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Ein Leben für den Rosenmontagszug – Zu Besuch beim Fastnachtswagenbauer

von Ruth Preywisch
Fotos: Isabel Jasnau

Aus der graublauen Industriehalle in Mombach kreischt eine Säge. Paletten, Container und Styroporreste sammeln sich im hinteren Teil des Hofes, darunter riesige Arme und Beine, ein Papp-Wolf, dessen Farbe abblättert, und das Gesicht der Kanzlerin. Was verbirgt sich in der von außen trostlos aussehenden Halle? Nichts Geringeres als der größte Schatz der Mainzer Fastnacht: die Wagen des Rosenmontagszuges.

Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Angela Merkel, Papst Johannes Paul II., Edmund Stoiber, Kurt Beck – dicht an dicht stapeln sich bekannte Köpfe bis unter die Decke. Stolz zeigt Dieter Wenger seinen Fundus. „Ich hatte sie alle“, erklärt der Mainzer Fastnachtswagenbauer und grinst breit über das ganze Gesicht. Seit er vor genau 50 Jahren seinen ersten Wagen für den Mainzer Rosenmontagszug baute, hat ihn die rollende Satire nicht mehr losgelassen. Wie viele Wagen Dieter Wenger bis heute gefertigt hat, weiß er selbst nicht mehr. An das Thema seines ersten Motivwagens für den Rosenmontagszug erinnert er sich allerdings noch ganz genau: Es ging um die Milchpreiserhöhung und Wenger setzte eine Kuh auf den Po. Sie wurde gleichzeitig gefüttert und gemolken.

Begabung von klein auf

Der Grundstein für Dieter Wengers Berufung wurde schon in seiner Kindheit gelegt. Er lebte als Vollwaise bei seinen Großeltern in der Altstadt. Damals schaute er oft seinem Opa über die Schulter, der die Familie mit geschnitzten Puppen und Spielzeug durch die Nachkriegszeit brachte. Dass er selbst einmal Puppen in Übergröße bauen würde, ahnte Wenger damals noch nicht. Seine Leidenschaft in frühen Jahren galt dem Theater, speziell dem Bühnenbild und den Kulissen. Der Mainzer Regisseur Willy Biontino erkannte schnell das künstlerische Talent des Jungen und nahm ihn unter seine Fittiche. Mit Erfolg. Ein Kritiker der Stuttgarter Zeitung schloss einen vernichtenden Verriss eines Bionino-Stückes mit den Worten „hübsch war nur das Bühnenbild Dieter Wengers“. „Ich bin nur noch über den Boden geschwebt“, beschreibt dieser das Gefühl ob dieser positiven Kritik, das bis heute Motivation und Antrieb für ihn ist.

Ein florierendes Familienunternehmen

Nach dem kurzen Intermezzo in der Theaterwelt ging Dieter Wenger in die Lehre als Dekorateur bei Kaufhof. Einige seiner Kollegen waren damals im Wagenbau für die Fastnacht aktiv. „Ich dachte, was die können, kann ich auch“, und so begann seine Karriere – nebenberuflich, denn bis zur Rente blieb er dem Kaufhof treu.
Anfangs waren Wenger und seine Kollegen nicht die einzigen, die sich mit der Fastnacht beschäftigten: Bildhauer, Kunsthochschüler, Handwerker und Kreative kreierten einen oder mehreren Wagen für den Rosenmontagszug. Doch Wenger ließ nicht locker: 1973 verantwortete er bereits sechs Wagen und benötigte Unterstützung. Also gründete er ein Unternehmen namens „Inspiration“ und stellte Leute ein. Viele andere Wagenbauer zogen sich im Laufe der Zeit zurück. Seit Anfang der 90er ist Wenger der einzige Fastnachtswagenbauer in Mainz. Und obwohl er das Geschäft bis zur Rente nur nebenberuflich betrieb, baute er sich so ein florierendes Unternehmen auf.
Seit seiner Pensionierung 2002 widmet er sich Vollzeit seiner Leidenschaft und beschäftigt 24 Mitarbeiter. Den Laden schmeißt er jedoch nicht allein, Inspiration ist ein richtiges Familienunternehmen mit klar verteilten Aufgaben: Dieter Wenger ist der kreative Kopf, sein Sohn Oliver kümmert sich um die praktische Umsetzung und Ehefrau Hannelore um die Verwaltung.
Hannelore Wenger sitzt still am langen Tisch im hinteren Teil der Halle und beugt sich über Aktenordner. Die zurückhaltende Frau beschreibt ihre Tätigkeit als „Papierkram erledigen“, aber eigentlich ist sie Ansprechpartnerin bei Personalfragen, organisiert die zeitlichen Abläufe, hat die Hand auf der Kasse und macht die Buchhaltung. „Ohne Mutter würde hier gar nichts laufen“, lacht Oliver. Dabei hatte die geborene Kasselerin mit Fastnacht früher gar nichts am Hut. „Ich bin da so reingerutscht durch meine Heirat“, erzählt sie.
Oliver ist mittlerweile fest angestellt in der Firma. „Er hat erstmal was Anständiges gelernt, aber es war schnell klar, dass der das weitermacht“, freut sich sein Vater. So wurde Oliver Malermeister und ist jetzt für die praktische Umsetzung der Pläne seines Vaters zuständig. „Das ist nicht immer einfach“, sagt er, „aber ich wusste ja, auf was ich mich einlasse.“ Und er ist froh, dass sein Vater nicht ans Aufhören denkt. „Ich könnte das auch alleine, aber er hat einfach gute Ideen.“

