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So wohnt Mainz: Die Riesen-WG in Bretzenheim

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von Linda Rustemeier, Fotos: Frauke Bönsch

Normalerweise kennt man WGs mit zwei, drei oder vier Leuten. Hier haben wir es jedoch mit einem Spezialfall zu tun: Ganze 11 ½ Bewohner zählt die Bretzenheimer WG TVJ-12. Wir wagten den Besuch bei Dennis Schulmeyer’s erfolgreicher Initiative gegen Wohnmangel.
„Unser Keller ist das Highlight, hier unten erfährt man, was trockner Regen ist“, schmunzelt Dennis amüsiert, während an seinem Kopf vorbei unzählige Holzpellets durch die Rohre in den Ofen fliegen und Geräusche wie bei einem heftigen Regenschauer verursachen. Darauf ist der WG-Gründer, Hausbesitzer und Mitbewohner besonders stolz, denn Pellets sind die CO2-freundlichste Heizmethode bisher. Auf dem Dach ließ er Solarkollektoren installieren. Den sportlichen 35 Jahre alten Informatiker mit der Hornbrille und kurzen braunen Haaren nennt die WG liebevoll den „WG-Papa mit enormem Wissensvorsprung“.

Von der Idee zur Großfamilie
Als Dennis während seines Studiums im Winter 2003 in seiner damaligen 4er-WG in Wiesbaden merkt, dass der Platz immer knapper wird, beschließt er selbstbewusst, aber heimlich, ein Haus zu kaufen. Nur seine damalige Freundin weihte er in den Plan ein. Da Wiesbaden damals noch teurer als Mainz war, wurde er in Bretzenheim fündig. Dank Startkapital durch seinen IT-Job und einer Bank, die ihm trotz seines Klischee-Studenten- Aussehens (lange Haare, lässiges Outfit …) einen Kredit gab, setzte er seinen Plan in die Tat um und erwarb ein günstiges Haus in der Nähe der Uni. Seinen überraschten Freunden erzählte er erst zwei Monate später davon: „Ich dachte mir dann, es muss doch möglich sein, den Hauskauf durch Mitbewohner zu finanzieren. Und ich kann etwas gegen den Wohnmangel in Mainz tun.“ Sein Plan ging auf und bis heute sind über 30 Mitbewohner Teil seiner Geschichte und der des Hauses.

Bau-Action für neuen Wohnraum
Das Haus hat Geschichte: Es war sowohl Universitätsarchiv als auch eine Metzgerei. Die Wurstküche hat Dennis mit tatkräftiger Unterstützung von Freunden im Lauf der Zeit in Wohnraum umgewandelt. Im Vorderbau wollte er mal eine Automaten- Videothek betreiben, aber ein Anwohner befürchtete Parkplatzmangel. Nachdem kurzzeitig sein IT-Büro darin war, liegt hier nun ein weiteres WG-Zimmer. Die Architektur des Hauses ist sehr verwinkelt: Die 12 bis 18 Quadratmeter großen Zimmer liegen im vorderen Bau, als auch im ebenerdig angebauten Hinterhaus: vorne sieben, hinten vier Zimmer. Die Gangküche, in der immer viel Trubel herrscht, verbindet Wohnzimmer, Vorderbau und Anbau. Sie hat einen Ausgang zur ersten Etage mit Bad und Balkon, als auch zum Vorderhaus. Im Treppenhaus hängt die ehrwürdige Ahnengalerie mit Fotos von ehemaligen Bewohnern, inklusive Katze. Die erste Katze, Frau Schuh, wurde leider überfahren. Trotz Trauer beschlossen alle Bewohner, dass eine neue einziehen soll. Seitdem wacht Rosa Luxemburg über ihre Menschen und zählt als halbe Mitbewohnerin. Hinter dem Haus liegt übrigens der im Sommer mit Wein geschmückte „Garten“ der WG.

Ordnung muss sein
Mehrmals im Jahr finden WG-Sitzungen statt, bei denen Regeln vereinbart, Feste geplant, WG-Castings abgehalten und demokratisch abgestimmt wird. Hier fliegen auch schon mal die Fetzen. Da man nicht immer jeden antrifft, kommuniziert die WG auch über Doodle, Whats App, Facebook oder ganz klassisch über die Wohnzimmertafel. Außerdem gibt’s ein internes Telefon, einen WG-Computer und eine Videothek im Keller. „Der Sinn einer Gemeinschaft liegt auch darin, dass man gemeinsame Interessen und Aktivitäten teilt. Auch hiernach suchen wir Neulinge aus“, erzählt Anna, die nach Dennis und Rudi mit sieben Jahren Aufenthalt die drittdienstälteste Mieterin ist. Außer ihr wohnen noch Catalina, Jörg, Tina, Lydia, Lukas, Jenny, Martha und Sebastian plus Katze im Haus. Alle auf einmal zusammen zu kriegen, ist gar nicht so einfach. Das letzte Highlight war die 10-jährige Jubiläumsfeier im Sommer. Letzten Winter gab es ein geniales Wohnzimmerkonzert für Freunde mit dem gerade ausgezogenen Jazzmusiker Rob und seiner Band, den Electrocoustics. Dafür wurde im geschmückten Wohn- und Esszimmer Platz für ein Schlagzeug, ein Keyboard und den Trompeter geschaffen. Ein weiteres Highlight in diesem Kontext: die WG-eigene Zapfanlage in der Küche! „Im Prinzip hat hier jeder Raum seine eigene Kreativität. Dennis hat uns den Raum geschaffen, damit wir uns entfalten können und wir stecken viel Liebe in dieses Haus“, sagt Catalina und Lukas ergänzt: „Es ist zwar nicht alles immer nur problemlos und nicht alle harmonieren gleich gut, aber es ist immer jemand da, wenn man jemanden braucht. Diese WG hat sehr viel aus ihren Erfahrungen gelernt und das macht sie so liebenswürdig.“