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Helge Schneiders neuer Film: Ohne Tricks und doppelten Boden (Interview)


Interview: Olaf Neumann

Acht Jahre nach „Jazzclub“ dreht Helge Schneider wieder einen Kinofilm im Revier. Mülheim an der Ruhr, Duisburg und Essen dienen als Kulisse für den absurden Krimi „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ um besagten Kommissar. Es geht um elementare Dinge des Lebens: Zahnschmerzen, Omabesuche und Mordanschläge. Wir quetschten „das Helge“ bei den Dreharbeiten aus – ein Gespräch über das Filmen in der Provinz, Pizzabäcker als Schauspieler und Talkshows, in denen nicht geredet wird.
Helge, Sie drehen Ihren neuen Krimi in Essen, Duisburg und Mülheim an der Ruhr. Sind das für Sie besondere Orte?
Helge Schneider: An Städten wie Mülheim kann man die Zukunft ablesen. Es ist allerdings eine düstere Zukunft. Sie macht einen irgendwie betroffen, so dass man vielleicht mal was ändert. Warum nicht bei sich selbst anfangen? Aber der Film beschäftigt sich im Grunde gar nicht damit. Dennoch sieht man diese Welt im Hintergrund mitlaufen.
Der Film spielt in der Provinz – ist 00 Schneider deshalb ein Provinzkommissar?
Er ist eindeutig ein Provinzkommissar, der dadurch, dass er in der Provinz lebt und arbeitet, eigentlich in die ganze Welt gehört. Denn die Welt als Ganzes ist ja im Grunde genommen Provinz. Städte wie New York, Paris oder Berlin sind nur kleine Ausuferungen, das sind eigentlich Zusammenfassungen von Provinzen. Die Provinzler haben die als Nest genommen und behaupten, wir sind keine Provinz. Gelogen! Die Provinz ist im Kopf. Egal, wo man hinkommt, überall ist Provinz.
Könnten Sie solch einen Film auch in Berlin realisieren?

Könnte ich machen, das wäre für mich aber langweiliger. Zu viele Leute, zu viele Eindrücke. Nicht auf den Punkt gebracht.
Welchen Stellenwert hat bei Ihnen die Handlung? Geht es Ihnen eher darum, eine absurde Komödie zu machen, über die man sich kaputtlachen kann?

Die Handlung spielt eigentlich schon eine Rolle, ich kann es nur nicht so gut wie vielleicht Blake Edwards in „Der Partyschreck“. Natürlich will ich die Leute auch zum Lachen bringen. Aber vor allem will ich selber Spaß haben bei der Figur, die ich da spiele. Denn ich bin irgendwie auch ein bisschen so wie 00 Schneider.
Und welche Rolle haben Sie sich für Ihren Zwergspitz Zorro ausgedacht, der ja bereits aus Funk und Fernsehen bekannt ist?
Der Zorro ist bisher das einzige Meerschweinchen, das in einem Film so oft zu sehen ist. Zorro ist der Freund des Kommissars. Also praktisch sein Hund. Das ist sowieso eine Novität, dass ein Hund von einem Meerschweinchen gespielt wird. Das gab es selbst bei Walt Disney noch nicht. Dieser Hund kann sogar Auto fahren, ohne Tricks und doppelten Boden.
Wollten Sie nicht eigentlich einen Western machen?

