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Der Mainzer „Kulturentwicklungsprozess“: Kleine Brötchen oder große Visionen?

Ein durchaus riskantes Unternehmen: Die Kulturabteilung einer Stadtverwaltung ruft die örtlichen Kreativen zusammen, um deren Ideen, Bedarf, ihre Vorstellungen und Wünsche zu erfassen. Nicht im intim- formellen Schreibtischgespräch im Rathaus, sondern in offenen Foren, betreut von einer Kölner Agentur. Was kommt wohl dabei heraus? Nur die üblichen Forderungen und  Beschwerden? Oder ein selbstzufriedenes  „In Mainz ist alles super“?

Alte Idee, neu aufgekocht 

So ganz neu ist die Idee nicht, weder in Mainz noch in anderen Städten. Und machen wir uns nichts vor: Foren, Bürgerbeteiligungen, Leitbild-Prozesse und Zukunftswerkstätten gehören heute zum Inventar im Umgang kommunaler Entscheidungsträger mit ihren Bürgern. Das Motto  ist „Wir machen was“ – ob auf realisierbarer  Basis oder als Köder für die Mitmachfalle. Dennoch ist der von Kulturdezernentin Marianne Grosse und ihren Mitarbeitern initiierte  „Kulturentwicklungsprozess“ ein guter Schritt, denn die Betonung liegt  auf „Prozess“ – Ausgang ausdrücklich offen. Nicht ein festgeschriebener Plan soll am Ende stehen, sondern  alles ist abhängig vom Input der Akteure. Aber wollen die überhaupt?

Die Fakten

Seit 2016 werden, getrennt nach Sparten, kulturell aktive Menschen, Gruppen, Institutionen, Initiativen und Vereine vom Kulturdezernat eingeladen. Unter der Moderation der Kölner Beratungsagentur „Staccato“ sollen sie formulieren, was sie bedrückt, welche Ziele sie haben und  was sie von der Stadt und ihren politischen Vertretern erwarten. Bisher gab es die Arbeitsgruppen Musik,  Bildende Kunst, Film und darstellende Kunst sowie spartenübergreifende Veranstaltungen. Im November zog man auf einem Vortragsabend eine erste Bilanz. Alles dem Auftrag der  Ampelkoalition folgend, ein Kulturentwicklungskonzept für Mainz  zu entwerfen – was übrigens bereits  1999 auf die To-Do-Liste der Stadt gesetzt worden war. Ein Blick auf die Liste der Mitwirkenden offenbart allerdings schon die Unterschiedlichkeit der Interessen. In der AG Film z.B. finden sich Vertreter des CinéMayence und des Cinestar, kommerzielle Film- und Fernsehproduzenten, Organisatoren von FILMZ ebenso wie Filmstudenten, Cineasten und sogar Fernsehredakteure. Man kennt sich zumeist bereits untereinander, und was nun ein gemeinsames Forum nützen kann, scheint einigen fraglich. Einfacher ist es in der darstellenden Kunst: Alle freien Gruppierungen wollen auftreten und brauchen Raum, Equipment und Förderung, die Junge  Bühne Mainz wie das Performance Art Depot, Theatergruppen in der Uni oder der Meenzer Rhoiadel. Bei der bildenden Kunst hingegen lauter Einzelkämpfer – eben freie Künstler. Und bei der Musik könnte man fragen: Was verbindet das Orchester des Staatstheaters mit Kirchenchören,  Jazzinitiativen und den Rockbands am Airfield Finthen? Die Zahl der  Mitwirkenden schwankt dabei von Termin zu Termin zwischen 6 und 30.

