen“, erzählt Alex. Rund 30 Leute seien

Jasper Johannsen von Electric
Conzertration ist Gründungsmitglied
von U-Kult

sie inzwischen. Alle sind sich schon einmal über den Weg gelaufen und vor allem durch ein gemeinsames Schicksal verbunden: „Eigentlich sind wir immer überall rausgeflogen, egal wo wir gerade probten“, so Jasper, der gemeinsam mit Viktor das Duo „Electric Conzertration“ bildet. Die Musik der beiden vereint elektronische Beats mit dem Sound von Gitarre und Bass. Im Gebäude haben sie sich ein kleines Studio eingerichtet: große Monitore, viele Knöpfe und Geräte, die abgefahrene Klänge erzeugen können. Die Begeisterung für die Musik hat Jasper, der mit Klavierspielen aufgewachsen ist, dazu geführt, selbst kompositorisch zu arbeiten und dabei die Vorteile aus der analogen und digitalen Welt zu verbinden. „Wir haben hier auf dem Gelände schon in einem anderen Gebäude unsere Proberäume gehabt, die wir dann verlassen mussten. Aufgrund von Brandschutz-Maßnahmen, hieß es damals“, so Jasper. Die ständige Suche nach neuen Orten war einer der Gründe, warum sich „U-Kult“ kurz vor der Pandemie zusammenschloss. „Kreative Freiräume stehen meistens in Zusammenhang mit prekären Mietverhältnissen“, so Alex. Ziel des Vereins, der rund 30 Mitglieder zählt, ist es, auf unkommerzieller und selbstverwalteter Ebene Räume für Kunst und Kultur zu schaffen. Langfristig plant der Verein außerdem Veranstaltungen und Angebote, die neben Auftritten auch aus der Vermittlung von pädagogischen Inhalten bestehen sollen: „Es geht uns einerseits um die Räumlichkeiten hier vor Ort. Gleichzeitig würden wir gerne expandieren, um als Verein selbst Räume anbieten zu können“, so Alex.

Esa probiert neue Sounds
am Synthesizer…

Musik, Malerei und Stop Motion
Für sein Ziel hat der Verein viel Energie in die Sanierung gesteckt. Als „ruinenhaft“ beschreibt Max den Zustand der Räume vor wenigen Jahren. Alex belegt das runtergerockte Dasein der Räume anhand eines Videos auf seinem Handy. Verputzt haben sie, gestrichen und einen neuen Boden verlegt. Heute sind auf musikalischer Seite „Electric Conzertration“, „Cold Spot“ (Adam, Liam, Lars, Peter, Max), „isleofbeats“ (Julia), „Rainbow Blood“ (Florian, Anne) und die neue Synth-Punk-Band von Alex, Max und Esa im Gebäude untergebracht. Darüber hinaus arbeiten Franziska und Louisa an dem Stop-Motion-Filmprojekt „Raja“, und Alisa von „Bloqvist“ betreibt ein Atelier, in dem Zeichnungen, Malereien und Siebdrucke entstehen. „Es ist einfach cool, sich zusammenzuschließen“, sagt Esa. Manchmal habe sie das Gefühl, dass viele Leute in Mainz ihr eigenes Ding machen. „Dabei haben sie vielleicht insgeheim den Wunsch, sich mit anderen zu verbinden.“

Weiter kämpfen
Die meisten der Mitglieder sind berufstätig oder studieren. Jede freie Minute wird aber in den Proberäumen, Ateliers oder Studios zugebracht. Die Räume liegen entlang eines langen Flurs, auch eine kleine Küche gibt es. Der Austausch untereinander ist ebenso gut möglich wie konzentriertes Arbeiten. Sich auf die Musik, bildende Kunst oder den Film zu fokussieren, ohne

…gemeinsam mit Alex am Schlagzeug
und Max am Bass entstand
gerade erst eine neue Band

Bange zu haben, die Räumlichkeiten gleich wieder verlassen zu müssen, ist eines der Hauptanliegen der Mitglieder. Ganz einfach ist die Situation nicht, zumal das Gebäude, in dem „U-Kult“ untergebracht ist, unter das Gewerbemietrecht fällt, was eine einmonatige Kündigungsfrist ermöglicht. „In Mainz gibt es Immobilien- Haie, die genau solche Situationen ausnutzen, die sind auch in der Szene bekannt. Da werden Geschäfte aus etwas gemacht, aus dem man eigentlich keine Geschäfte machen sollte. Es ist ohnehin schon ein gewisser Kampf als Musiker, auf null rauszukommen“, erklärt Jasper und spielt damit auf Unternehmen an, die unter vermeintlich vorgeschobenen Argumenten Profit aus Flächen schlagen, auf die die kreative Szene in Mainz angewiesen ist. Den Mut lassen sich die Mitglieder trotzdem nicht nehmen und erst recht nicht die Motivation, mit der sie jeden Tag an ihre Werke gehen. Es herrscht eine vitalisierende Stimmung bei „U-Kult“. Kurz vor Verlassen des Gebäudes gibt es noch eine Einlage von Esa, Alex und Max.

Text Alexander Weiß Fotos Stephan Dinges