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Ein Kind – Und jetzt? Über Mainzer Hebammen und Kita-Probleme

Die Geburtenrate in Mainz ist so hoch wie lange nicht. Zugleich fehlt es an Hebammen und Kita-Plätzen. Auch wer früh plant, kann leer ausgehen.

 

 

 

Läuft man durch die Stadt, fallen einem die sprichwörtlich zunehmenden Mütter in spe und Kinderwagen auf. Scheinbar nur gefühlt? Nein, es gibt tatsächlich wieder mehr Mini-Mainzer: In den letzten Jahren ist die Geburtenrate (nicht nur) hier kontinuierlich angestiegen. Über 4.000 Geburten im Jahr, beinahe Höchsttand, verzeichnen die Mainzer Krankenhäuser; Tendenz steigend. Der Landkreis Mainz- Bingen liegt mit 1,64 Kindern pro Frau sogar über dem Bundesschnitt. Doch das bringt nicht nur Freude: Trotz geltendem Rechtsanspruch fehlen in Mainz über 2.000 Kita-Plätze und Personal. Und nicht nur das: Schwangere finden kaum noch eine Hebamme. Alles, was mit Themen rund um die Geburt zu tun hat, gleicht einem Wettlauf um die besten Plätze.

Lange Wartelisten

Auch wenn sich die Versicherungssituation für Hebammen in den letzten Jahren wieder etwas entschärft hat, sind ihre Kalender meist schon sechs Monate im Voraus belegt. Mit freien Kapazitäten ab März, April ist derzeit also zu rechnen. Später wird es wieder schwieriger, denn in den Sommermonaten machen auch Hebammen mal Urlaub. Ähnliches gilt für Kita-Plätze, darum sollte man sich am besten schon direkt nach der Geburt kümmern. Doch die Situation bleibt schwierig: Es gibt einfach nicht genug Plätze. Kritische Fälle (zum Beispiel Kinder von alleinerziehenden Müttern) und Geschwister- Kinder gehen oft vor. Die einen oder anderen gehen also definitiv leer aus und müssen sich eine Alternative überlegen.

Beruf als Berufung

Dorothee Vogelsang ist Hebamme und seit 40 Jahren im Beruf. Sie wollte schon mit 14 Jahren „aus einem Helfersyndrom heraus“ nichts anderes werden. Als sie sich 1977 auf einen Ausbildungsplatz bewarb, kamen rund hundert Bewerberinnen auf eine Stelle, die Hebammenschulen waren überlaufen. Eine Situation von der man heute nur noch träumen kann. Mit den Jahren verschärften sich die Arbeitsbedingungen und Vogelsang musste etliche Frauen parallel betreuen, 15-Stunden-Tage waren keine Seltenheit. Die Folge: Burn-Out.

Heute macht sie „nur noch“ Nachsorge, Akupunktur und Homöopathie. Sie weiß, dass sie nie einen anderen Beruf finden würde, in dem sie jemals so gut sein könnte und der sie in dieser Weise ausfüllen würde. Regelmäßig erhält sie Dankesbriefe, die ihr zeigen, wie wichtig und berührend ihre Arbeit ist. Mittlerweile betreut sie schon „Enkel“: Kinder, deren Nabel sie schon versorgt hat, werden nun Mütter. „Wenn ich Hebammen-Uroma werde, höre ich aber auf!“, lacht Frau Vogelsang und wird wieder ernst: „Wenn eine gesunde Mutter mit einem gesunden Kind das Haus verlässt, dann ist ein Wunder passiert“, eines, das einige zu Unrecht als selbstverständlich hinnehmen.

Neue Praxis für Mainz

Theresa Eidt und Gila Heusermann sind frisch examinierte, zusätzlich studierte Hebammen und eröffnen derzeit gemeinsam mit fünf Kolleginnen ihre neue Praxis „Kokobelly“ in der Leibnizstraße 16. Eine Versorgungslücke wird also verkleinert. Neben der „Oase“ wird es nun wieder zwei hebammengeführte Orte für Geburtsvorbereitungs-, Rückbildungs-, sowie Babymassagekurse geben. Das junge Team bietet auch Vor- und Nachsorge sowie Akupunktur an. „Bei vielen ist das Hebammen-Sein ein langjähriger Wunsch, der sich durch Praktika gefestigt hat“, sagt Theresa. „Es ist eine unglaubliche Erfahrung, so nah bei Familien zu sein, in einer so sensiblen Zeit.“

Gila Heusermann ist durch ihr Studium an der Katholischen Hochschule auch mit dem Feld der Hebammenforschung vertraut. Das Hebammenwesen wird zunehmend akademisiert. An sieben deutschen Hochschulen werden Hebammen mittlerweile aus- und weitergebildet. In ihrer freiberuflichen Arbeit sehen die beiden die größten Vorteile in der Team-Arbeit. Ganz pragmatisch können Vor- und Nachsorgetermine nach Stadtteilen aufgeteilt werden. So fährt Gila regelmäßig in Gonsenheim mit dem Fahrrad von Frau zu Frau. Außerdem lassen sich Wochenenddienste besser aufteilen. „Kokobelly“ soll auch mit Kollegen aus anderen Berufsgruppen erweitert werden: Yoga und Osteopathie sind hier denkbar. Nach dem „Soft Opening“ diesen Monat wird es wahrscheinlich im Frühjahr eine offizielle Eröffnung geben. Momentan werden die Räumlichkeiten gemütlich gestaltet. Kapazitäten für die Nachsorge haben die Sieben auch nicht vor März, ABER: In den Kursen sind noch einige Plätze frei!