Die Ergebnisse

Ohne die zahlreichen Einzelprobleme auflisten zu wollen, treten drei Themen häufig in den Vordergrund: Raum, Geld und Kommunikation. Bei der Raumfrage sind  schon Ansätze zur Synergie spürbar: Proberäume, ein Veranstaltungssaal und Künstlerateliers – womöglich  im Künstlerhaus Kulturbäckerei, der ehemaligen Kommissbrotbäckerei in der Neustadt, die von der stadtnahen Wohnbau vom Bund angekauft werden soll. Bei den Finanzen geht es unter anderem  um die Tendenz zur Verschiebung von institutioneller Förderung auf die Unterstützung einzelner  Projekte. Wobei der Kulturetat der Stadt restlos ausgeschöpft ist, jede größere oder neue Förderung kommt vom Land. Langfristige Bindungen wie Mieten oder Tarifverträge stabilisieren Institutionen wie das Staatstheater, aber kulturelle Start-Ups haben es schwer. Flexible  Projektförderung ermöglicht Experimente, aber nur langfristig verlässliche Unterstützung sichert  Nachhaltigkeit. Wenn man schon jetzt einen spürbaren Effekt der Diskussionen festhalten  will, ist dies sicherlich die intensivierte Kommunikation, modern ausgedrückt: „Vernetzung“. Ein gern  missbrauchtes Wort bei solchen Prozessen. Kulturmenschen, die sich bislang kaum kannten, kommen ins Gespräch, entdecken Gemeinsamkeiten und erkunden Chancen der Zusammenarbeit. Dass Kooperationen nicht zur Kürzung von Mitteln führen sollen, hat Dezernentin Marianne Grosse mehrfach betont. Auch ein noch wenig beackertes Feld der Kommunikation ist – auch dies betrifft alle – die effektive Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Bei Programmabsprachen fängt sie an, setzt sich in der Entwicklung gemeinsamer Portale und Medien fort und endet bei so kleinlichen Problemen wie der Genehmigung zur Plakatierung  und zum Verteilen von Flyern auf öffentlichen Plätzen. Hier ist, da sind sich alle einig, noch viel zu tun.

Steine im Weg

Bei allem Engagement sind in den Diskussionen aber auch immer wieder  Frustration und Enttäuschung  spürbar. Bei den Kulturakteuren, dass sie seit Jahren nicht gehört werden, bei der Verwaltung, dass ihr die (Finanz)hände gebunden sind, bei den Politikern, dass sie nicht  ernstgenommen werden – und bei der Agentur Staccato, weil bei allen Beteiligten das „Think positive“ zu fehlen scheint. Die beiden Agenturmenschen sollen ja nur Moderatoren sein und nicht auch noch Mediatoren. So verfahren und verstockt wie in Mainz sei ihnen selten eine Kulturszene vorgekommen, sagen die Kölner, die je nach jährlichem Aufwand für ein Honorar zwischen 5.000 und 10.000 Euro engagiert worden sind. Das drückt sich auch in der Akzeptanz ihrer Arbeit bei den Beteiligten aus. Zwischen Misstrauen („die sollen ja nur im Auftrag der Stadt beschwichtigen“) und unberechtigten Hoffnungen („die sind jetzt unser Sprachrohr für alle Forderungen“) schwanken die Einschätzungen. Einzelne Vereine haben die Mitwirkung komplett abgelehnt. In der Tat haben es Experten, die von außen kommen, nie einfach. Sie sollen Neutralität bewahren, dem großen Ganzen dienen, ihrem städtischen Auftraggeber verpflichtet sein, aber auch die Probleme der bedürftigen Kulturszene erfassen. Nachvollziehbar, dass die Staccatos über ihren moderat bezahlten Auftrag hinaus sehr viel Rechercheaufwand betreiben mussten, um  überhaupt einen Überblick zu bekommen, was hier kulturell läuft und was nicht. Die städtische Geschichtsschreibung ist da leider wenig hilfreich: Das Kulturleitbild Mainz, 1999 in langwierigen  Diskussionen unter der  Federführung des Amtes für Öffentlichkeitsarbeit  erstellt, war weder der  Agentur noch der heutigen Kulturabteilung bekannt. Denn – auch das  darf man nicht vergessen: die Leute werden älter. Manch einer ist in 30 Jahren Einsatz für die Mainzer Kultur ehrenhaft ergraut, und man sitzt zum zigsten Mal mehr oder weniger motiviert in AGs und „netzwerkt“. Bei mehreren Initiativen deuten sich Nachwuchsprobleme an. Die Ausdrucksformen, die Orte und der  Stellenwert der Kultur ändern sich. Eigentlich ein Argument für einen gemeinsamen „Kulturentwicklungsprozess“. Es wird sicherlich nicht der letzte sein.

Text Minas Illustration Lisa Lorenz