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Die Wahrheit über Fastnacht

von Felix Monsees
Foto: Michael Grein

Helmut Lehr ist Rentner, Pensionär oder Privatier … je nach Stimmungslage. Normalerweise teilt er sein Wissen als Stadtführer mit. Mehrere Bücher zur Geschichte der Stadt hat er bereits veröffentlicht. Für sensor räumt er mit Fastnachtslegenden auf.

sensor: Allgemein verbinden viele mit Fastnacht Verkleiden und Betrinken. Steckt mehr dahinter?

Lehr: Schreien, schimpfen und trinken kann ich auch beim Fußballspiel. Eigentlich geht es darum, dass man – mit viel Symbolik und Mutterwitz – etwas tut, das sehr alt und nicht nur meenzerisch ist, aber in unserer Stadt eine besondere Tradition hat. Man schafft eine besondere Stimmung und geht aus sich raus.

Was ist das Meenzerische an der Fastnacht?

Wer vom Fastnachtsbrunnen am Schillerplatz auf den Dom guckt, der sieht die Pole, zwischen denen sich die Mainzer früher bewegt haben. Auf der einen Seite der Brunnen, der für die Ausgelassenheit, Sinnlichkeit und Lebensfreude der Fastnacht steht und vis-à-vis der spirituelle Dom. Die Fastnacht bezeichnet die Tage und Nächte vor der Fastenzeit. Man hat gevöllert, gesündigt und Unkeuschheit getrieben. Das hatte nach Aschermittwoch ein Ende. Es wurde wieder sittsam gelebt, gefastet und gebetet. Besonders in Mainz, denn hier war der Sitz des Erzbischofs, die zweitwichtigste politische Macht im Deutschen Reich nach dem Kaiser und höchste moralische Instanz. Da ging es außerhalb der 5. Jahreszeit sittenstrenger zu als sonst wo.

Zumindest der sündige Teil wird heute immer noch praktiziert. Heute wie früher.

Es gab auch damals Randale, wenn die Narren betrunken von Tür zu Tür zogen und Speis und Trank forderten. Wenn es nichts für sie gab, wurde schon mal die Tür eingeschlagen. Das schlechte Benehmen der Narren war der Obrigkeit schon immer ein Dorn im Auge. Deshalb war sie heilfroh, als sich 1838 das Bürgertum der Fastnacht annahm und sie in die heute bekannte Form brachte, mit einem organisierten Rosenmontagszug und der Saalfastnacht.

Angeblich sollen die Mainzer es so wild getrieben haben, dass die Franzosen die Fastnacht sogar verboten haben?

Wenn die Mainzer mal nicht weiter wissen, müssen immer die Franzosen herhalten. Angeblich wollte General Riçambeau, Oberbefehlshaber der französischen Armee in der Stadt, den Mainzern die Fastnacht verbieten. Daraufhin zogen die Meenzer zu seinem Dienstsitz und skandierten zur Melodie des Narrhallamarsches „Ritzamba, Ritzamba, morsche fängt die Fassnacht a.“ So angeblich sei dieses Lied entstanden. Dabei wurde die Operette, aus der die Melodie stammt, erst 1838, also 26 Jahre nach Abzug der Franzosen, komponiert.

Und woher stammt der Text dann?

Bei der Melodie zuckt es jedem Mainzer in den Beinen. Und um etwas zum Mitgrölen zu haben, spintisierten sich die Mainzer diesen Text zurecht. Hauptsache, man kann mitsingen. Erst später kam man auf die Idee, Ritzamba könnte jemand gewesen sein. So entstand eben diese Geschichte vom Fastnachtsverbot. Einen General Riçambeau hat es in Mainz aber nie gegeben. Auch die Narrenkapp stammt nicht von der roten Jakobinermütze der Revolution ab, sondern von der mittelalterlichen Tracht der Hofnarren.

Welche Wahrheit über die Fastnacht sollte noch aufgedeckt werden?

Am Rosenmontagszug präsentieren die so genannten Weck-, Worscht- und Woi-Träger diese drei Mainzer Spezialitäten überdimensional auf einer Stange. Und welcher Weck?
Selbst mancher Mainzer würde sagen: ein Brötchen. Milchbrötchen? Körnerbrötchen? Oder sogar ein Fitnessbrötchen? Natürlich nicht! Ein Weck ist ein Paarweck und die Worscht eine Fleischworscht. Und zum Wein muss man nichts sagen.
Ein Riesling natürlich!

Wo ist die beste traditionelle Fastnacht in Mainz?

Ganz Mainz ist ein historischer Ort für die Fastnacht. Die ist aber nicht an einen Ort gebunden, sondern hängt vom eigenen Befinden ab. Ich mache meine fastnachtlichen Führungen gerne abends im Dämmerlicht. Durch die kleinen Nebengässchen der Altstadt ziehend, stoßen wir vielleicht auf ein frisch gefundenes Paar, das Drumherum vergessend. Ein angetrunkener Clown mit schiefer Perücke wankt vorbei, etwas Unverständliches singend und von weitem ist etwas gedämpft der fastnachtliche Lärm zu hören. Ein Geheimtipp ist die Wirtschaftsfastnacht, die wieder verstärkt in den Weinstuben stattfindet, beispielsweise im Augustinerkeller oder dem Flehlappen. Dort veranstaltet der Wirt mit Bedienungen, Stammgästen und auch Passanten eigene Sitzungen. Mainzer Fastnacht ist reich an Traditionen. Es wäre schade, wenn man dieses Reservoir, das sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hat, austrocknen ließe.

Für Stadtführungen erreichen sie Helmut Lehr per E-Mail: Helmut_Lehr@web.de

2 responses to “Die Wahrheit über Fastnacht

  1. Sehr geehrter Herr Lehr,

    ist eine Zusendung Ihrer vielfältigen Stadtführung möglich, sowie Kosten p.P. etc. ? Für Ihre Rückantwort bedanke ich mich.

    Liebe Grüße
    Christiane Braun

Comments are closed.