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Flexen in der Stadt: Mainzer Influencer & ihre Follower

Foto: Adobe Stock

Mehr Klicks, mehr Follower, mehr Reichweite: Enorme Strahlkraft, so könnte man meinen, geht auf Social Media von denjenigen aus, die die größte Anhängerschaft haben. Erst dann entsteht ein Business, das auch Top-Gagen garantiert. Fernab von Mode, Beauty und viel Trallala ziehen seit den vergangenen Jahren jedoch auch Nischen-Gebiete den Fokus bei Instagram und Co. auf sich. In Mainz hat sich einiges getan: Wir stellen Influencer vor, die sich im Spannungsfeld zwischen Popularität und Authentizität bewegen, die ihren Wirkungskreis über Instagram hinaus erweitert haben, die Social Media für ernsthafte Berichterstattung nutzen, und solche, die einfach Freude haben an dem, was sie tun.
Influencer-Mekka in der MEWA ARENA
An Superlativen wurde nicht gespart, als vor wenigen Wochen das Fußballturnier „Battle of the Socials“ in der MEWA ARENA veranstaltet wurde: „Mega-Event“, „Social-Media-Könige“, „Riesenereignis, das es so noch nie gab“. Die Nachrichten auf den Kanälen von Jens „Knossi“ Knosalla (1,7 Millionen Instagram- Follower), Lena Mantler (20,1 Mio.), Younes Zarou (7,3 Mio.) und Elias Nerlich (1,2 Mio.) überschlugen sich, als stünde ein wirklich wichtiges Fußballturnier bevor. Stadion, Pressekonferenz, Fans, Trikots und jede Menge Prominenz drumherum und viele

Beim „Battle of the Socials“ in der Mewa Arena
ging es neben viel Marketing auch um Fußball (Foto: Sascha Kopp)

Sponsoren. „Es geht nicht darum, wie viele Follower wir haben, sondern um Fußball“, so Social-Media-Star Lena vor dem Turnier. Und auch der enthusiastische und deshalb von allen so geliebte „Knossi“ betonte, wie sehr er auf den Tag hingefiebert habe: „In einem Stadion zu spielen und dann da rauszugehen und es mit so vielen Fans zu genießen, das ist Wahnsinn.“ Und weil zu einem Großereignis auch große Namen gehören, war auch Reiner ‚Calli‘ Callmund mit von der Partie. Er loste die Begegnungen zwischen den Teams von Lena, „Knossi“, Younes und Elias aus, während Topmodel Lena Gercke auf der Tribüne Stimmen einfing. Auf dem Platz übernahm ProSieben- Mann Steven Gätjen die Moderation. Am Ende des Tages wurden 17.500 Tickets verkauft, das Doppelte wäre drin gewesen, und so machte auch kaum einer der Social-Media-Stars ein Geheimnis daraus, sich mehr Publikum auf den Rängen gewünscht zu haben. Vielleicht lag es an der Instagram-Begleiterscheinung „kurze Aufmerksamkeitsspanne“, weshalb einige Gäste frühzeitig das Stadion verließen und sich nicht darum scherten, dass am Ende das „TikTok-Team“ von Younes gewann. Ein anderer Grund könnte gewesen sein, dass nicht mehr viel übrig war von dem Hype, der die Tage zuvor betrieben wurde, und es am Ende dann eben doch ein normaler Freizeit-Kick an einem tristen Tag auf einem viel zu großen Fußballplatz war. So ist die Social- Media-Welt dann eben auch wieder…

Sarah Kübler ist Geschäftsführerin der Agentur „HitchOn“ und hat die Szene im Blick (Foto: Sandra Zaitsev)

