Text: Benjamin Schaefer & Ejo Eckerle, Fotos: Jonas Otte
Zwischennutzen heißt das neue Zauberwort, wenn Mainzer Kultur- und Sozialprojekte eine Heimat suchen. Die Hürden sind hoch, dennoch bewegt sich etwas: In leere Räume zieht neues Leben ein.
Ein Kracher, den das PENG hier gelandet hat: Hinter verstaubten Fensterscheiben des ehemaligen Autohauses am Binger Schlag, setzt sich etwas in Bewegung. Für mindestens zwei Monate wird das „Peng – Gesellschaft zur Förderung von Design, Kunst und Kommunikation e.V.“ die dortigen Räume nutzen: Ausstellungen, Aktionen – und nicht zuletzt – Partys, die Geld in die klamme Kasse des Vereins spülen sollen. Ermöglicht durch Kulturdezernentin Marianne Grosse und die Besitzer der Immobilie. Zwischennutzung als win-win-Situation, bevor der Abrissbagger anrückt. Was danach auf dem Gelände geschieht, ist noch unklar, Gerüchte sprechen davon, dass die Uniklinik Mainz ein Auge auf das Areal geworfen hat. Dort könnte dann eine neue Klinikambulanz entstehen. Kunst und Kultur in der Stadt brauchen Platz. Das wissen auch jene fünf Jungmänner aus dem Umfeld der Mainzer Kreativszene, die sich ab November auf 400 Quadratmetern im Gebäude16 des Medienzentrums „Nordhafen“ einrichten wollen. Das Konzept verspricht Workshops, Installationen und Ausstellungen. „Etwas erwachsener als die bisherigen Projekte“, so Mitinitiator Sebastian Zimmerhackl. Geraten Kunst, Kultur und soziales Leben jetzt doch in Schwung? Bis vor Kurzem sah die Bilanz eher mau aus: Mainz, Gaustraße: Was einmal das „Montmartre am Mittelrhein“ genannt wurde, bietet heute einen eher traurigen Anblick: rechts ein leeres Lokal, ein Schuhgeschäft, links zwei leere Lokale, ein Terrakotta-Laden. Außerdem ist die Fensterfront des ehemaligen Kopierlädchens mit Stoffbahnen verhangen und auch das Mainzer Hospiz ist umgezogen. Den Weg zum Gautor säumen insgesamt elf leere Ladenlokale. Die Ikonen des Mainzer Ladenleerstandes sind freilich das Grand Hotel Eden am Hauptbahnhof, das Autohaus an der Haltestelle Hauptbahnhof West, das Fort Malakoff, sowie Büro Wahlich an der Rheinallee; letzteres befindet sich bereits im Abriss. Auf der anderen Seite hat in den letzten Monaten die – reichlich zersplitterte – freie Kulturszene Ansprüche an Raum gestellt, deren radikaler Flügel das Haus in der Oberen Austraße besetzte. Leere Läden und junge Leute in Raumnot? Ließe sich das nicht in einem Aufwasch lösen?
„Erhöhte Ladenfluktuation“
Laut Einzelhandelsmonitoring betrug im September 2011 der Ladenleerstand in der Altstadt 31 Läden, das macht eine Quote von 4,6 Prozent. Noch im März waren es 35 gewesen. „In den letzten zwei Jahren ist die Nachfrage nach Gewerbeflächen stark gestiegen“, sagt David Zimmermann von Immobilien Küppers. Insgesamt beziffert der Gewerbemakler die Quote mit „fünf bis sieben Prozent“. Wie in allen Städten seien die Lagen zweiter und dritter Klasse problematisch. Nach Angaben der Stadt bestehe zwar in Bleichenviertel, Altmünsterviertel und in der Gaustraße eine „erhöhte Ladenfluktuation“, jedoch könne man nicht von einer Entwicklung hin zu Problemzonen sprechen. Leerstand bestehe eher in den Außenbezirken ohne Laufpublikum, sagt Wolfgang Oepen von der Mainzer Firma Urban City Consultants. Und tatsächlich befinden sich in den Portfolios der Immobilienfirmen zahlreiche große Objekte etwa in Hechtsheim oder Mombach, zumeist Produktions- Lagerhallen. Zum Vergleich: 2009 waren in Wuppertal, das damals noch gut 350 000 Einwohner hatte, in allein vier Stadtteilen 350 Ladenleerstände verzeichnet. Das Problem war so groß, dass man seinerzeit eine Zwischennutzungsagentur gründete, die in zwei Jahren 50 temporäre und 20 dauerhafte Nutzungen veranlassen konnte. Leerstands-Hauptstadt für Büroflächen ist nach wie vor Frankfurt am Main: Dort liegt die aktuelle Quote bei 13,5 Prozent, während sie im Mainz 2011 bei 5,9 Prozent lag. Wenn auch in Mainz keine Straßenzüge oder gar Stadtteile im Niedergang sind wie im Ruhrgebiet oder in vielen Provinzstädten, bleiben die gähnenden Schaufenster, die allenfalls mit Folien verklebt sind, ein Makel im Stadtbild. Die Legende, dass sich Leerstand für die Besitzer lohnt, ist jedenfalls unwahr. „Das Finanzamt erkennt die Verlustabschreibung der Miete nur an, wenn eine konkrete Absicht zur Wiedervermietung besteht“, erläutert Steuerberater Karl Spies von RHH Treuhand in Gonsenheim. Zwar spare man in so einem Falle Steuern, jedoch gingen die Mieteinnahmen trotzdem verloren. Spies betont, er kenne keinen einzigen Eigentümer, der nicht zu Gunsten einer baldigen Lösung die Miete heruntersetze.