Könnte ich auch machen, wenn mir mal wieder was Entsprechendes einfällt. Aber jetzt lasse ich erst mal den 00 Schneider wieder aufleben. Es ist eine universelle Figur, sie könnte auch in den Wilden Westen gehen oder auf den Mond fliegen. Oder 00 Scheider lässt sich von einem Ballon in 38 Kilometer Höhe ziehen und springt dann ab wie ein Playmobilmännchen. Ich selbst habe das zweimal gemacht, aber ich war nicht ganz so hoch: Ein- Meter-Brett!
Verstehen Sie Ihre Filme als Milieustudien?
Nee, diesmal ist es ja eine internationale Besetzung. Die Leute, die ich vor die Kamera schleppe, sind deshalb dabei, weil sie einfach die beste Besetzung für diese Rollen sind. Obwohl sie das manchmal selber gar nicht wahrhaben wollen. Pete York zum Beispiel habe ich als völlig verstaubten Bezirkspolizisten mit Säufernase, Schnauzbart und Bobby-Helm besetzt, der auf einem Fahrrad durch die Gegend pest. Diese Rolle passt einfach perfekt zu ihm, weil ich weiß, dass er Dick & Doof liebt. Hätte Pete York nicht zur Verfügung gestanden, hätte es diese Rolle gar nicht gegeben.
Was können Laiendarsteller besser als Profi-Schauspieler?
Wir haben zum Beispiel den Laiendarsteller Scott Hamilton dabei, er kann unheimlich gut Saxofon spielen. Und was macht er – er bläst in dem Film Saxofon! Aber filmisch so zurechtgemacht, dass es auch für ihn selbst eine Novität ist. Und unseren Bassisten Ira Coleman haben wir so genommen, wie er ist – als Amerikaner. FBI. Anzug an, Krawatte, Brille auf, ein Block dabei, intelligent. Und er zieht ein Bein nach. Und dann ist noch Toto aus der Pizzeria hier in Mülheim dabei. Bei dem habe ich gesagt: „Komm her, du bist der Polizeichef!“ Schnäuzer angeklebt, schöne Uniform, astrein. Sitzt da und schält Mandarinen, das ist sein Job. Toto hat schon vor 16 Jahren im ersten 00-Schneider-Film mitgemacht.
Viele wissen gar nicht, dass Sie bereits in den 80er Jahren mit Christoph Schlingensief Filme gedreht haben. Welchen Einfluss hatte er auf Sie?
Von Christoph habe ich gelernt, einfach drauflos zu filmen. Beim ersten 00 Schneider bediente er die Schulterkamera, deshalb wirkt das Bild manchmal ein bisschen zitterig. Kennen gelernt haben wir uns, als ich mit Werner Nekes „Johnny Flash“ gemacht habe. Christoph war damals Materialassistent, er musste immer den Film im Dunkelsack wenden. Er war damals noch sehr jung, hatte aber schon einen eigenen Film gedreht – „Tunguska, die Kisten sind da!“. Christoph Schlingensief hat praktisch das, was er als Kind gemacht hat, auch als Erwachsener gemacht. Einfach eine Horde Leute um sich versammelt und Kamera draufgehalten. Bei ihm ging es immer tierisch ab. Von Christoph habe ich gelernt, keine Angst vor der Kamera und vor den Bildern zu haben. Bei anderen Leuten lernte man genau das Gegenteil. Ich habe in zweien seiner Filme mitgespielt, für „Menu Total“ habe ich zudem besonders schöne Musik gemacht.
In „Menu Total“ spielten Sie Adolf Hitler. Bei der Bei der Premiere auf der Berlinale 1985 soll es im Publikum zu Prügelszenen gekommen sein.
Ich habe solche Veranstaltungen nie mitgemacht. Ich war einmal in Hof auf einem Filmfestival, da habe ich überhaupt nichts verstanden. Aber die Fahrt dahin war gut. Ich glaube, Christoph hatte es manchmal drauf angelegt, unverständlich zu wirken. Aber er hätte trotzdem gerne gehabt, dass alle ihn verstehen.
Und was wollen Sie mit Ihren eigenen Filmen erreichen?
Ich will das Publikum jedenfalls nicht verstören. Ich will, dass die Leute ins Kino rennen und dann mit einem tollen Gefühl nach Hause gehen. So wie bei Dick & Doof – das sind meine Leute.
Was gehört zu einem guten Film unbedingt dazu?
Ein guter Film muss zum Beispiel eine Szene haben, bei dem einer durch eine Pfütze fährt. Wollten wir auch erst drehen, aber das ist echt zu teuer. Ich finde, ein guter Film muss Fantasie haben. Man muss sich wundern und denken: Wie ist das denn gemacht? Ich habe mal einen Stummfilm begleitet in Oberhausen bei den Kurzfilmtagen, ich glaube, es war „Der Golem“ von Ernst Lubitsch. Zwischen den einzelnen Szenen waren immer schwarze Tafeln zu sehen, darauf stand zum Beispiel in Englisch: „Ein Wassereinbruch“. Oben in einer Kabine saß der Sprecher und übersetzte live fürs Publikum. Einmal stand da „George“, aber der Übersetzer sagte: „Georg“. In dem Moment bist du voll aus dem Film raus. Einer meiner Lieblingsstummfilme ist „The General“ mit Buster Keaton. Zu so einem Film auf dem Klavier zu improvisieren ist einfach toll. Daraus ist meine Lust entstanden, für Filme Musik zu machen und eigene Filme mit meiner Musik zu drehen.
Haben Ihre frühen Filme viel Geld gekostet?
Werner Nekes und Christoph Schlingensief hatten keine großen Budgets, waren aber reich an Fantasie. Wir haben einfach nur in Werners Bude gedreht mit weißen Tapeten im Hintergrund. Davor wurde ein schwarzer Schreibtisch gestellt, das war dann ein Büro. Fürs Licht hatte unser damaliger Kameramann Bernd Uppnmoor ungefähr 50 Fotolampen mit je 500 Watt angeschleppt. Wenn eine davon explodiert, bist du praktisch tot. Das wussten wir aber nicht. So kann man auch Filme machen.
Sind Sie Ihrer Low-Budget-Philosophie bis heute treu geblieben?
Im weltweiten Vergleich ist der neue „00 Scheider“ eine Low-Budget-Produktion. Aber für mich persönlich ist es das nicht, weil wir alles rausholen, was man sich nur vorstellen kann – an Bildern und Emotionen. Das Resultat wird nachher genauso aussehen, als hätte da jemand ganz tief in die Tasche gegriffen. Aber es kann natürlich auch ganz anders kommen.
Sind Sie ein strenger Regisseur?
Manchmal bin ich streng. Aber immer im Rahmen des Professionellen. Ich finde, man darf nie jemand für etwas verurteilen, was er nicht kann. Das ist ganz wichtig. Aber man darf schon mal ganz laut „Ruhe!“ oder „Hau doch mal ab da!“ sagen.
Joseph Beuys sagte: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Sehen Sie das auch so?