„Content that works“
Die Utopien, die die bunte Instagram-Welt ausstrahlt, sind zum Marktfaktor geworden. Und Hand auf’s Herz: Wer hat sich nicht schon einmal in der Ästhetik der Bilderwelten verfangen? „Content that works“, sagt Sarah Kübler, Geschäftsführerin der Agentur „HitchOn“. Im Jahr 2015 gründete Kübler das Unternehmen, mittlerweile sind an den Standorten Mainz und Hamburg 45 Personen beschäftigt. Vor zwei Jahren kam die Tochterfirma „AlwaysOn Production GmbH“ hinzu, eine Erweiterung des Geschäftsfelds, um Web-Inhalte für YouTube und andere Social-Media-Plattformen zu produzieren. „HitchOn“ fungiert dabei als so etwas wie ein Wegbereiter, um Reichweite und Aufmerksamkeit zu erzielen: „Unsere Kunden kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – viele Medienhäuser, TV-Sender, Marken, von Mode bis Automobil, über NGOs. Gemein haben sie, dass sie ihren Aktivitäten auf Social Media eine gewisse Priorität zuordnen, meist jüngere oder spezielle Zielgruppen mit Content ansprechen möchten“, erklärt Sarah Kübler. Warum sich Influencer, YouTuber und Streamer gerade für Mainz als Austragungsort für das „Battle of the Socials“ entschieden, ist für die Agentur-Chefin keine Überraschung, da die „gute geografische Lage“ dafürspreche und „weil Mainz einfach super lebenswert“ sei. Vergleichbare Veranstaltungen in Zukunft könnten die Stadt noch attraktiver für die Branche machen, so Kübler.

Lebte bis vor kurzem in Mainz: Julia Beautx (Foto: Julia Beautx)

Julia Beautx – vom Insta- zum TV-Star
Ausschlaggebend ist auch die Instagram-Prominenz, die sich am Rhein niederlässt. So sorgte etwa Anfang des Jahres der Umzug von Julia Beautx nach Mainz für Aufmerksamkeit. Mittlerweile habe sie ihren Wohnort jedoch wieder in eine andere Stadt verlegt, so ihr Management. Mehrere Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram, TikTok und YouTube. Den Wohnortwechsel unternahm sie, da ihr Freund hier lebt. Trotz ihres jungen Alters kann die 24-jährige auf eine „lange“ Karriere als Influencerin zurückblicken. Als Teenagerin begann sie mit Schmink-Tutorials, Lifehacks und sogenannten „Hauls“ (das Präsentieren von gerade gekauften Sachen). Das Interesse und damit auch die Zahl an Followern stieg und sorgte schon bald dafür, dass Julia Beautx zum Social-Media-Star avancierte. Auch wenn der Name „Julia Beautx“ markenrechtlich geschützt ist, setzt sie im Hinblick auf die Zukunft, abseits von Instagram, wieder auf ihren bürgerlichen Namen Julia Willecke und ist auch auf anderen Feldern aktiv: Als Schauspielerin spielte sie in der ZDF-Dramaserie „Gestern waren wir noch Kinder“ mit, und für RTL tanzte sie bei „Let’s Dance“.

Der Mainzer Cedric Beidinger gewann 2020 die Jubiläumsstaffel der Show „Big Brother“ (Foto: Cedric Beidinger)

Cerdric Beidinger – Sprungbrett Big Brother
TV-Produktionen greifen gerne auf die Stars der Social-Media- Welt zurück. Ihre Popularität ist für Fernseh-Formate häufig auch ein Garant für die Einschaltquote. Und auch Influencer nutzen die Auftritte im TV wiederum für sich. Im Jahr 2020 gewann Cedric Beidinger die Jubiläumsstaffel von Big Brother: „Es war eine spontane Entscheidung, weil es privat bei mir ganz gut gepasst hatte“, sagt der Mainzer zu seinem Entschluss, in das Haus zu ziehen, das rund um die Uhr von Kameras im Blick behalten wird. Viel erlebt habe er, die Zeit bleibe einerseits als „Achterbahnfahrt“ in Erinnerung, andererseits spricht Beidinger die Leere an, die über Wochen hinweg präsent war: „Die meiste Zeit war es relativ langweilig, weil man nichts zu tun hatte und die Spiele sehr kurz waren.“ Sport spielte für den ehemaligen Leichtathleten vom TSV Schott schon immer eine große Rolle: Sein Wissen gibt er inzwischen auch als Online-Fitness-Coach weiter.