Unflexible Vermieter
Genau hier liegt aber der Hund begraben: Die Bereitschaft, seine Räume für weniger Geld zu vermieten als überhaupt nicht, scheint nicht überall zu bestehen. „Ich würde mir wünschen, dass einige Vermieter so klug wären, flexibel auf den Markt zu reagieren“, mahnt Wolfgang Oepen an. Auch in Wuppertal hatte man seinerzeit aufwendig ermittelt, dass die Besitzer größtenteils unrealistische Erwartungen an die Mieteinnahmen hatten. Stadtplaner Oepen rät: „Der Vermieter sollte sich die Brille eines Business Angel aufsetzen.“ Also das Konzept der Interessenten verstehen und ihnen durchaus mit der Miete entgegenkommen. So geschehen etwa bei der Bürogemeinschaft Tip Top Express in der Heidelbergerfaßgasse. Einige Design-Studenten der Fachhochschule taten sich zusammen, um eine leer stehende Reinigung am Gartenfeldplatz zu mieten und dort gemeinsam ihre Diplomarbeiten anzufertigen. Das Projekt war als Zwischennutzung deklariert und der Vertrag lief ein halbes Jahr. „Die Vermieter wollten den Raum für die Öffentlichkeit nutzbar machen“, erinnert sich Sarah Pittroff von Tip Top Express. „Sie stellten sich die Frage: Was braucht das Viertel?“ Nach der Nutzung waren die Studenten so von der Zusammenarbeit und einem gemeinsamen Raum begeistert, dass sie mehr Leute ins Boot holten und in größere Räume in der Heidelbergerfafgasse zogen. „Es hängt alles an der konkreten Vision, die sich das Gegenüber vorstellen kann“, resümiert die 30-Jährige den Prozess der Raumsuche. Die zehn Kreativen haben einen Staffelmietvertrag vereinbart, durch den sich die Miete kontinuierlich auf das vom Vermieter angestrebte Niveau erhöht. Für Oepen ist indes aber auch klar: „Wenn keine Wertsteigerung besteht, muss ich als Besitzer aufpassen.“ Wohin also mit den nicht kommerziell arbeitenden Gruppen?
Zweischneidig: die Zwischennutzung
Der Ruf nach stadteigenen Räumen ist bislang ungehört verhallt. Zuletzt wurden von ÖDP / Freien Wählern die ehemaligen Notunterkünfte in der Zwerchallee vorgeschlagen: Die fünf großen Wohnkasernen sind nach Angaben der Stadt entkernt, außerdem sei eine Gewerbeansiedlung geplant. Andreas Fitza hat Verständnis für die Situation der Stadt: „So ein stillgelegtes Gebäude kann nicht einfach vermittelt werden.“ Fitza ist 1. Vorsitzender des PENGs. Der 2005 gegründete Club lebt von und in Zwischennutzungen und hat bereits das fünfte Quartier, dieses Mal in der Martinstraße bezogen. Probleme gab es immer, mit den Nachbarn, wegen des Lärms auf der Straße. Durch die Veranstaltungen werde aber für die Räume auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben, zudem bezahle PENG auch die reguläre Miete, so Fitza. Auch Nils Hillebrand ist vom Marketing-Effekt überzeugt: „Wenn der Hausbesitzer in der Zeitung zu sehen ist, wie er die Schleife durchschneiden kann, und da steht dabei: Die Immobilie steht eigentlich leer – eine bessere Werbung gibt es doch gar nicht!“ Der Kunststudent betrieb bis vor Kurzem das Atelier Zukunft in der Binger Straße, in dem Ausstellungen und Veranstaltungen stattfanden. Auch er kennt die Probleme, die mit der vorübergehenden Nutzung verbunden sind: Baurecht, Verträge, Versicherung. Der Versuch der Nutzungsänderung beim Bauamt scheiterte am Vermieter, Hillebrand und Kommilitonen mussten ausziehen. Im Falle von PENG habe die Eigentümerin, die Wohnbau Mainz GmbH, selbst einen geänderten Nutzungsantrag gestellt, erläutert Andreas Fitza. Die Zwischennutzung ist also ein zweischneidiges Schwert und birgt für beide Seiten ein gewisses Risiko. Nachdem im letzten Jahr die Aktion „Kunst gegen Leerstand“ der Stadt Mainz floppte – es fand sich nur ein Eigentümer von 35 Objekten, der zu einer Zwischennutzung bereit war – ist nun eine städtische Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die die Interessen bündeln soll. Sogar die Kunsthochschule mischt sich ein: „Wir bräuchten einen Raum, der von uns bespielt würde“, erklärt Dieter Kiessling, Professor für Medienkunst. Die Stadt könne vor allem Vermittlerin sein, schlägt Andreas Fitza vor, bezüglich Immobilien und Fördermitteln. In der städtischen Arbeitsgruppe sollen nach eigenen Angaben auch Fragen der Stadtentwicklung angesprochen werden – hier liegt jedenfalls die Chance für ein dauerhaftes Kulturquartier, das auch die Stadt attraktiver machen würde. Private und Firmen müssten aber gewonnen werden, so Fitza. Der Vereinschef erwähnt gerne das Projekt „BEAST“ in Nürnberg, in dem auf einem leer stehenden Areal der Firma AEG Kunst gezeigt wurde – komplett von Studierenden organisiert. „AEG ist jetzt der König“, ist sich Fitza sicher.