Ne, überhaupt nicht. Dieser Spruch war selbst ein Kunstwerk von Beuys. Das war seine typische Art, Kunst zu machen: Pamphlete herauszubringen. Wenn Beuys etwas zu Kunst erklärte, dann war es das auch. Er selber war Kunst. Ich aber nicht. Ich sehe mich mehr als Arbeiter. Gelegenheitsarbeiter.
Was ist eigentlich anstrengender – eine Tournee zu spielen oder einen Film zu drehen?
Solch ein Film ist kräftezehrend, eine große Tournee auch. Anstrengend ist eigentlich nur das, was keinen Spaß macht. Insofern ist für mich weder solch ein Film noch eine Tournee anstrengend.
Bald geht’s ja wieder los. Was haben Sie für Ihre nächste Tour geplant?
Ich will im nächsten Jahr wieder eine schöne Sommertour machen – unter anderem mit meiner Neuentdeckung Butterscotch. Die habe ich in Hamburg entdeckt, ihren Beatbox-Gesang finde ich klasse. Eigentlich hätte ich dort mit Joachim Kühn spielen sollen, das wollte ich aber nicht, weil er ja auch Klavierspieler ist. Stattdessen ist Butterscotch zu uns gestoßen. Seitdem sind wir ein Herz und eine Seele auf der Bühne. In meinem Film spielt sie eine Taxifahrerin. Mein Saxofonist Tyree Glenn jr spielt übrigens eine Frauenrolle – Tante Tyree. Sie kann nur von ihm gespielt werden. Das ist wieder Realismus – aber aus der Fantasie heraus entstanden.
Man weiß, Sie sind kein großer Freund des Fernsehens, dennoch haben Sie jetzt im WDR eine eigene Talkshow. Macht Ihnen das Talken Spaß?
Nee, überhaupt nicht, aber die wollten mich unbedingt. Gut, dann mach ich’s eben! Ich selbst finde mich grottenschlecht, aber naja, wenn das alle sehen wollen… Ich kann denen doch nicht sagen, dass ich mich dabei schrecklich fühle. Ich bin der übelste Fernsehmoderator, den ich je gesehen habe. Moderator ist für mich das Schlimmste vom Schlimmen, aber ich versuche dann trotzdem, einer zu sein. Ich habe mich breit schlagen lassen, es wieder zu tun. Beim nächsten Mal sage ich gar nichts.
Von Anti-Talkshow war in den Medien die Rede. Wie definieren Sie Ihre Show selbst?
Nun, da ist der Helge mit einem Bein in eine bürgerliche Mühle geraten und kommt da nicht mehr raus. Aber irgendwo ist das auch lustig. So ist halt das Leben. Wenn ich früher zum Arbeitsamt gegangen bin, war es ein ähnliches Gefühl.
Haben Sie fürs nächste Mal Wunschgäste?
Ich habe keine Wunschgäste. Soll kommen wer will – oder wer muss. Wollen wir mal hoffen, dass nächstes Mal ein besseres Klavier da ist, dann kann ich ein bisschen spielen. Musik machen finde ich gut. Aber mal ehrlich: Was stellt man jemandem, den man nicht kennt, für Fragen? Da soll ich mir vorher durchlesen, was der Gast so macht – aber das interessiert mich überhaupt nicht. Ich will den ja mal kennen lernen, aber da muss man auch ein bisschen Zeit für haben. Da muss man sich hinsetzen und sagen: „Guten Tag, wie geht’s – auch hier?“ Aber die meisten Moderatoren machen das falsch, indem sie sagen: „Du hast gerade diesen oder jenen Film gemacht. Wie war’s bei den Dreharbeiten?“ Ich glaube, ich habe ein Geheimrezept für Talkshows gefunden – nämlich denn Leuten zu zeigen, dass auch mal Ruhe einkehren muss. Bei mir kann man den Apparat ruhig auch mal abschalten.