 

 

Journalist Konstantin Flemig berichtet aus weltweiten Kriegs- und Krisengebieten (Foto: Konstantin Flemig)

Konstantin Fleming – Berichte aus Krisenherden
Aufgrund der Nähe zu großen TV-Anstalten sieht „HitchOn“-Geschäftsführerin Sarah Kübler einen großen Vorteil in der Stadt: „Mainz ist Heimat des ‚funk‘-Angebots von ARD und ZDF, das der Creator-Szene in Deutschland einen großen Schub gegeben hat. Von Mainz aus werden die reichweitenstärksten öffentlich-rechtlichen Creator Deutschlands betreut, zum Beispiel Comedian Phil Laude, World Wide Wohnzimmer oder Coldmirror.“ Auch Konstantin Flemig hat sich inzwischen dem Netzwerk angeschlossen. Der Reporter berichtet regelmäßig von den weltweiten Krisen und militärischen Auseinandersetzungen. Für seine Arbeit legt er Wert auf den Austausch mit seinen Zuschauern: „Auf einer Plattform wie YouTube können wir direkter mit unserem Publikum interagieren. Wenn wir etwa eine Reportage über den Kampf um Bachmut in der Ukraine veröffentlichen, und ein Zuschauer fragt, was wir in dem Moment empfinden, wenn eine Granate in der Nähe einschlägt, kann ich direkt darauf antworten“, erklärt er. Über den Austausch seien so schon oftmals Inspirationen für seine nächsten Filme entstanden. Reisen führten Flemig nach Afghanistan, Syrien, in den Irak, die Ukraine und viele andere Kriegsgebiete. Aus Sicherheitsgründen könne er derzeit nichts über die nächsten Drehs verraten: „Aber wir sind im Austausch mit Menschen im Nahen Osten, Asien und Europa.“

Als ehemals Betroffener entwickelt Maximilian Pollux in seinen Formaten eine Sensibilität für die Gründe von Gewalt (Foto: Caroline Auer)

Max Pollux – Mutmacher
Von Krisen handeln auch die Produktionen von Maximilian Pollux, der auf eine bewegte Vergangenheit zurückblickt. Als Jugendlicher galt der Mainzer als Intensivstraftäter und musste zehn Jahre lang ins Gefängnis. Seine ungeschönten Wahrheiten über den Alltag hinter Gittern sahen auf YouTube viele Zuschauer. Pollux schildert seine Erfahrungen aus dieser Zeit, ohne in die moralische Rolle des Geläuterten zu verfallen. Seine Begegnungen mit anderen Ex-Kriminellen, die unter anderem für die ARD in der Reihe „Pollux“ gezeigt wurden, gehen den Ursachen der Kriminalität auf den Grund, ohne dass sie plakativ dargestellt werden. Pollux, als ehemals Betroffener, entwickelt in seinen Formaten eine Sensibilität für die Gründe von Gewalt. Sie liefern häufig mehr Antworten, als dies in öffentlich ausgetragenen Debatten der Fall ist, die abseits dieser Welt liegen. Zudem ist er mit seinem Verein „Sichtwaisen“ für benachteiligte Jugendliche unterwegs.