„Mit dem Papst kann ich machen, was ich will“

Und die Ideen sprudeln nur so aus dem kleinen agilen Mann. Deshalb mag er auch die Zeit des Sammelns und Skizzierens am liebsten. Wenn am 11.11. die vierte Jahreszeit ausgerufen wird, hat die Arbeit hinter den Kulissen schon längst begonnen: Aktive Fastnachter und Wenger sammeln Themen und skizzieren sie auf Papier. Die Politik liefert dabei zuverlässig spannende Vorlagen. „Auf die kann man sich verlassen“, lacht er. Doch auch die Kirche ist immer wieder ein sicherer Garant. Ein wirkliches Lieblingsmotiv kann Dieter Wenger nach all den Jahren nicht mehr nennen. „Jeder Wagen ist eigenständig und in jedem stecken viele Ideen, Gedanken und Herzblut.“ Wobei ihm auch recht ist, wenn seine Wagen hinterher heiß diskutiert werden. Als im vergangenen Jahr CDU-Politikerin Julia Klöckner gegen ihre Darstellung als dralle Nacktschönheit protestierte, hat er sich gefreut. „Das gab mehr Aufmerksamkeit.“ Noch mehr amüsiert Wenger jedoch die Aufregung über kirchliche Themen. So musste er nach einer einstweiligen Verfügung eine mit Strapsen bekleidete Nonne verstecken oder einen Wagen umbauen, auf dem ein Weihbischof einer Professorin den Teufel im Bett austrieb. Einmal kam es zu einer ernsthaften Attacke: Wenger hatte das Thema Zölibat auf einem Wagen verewigt. Schon vor dem Umzug erhielt er Protestbriefe. Später dann wurde der Wagen von Unbekannten in Brand gesteckt. Seitdem werden die Motive erst kurz vor Rosenmontag bekannt gegeben. Eine Person der katholischen Kirche ist jedoch scheinbar vogelfrei: „Mit dem Papst kann ich machen, was ich will, da beschwert sich niemand“, freut sich Wenger.

„Mancher Arm fährt schon seit Jahren mit“

Über die Umsetzung der Wagenmotive entscheidet ein Ausschuss des Mainzer Carneval Vereins (MCV). „Da wird dann ewig diskutiert“, erzählt Wenger. Und selbst wenn sich die Runde entschieden hat, kann noch einiges dazwischen kommen. So geschehen 2007: „Da haben wir einen fast fertigen Wagen nochmal komplett umgebaut, weil die Wiesbadener SPD vergessen hatte, ihren Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl rechtzeitig anzumelden. Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen.“ Seitdem werden zwei Wagen für kurzfristige Themenentscheidungen bis kurz vorm Ende offen gelassen.
Direkt nach der Wahl beginnt die heiße Phase in der Industriehalle. Unterbauten werden angefertigt, Figurenteile aus Styropor geschnitzt und Stahlkonstruktionen gestärkt. „Bei uns ist nichts aus Maschendraht und Pappmaché“, erklärt Wenger senior. Später werden die Figuren mit einer eigens entwickelten Schicht überzogen, die sie witterungsbeständig macht. „Außer uns hat keiner so langlebige und stabile Figuren.“ Der Vorteil an der Haltbarkeit ist nicht nur, dass kein Wagen während des Umzugs auseinander fällt. Auch Einzelteile können später auseinander gebaut und wieder verwendet werden. „Mancher Arm fährt hier schon seit Jahren mit“, freut sich Wenger.
Die Mitarbeiter beginnen mit allen Wagen gleichzeitig. „Jeder weiß genau, was er zu tun hat“, beschreibt Sohn Oliver die Arbeitsatmosphäre. Während einer die Stahlkonstruktion schweißt, bringt der nächste Styropor-Teile in Form und ein dritter beginnt mit der Grundierung einer fast fertigen Figur. Es wird gesägt, gehämmert, gemalt und geklebt.
„Hier arbeiten Handwerker, Bildhauer, Studenten, Hausfrauen, wir haben sogar einen Landwirt, der kann alles!“, erklärt Dieter Wenger. Mittags wird gemeinsam Pause gemacht und Hannelore Wenger kümmert sich um das Essen. „Das gehört hier einfach dazu“, freut sich einer aus der Belegschaft.

