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Dessous Akademie: Verführung per Nadel

Dessous0026Text Nathalie Klemm    Fotos Jana Kay

Zum Valentinstag (14.2.) basteln wir uns: Dessous.

Thomas Grün schaut mir auf die Brust. Sein Blick peilt über den rechten Daumen, er schürzt die Lippen. „80 B“. Mit dem richtigen Schätzen der Körbchengröße habe er sich in geselliger Abendrunde schon das eine oder andere Bier verdient, bekennt er lachend. Der studierte Wirtschaftsingenieur ist, zusammen mit Geschäftspartnerin und Designerin Madeleine van der Werve, Gründer der Dessous-Akademie in Ginsheim, neben Mainz-Kastel. Van der Werve ist für das Handwerkliche zuständig, Grün ist der Mann der Zahlen.

Der schmucklose Flachbau entpuppt sich beim Betreten als Paradies für Nähbegeisterte: Randvoll bis unter die Decken ist der Laden mit Stoffen, Borten und Nähzubehör angefüllt. Im Schulungsraum richtet van der Werve bereits alles für den abendlichen Nähkurs ein, verkabelt Nähmaschinen, legt Schnittmuster zurecht. Sie erinnert sich: Eine Freundin wollte zu einem Dessous- Nähkurs nicht alleine gehen. Van der Werve ging mit – „nicht, dass ich wollte, denn was soll ich denn da?“ Schnell fiel ihr auf, dass die Schnitte sehr primitiv waren. „Da wurden einfach nur Dreiecke aneinandergenäht.“ Die Idee zur Dessous- Akademie war geboren.

Ausbildung für den Dessous-Shop

Neben den Abendkursen für Hobbyschneider kann man an der Dessous- Akademie auch eine zweijährige, berufsbegleitende Ausbildung absolvieren. Hier entstehen sämtliche BH-Formen: horizontal, vertikal oder dreigeteilte Körbchen oder solche mit ausgehöhltem Rückenteil. Auch das passende Höschen sowie Bademode wie Bikinis, Tankinis oder Monokinis und auch Männerunterhosen stehen auf dem Lehrplan. Torseletts, Korsetts, Strumpfhalter und Hochzeitskorsagen runden das Programm ab. Wer die Ausbildung erfolgreich ab absolviert hat, eröffne meist seinen eigenen Dessous-Shop im Internet, erklärt Grün. Die Unterwäsche nach Maß komme gut an. „Wenn Sie ein bisschen was Exklusives kaufen, dann legen Sie 250 Euro auf den Ladentisch“, kalkuliert van der Werve. „Wenn Sie auf Maß kaufen, auch. Dafür passt es dann aber richtig.“ Und sie spricht ein Dilemma an, das sicher viele Frauen schon einmal erlebt haben: „In der Unterwäscheabteilung im Kaufhaus, da sagt einem die Verkäuferin bloß: Oh, diese Farbe steht Ihnen so gut‘. Dabei quetscht es hier und es quillt dort.“

Auf die Größe kommt es an …

Beim Abendkurs erlebe ich die soziale Komponente des gemeinsamen Nähens. „Was macht dein Mann? Wie war’s im Urlaub? Hattest du eigentlich schon immer deine Körbchengröße oder sind sie gewachsen?“, wird zwischen Nadel und Faden geplaudert. Eine gesellige Damenrunde aller Altersklassen sitzt über Stoffe und halbfertige BHs gebeugt. Auch mir wird ein Schnittmuster für ein Höschen an meinen Platz gelegt, dazu kommen rosa Spitze und ein Baumwollstoff für den Zwickel. Über das Schnurren der Nähmaschinen hinweg erzählt mir die Leiterin, dass man im Vorarlberg Triangel-BHs aus grobem Leinen gefunden hat, die auf das 15. Jahrhundert datiert wurden. Dem Bedürfnis nach etwas mehr Halt an der Oberweite ist man also schon recht früh mit passender Kleidung begegnet.

Heute zählt natürlich auch das Aussehen. Und das könne das Ego stärken. „Jede Frau meckert doch an irgendwas: zu kleine Brüste, zu viel Hüftgold – egal wie hübsch sie ist!“, klagt van der Werve. Eine Frau in passgenauer Unterwäsche fühle sich gewachimmer aufgewertet, ist sie überzeugt. Von ihren Schülerinnen und Schülern verlangt van der Werve exaktes Arbeiten. „Zwei Millimeter Unterschied hier und da, dann hat man statt einem gut sitzenden T-Shirt eben ein eher lockeres“, erklärt sie. „Bei einem BH bedeuten zwei Millimeter, die sich bei jedem Arbeitsschritt dazuaddieren, dass er am Ende einfach nicht passt.“ Ich seufze, denn offensichtlich habe ich mit meinen Anfängerkenntnissen meine Stoffteile nicht präzise vernäht. Das Muster auf der Spitze verläuft nicht glatt. Doch nach drei Stunden habe auch ich mein eigenes Höschen. Der passende BH in Größe 80B soll bald folgen. Dem Valentinstag steht nichts mehr im Wege…