Kita-Plätze Mangelware

Doch nicht nur Hebammen sind schwierig zu bekommen. Es gilt auch: „Wenn das Kind da ist, sofort einen Krippenplatz beantragen!“ Seit 2013 hat jedes Kind in Rheinland-Pfalz ab einem Jahr das Recht auf einen Kita-Platz. In Mainz gibt es insgesamt 8.500 Betreuungsplätze für Kinder ab 8 Wochen bis 14 Jahre. Doch das reicht nicht. Mindestens 2.000 fehlen noch. Die Stadt sucht daher verzweifelt nach neuen Flächen für Kitas (20 müssen noch gebaut werden) und erst Recht neues Personal. 2013 wurden sogar Spanier in der Mainzer Partnerstadt Valencia angeworben. In Spanien herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und hier ein Mangel an Erziehern – eine klassische „Win-Win-Situation“ also?

28 junge Spanierinnen und Spanier waren im September 2013 tatsächlich nach Mainz gekommen. Vier Jahre später, im September 2017, sind nur noch neun von ihnen im Dienst der Stadt. Die Gründe dafür waren vielfältig: Das Erlernen der deutschen Sprache war für manche schwieriger als gedacht, das Einfinden in die deutsche Kultur nicht minder, manche zogen innerhalb Deutschlands um, andere fanden am Ende doch noch eine Jobperspektive in der Heimat. „Die Aktion war anstrengend und hat uns viel Kraft gekostet, sowohl in der Vorbereitung als auch in der Betreuung der spanischen Kollegen“, sagt Regina Deckwarth. Die Teamleiterin in der Abteilung Kindertagesstätten des Amts für Jugend und Familie hat die Anwerbung damals miterlebt und mitgestaltet, mit durchaus positiven Erfahrungen und menschlich schönen Begegnungen. „Wenn man aber sieht, was am Ende herausgekommen ist, würden wir das so nicht nochmal machen“, so ihr Fazit.

Zuzug erschwert die Lage

Etwas machen muss die Stadt aber trotzdem. Im Jahr 2017 haben sich die Kommunen in der Personalplanung zwar längst auf den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz eingestellt. Aber die Boom- Stadt Mainz wird außerdem mit einem massiven Zuzug konfrontiert. Rund 2.000 Neubürger sind es derzeit pro Jahr, darunter auch viele junge Familien mit Kindern. Bis 2020 will die Stadt mindestens 6.500 neue Wohneinheiten schaffen. Und sie muss für entsprechende Kitaplätze sorgen. Die Bedarfsquote für die Betreuung der 2- und 3-jährigen ist von 50 Prozent im Jahr 2007 auf heute 90 Prozent gestiegen. Bei den Ein- bis Zweijährigen von 31 Prozent im Jahr 2008 auf heute 55 Prozent.

„Wir brauchen weiterhin eine große Menge an Fachkräften, das ist Fakt“, sagt Sozialdezernent Eckart Lensch (SPD). Aktuell beschäftigt die Stadt tausend Erzieher, das entspricht 850 Vollzeitstellen. In diesem Jahr wurde das städtische Kita-Personal bereits um 75 Vollzeitstellen aufgestockt, 20 sind aktuell noch nicht besetzt. 2018 sollen 172, 2019 weitere 214 Vollzeitstellen geschaffen werden. Aber weder diese Perspektive noch die derzeit unbesetzten Stellen machen Lensch nervös. „Wir haben den Anspruch, offene Stellen schnell zu besetzen, das wird uns gelingen“, sagt er.

Kita-Koordinator: Plakate und Social Media

Im Hauptamt ist nun eine Personalstelle geschaffen worden, für die es eine zentrale Aufgabe gibt: die Gewinnung von Kitapersonal. Dazu gehören Werbeaktionen in Form der Plakatkampagne „Du fehlst uns“, ständige Stellenausschreibungen auf der eigenen Homepage, im Internet sowie in Tageszeitungen und Fachblättern, die Präsenz auf Berufs- und Fachmessen und in Fachschulen mit Erzieherausbildung, und auch die gezielte Ansprache von Migranten. In Zukunft will die Stadt auch über die sozialen Netzwerke junge Bewerber ansprechen. Außerdem wurden Bewerbungsverfahren beschleunigt, die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht (aktuell 89 Vollzeitstellen und es werden noch mehr) und auch eine Ausbildung in Teilzeit ermöglicht, was vor allem für Alleinerziehende attraktiv ist.

„Wir haben jede Woche eine Einstellungsrunde mit fünf bis acht Kandidaten und bieten schnell Hospitationstermine an, damit schnell eine Entscheidung fallen kann“, erklärt Regina Deckwarth. Die Stadt sei als Arbeitgeber attraktiv. „Wir schließen nur unbefristete Verträge ab, jeder städtische Mitarbeiter erhält ein Jobticket und alle Erzieher haben Anspruch auf einen Betreuungsplatz für die eigenen Kinder“, zählt Deckwarth auf. Dass der Erzieherberuf im Ansehen steige sei ebenfalls spürbar: „Die Bewerbungen von Männern und Frauen mit abgeschlossenem Studium, vor allem auf Leitungspositionen, steigt.“ Viele kleine Schritte also geht die Stadt bei diesem komplexen Thema, bei dem auch steigende Personalkosten durch den jüngsten Tarifabschluss und mit Blick auf den Personalschlüssel die Betreuungsqualität eine Rolle spielen. Trotzdem sieht Eckart Lensch der Herausforderung angesichts der positiven Entwicklung bei der Fachkräftegewinnung hoffnungsvoll entgegen. Kinder kriegen ist und bleibt eben vor allem eins: ein Dauerbrenner.

Text: Ulrike Melsbach (zu Teilen aus der Allgemeinen Zeitung)  Fotos: Jonas Otte