Dynamik macht den Unterschied

Während der Bauphase tritt der Senior-Chef ein wenig in den Hintergrund. Sein wichtigster Part sind die Entwürfe und Ideen, die Umsetzung überlässt er seinem Sohn. Aber auch nicht ganz, denn Wenger senior ist ein Perfektionist mit Liebe zum Detail. „Mir ist wichtig, dass in jedem Wagen Dynamik und Bewegung ist.“ Dabei erweist sich Wengers tüftlerisches Talent als Segen. „Ich habe schon eine Konfettikanone aus einem Fleischwolf und Gebläse gebaut, die hatte richtig Power“, erzählt er stolz. Manche Ideen kommen ihm erst während der Umsetzung. „Das kann dann anstrengend sein“, sagt Sohn Oliver. Wenn der Senior zum Beispiel meint, der Nachthimmel auf einem Wagen könne einen Tick mehr blau vertragen, muss das gemacht werden. „Das fällt zwar wahrscheinlich keinem auf, aber das ist ihm egal.“
Finanziert wird der Bau der Wagen von den großen Fastnachtsvereinen. Gewinne macht Wengers Unternehmen damit nicht. „Wenn ich Glück habe, komme ich bei null raus“. Die Firma baut deshalb nicht nur die Motivwagen für den Rosenmontagszug, sondern auch die anderen Wagen, auf denen die Garden sitzen. Die „Helaumänner“ nennt sie Wenger. Aber auch vieles, das mit der Fastnacht gar nichts zu tun hat, etwa Figuren für Freizeitparks oder Kulissen für das ZDF-Kinderprogramm, befinden sich in seinem Portfolio. Doch die Motivwagen sind für Dieter Wenger auf jeden Fall die schönste Arbeit. „Hier kann ich spinnen und mich austoben“, freut er sich. Und man glaubt dem Mann sofort, dass er sich ein Leben ohne diese kleinen Frechheiten nicht vorstellen kann.

Vier Monate Arbeit für fünf Stunden

Vom Auftritt der Wagen beim Umzug bekommen die Wengers und ihre Mitarbeiter nicht mehr so viel mit. Entweder sind sie auf dem ersten Wagen im Einsatz, oder warten in der Halle auf die Rückkehr und den Abbau. Denn wenn das Spektakel vorbei ist, ist auch die Zeit der Wagen vorbei. „Wir bringen sie zurück und zerlegen sie in ihre Einzelteile“, sagt Oliver Wenger. Das dauert eine knappe Woche – nichts im Vergleich zu vier Monaten Arbeit, die im Aufbau stecken. Doch viele der Teile kommen im nächsten Jahr wieder zum Einsatz. In welchen Motiven, verraten wir noch nicht. Es könnte ja sein, dass wieder ein Aufreger dabei ist – und den möchte sich Wenger bis zuletzt aufheben.

Ausgewählte Umzüge:
Donnerstag, 16.2. Altweiberfastnacht am Schillerplatz
Freitag, 17.2. Umzug in Mainz-Hechtsheim
Samstag, 18.2. Jugendmaskenzug mit Rekrutenvereidigung in der Innenstadt, Umzug in Gonsenheim
Sonntag, 19.2. Parade der närrischen Garden und Ausstellung der Motivwagen auf der Ludwigsstraße, Zug der Lebensfreude in Finthen
Montag, 20.2. Rosenmontagsumzug
Dienstag, 21.2. Kappenfahrt der Korporationen, Schissmelle-Dienstagszug in Mombach, Draaser Umzug in Drais