Jogginghosencontent
Auffallend ist mittlerweile die Qualität der Videos von vielen. Mit Fähigkeiten, die früher nur ein professioneller Cutter hatte, können inzwischen auch die „Creator“ auftrumpfen. Von einer „massiven Weiterentwicklung binnen der letzten zehn Jahre“, spricht Social-Media-Expertin Kübler. Auf den Kopf gestellt habe die Welt der Influencer jedoch der chinesische Dienst TikTok: „Gerade durch TikTok gibt es wieder einen gewissen Trend ‚back to the roots‘: YouTube ist immer professioneller geworden in der Videoproduktion. Für Insta hieß es lange nicht umsonst, Bilder müssen besonders schick,  „instagrammable“, sein. Dann kam TikTok und hat Jogginghosencontent wieder großgemacht, Nutzer konnten plötzlich einfach selbst zum Creator werden und sich voll auf ihren Content fokussieren, denn bei TikTok gibt es kein Vorschaubild, anhand dessen ich entscheide: spannend oder nicht. Ich sehe nur Content an und entscheide binnen von Sekunden: schauen oder skippen“, so Kübler über die Entwicklung.

Rosi eroberte mit ihren Videos an bekannten Mainzer Orten die Herzen im Sturm (Foto: Rosi)

Instagrammable in jedem Alter
Professionalität und Originalität verbindet so auch der Auftritt von „jaadiee“. Dahinter verbirgt sich der Fotograf Jannik Diefenbach, der regelmäßig seinen Großvater Aljoz Abram in Schale wirft – allerdings nicht in altersgemäßer Kleidung, sondern mithilfe der angesagtesten Trends der „Gen Z“. Rund 1,6 Mio. Menschen schauen sich täglich die Bilder und kurzen Videos der beiden Mainzer an. Auf den Fotos posiert der 77 Jahre alte Aljoz Abram so, wie es der Style verlangt: zum Flexen gemacht. Die Idee zu dem Kanal entstand, als Jannik Diefenbach am Weihnachtsfest dem Großvater seine neueste Kleidung anzog und damit die Erfolgsstory in Gang setzte. Dass mittlerweile auch ältere Menschen Instagram auf charmante Weise einsetzen können, beweist nicht nur Aljoz Abram. Rosi. Rosi heißt eine weitere Mainzer Entdeckung, die im Sturm die Herzen ihrer Follower eroberte. Vor Ort 1934 geboren, rührt sie mit ihren Erinnerungen an die in den Kriegsjahren geplagte Stadt ihr Publikum. Enkelin Paula erkannte das Potenzial der Zeitzeugin und initiierte den Gang zu Instagram. Auf ihren Spaziergängen durch die Stadt sprudeln die Gedanken nur so heraus. Rosis Schilderungen vereinen Nachdenklichkeit und Witz zugleich – ganz so, wie es für die Stadt typisch ist, in der sie zur Welt kam. Es wirkt dabei häufig so, als könne sie ihr Glück, in Mainz geboren zu sein, kaum fassen: Besonders deutlich wird dies bei einer Fahrt auf einem E-Floß über den Rhein. „Isch kennt flenne, weils so schee war“, sagt sie und blickt dabei in den Sonnenuntergang.

Eindrücke von ihren Touren und alles
rund um das Thema Radsport vereint der
Instagram-Kanal von Julia Alina Schuler (Foto: Julia Alina Schuler)

Rad und Region
Der Region viel abgewinnen kann auch Julia Alina Schuler, deren Instagram-Account Naturverbundenheit und Radsport verbindet. Die Sportstudentin postet regelmäßig ihre Touren durch Rheinhessen und zeigt damit ganz nebenbei die idyllischen Landschaften, die sich schon nach wenigen Kilometern über die Stadtgrenzen hinaus offenbaren. Mal auf dem Rennrad, mal auf dem Gravel- oder Mountainbike – je nach Bedingung der Umgebung wird die passende Bereifung ausgewählt. Ihre Rad-Begeisterung teilt Schuler mit anderen. In unregelmäßigen Abständen finden Touren statt, die von Mainz aus starten. Und das ist einmal die besondere Ausnahme, dass die Social-Media- Welt wirklich so schön ist, wie es manchmal nur scheint. Die Mainzerin hat fast 150.000 Follower.

Text Alexander Weiß