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Crystal Meth Therapiedorf: „Irgendwann knallt es“

TexCrystal_Meth_31t  Hendrik Jung  Fotos Arne Landwehr

Seit mehr als 25 Jahren ist in Bad Schwalbach das Drogentherapiedorf Villa Lilly untergebracht. Mittlerweile kommen immer mehr Crystal Meth-Konsumenten.

„Am Anfang hast du alles unter Kontrolle. Bis sie dich unter Kontrolle hat. Und das geht ganz schnell“, berichtet der 25-jährige Max von seinen Erfahrungen mit Crystal Meth. Denn „sie“ das ist in diesem Fall die Droge, die der junge Mann aus der Oberpfalz fast vier Jahre lang nicht nur konsumiert, sondern auch in drei bayrischen Städten verkauft hat. „Zum Schluss habe ich direkt an der Küche eingekauft“, macht er klar, dass er über beste Verbindungen zu den Herstellern des Methamphetamins in der Tschechei verfügt hat. Schließlich ist die Staatsgrenze nur etwa zwanzig Kilometer von seinem Heimatort entfernt.

Auch die 32-jährige Lilli stammt aus Bayern. Sie ist bereits mit Mitte Zwanzig mit Crystal Meth in Kontakt gekommen. „Das war mein Ding. Ein halbes Jahr lang habe ich mich ganz allein mit der Droge auseinander gesetzt. Ich habe geschrieben, Liedtexte übersetzt und gemalt. Dabei kann ich gar nicht malen“, beschreibt sie die erste Zeit des Konsums. „Man traut sich viel zu, weil es dir egal ist, was andere sagen“, erläutert Max. Am Ende handele es sich bei der euphorischen Kreativität jedoch um ein Schein-Phänomen. „Du bleibst an jeder Kleinigkeit hängen. Beschäftigst dich drei Stunden lang mit dem Handy. So habe ich oft den Zug verpasst“, fügt er hinzu. Den Führerschein hat er abgeben müssen. Als er dann seinen Arbeitsplatz als Gabelstaplerfahrer bei BMW verloren habe, sei es schwierig geworden, eine neue Stelle zu finden. Diese äußeren Faktoren seien es gewesen, die ihn schließlich dazu gebracht haben, sich nach einer Therapie für den Drogenentzug umzusehen. Ansonsten habe er sich perfekt in seinem Doppelleben eingerichtet. Es sich zur Tarnung sogar angewöhnt, zu essen und zu trinken, obwohl der Bedarf dazu überhaupt nicht vorhanden ist. Auf Schlaf können die Nutzer ebenfalls tagelang verzichten.

Alte Modedroge

Nicht umsonst hat die Droge im vergangenen Jahrhundert auch den Namen Panzerschokolade erhalten. Als Pervitin sollte sie den Soldaten der Wehrmacht dabei helfen, das Tausendjährige Reich zu errichten. Die japanischen Kamikazeflieger hat es dabei beflügelt, ihren Ehrentod zu sterben. Noch bis Anfang der 70-er Jahre hat sich die Bundeswehr diese praktischen Eigenschaften zu Nutze gemacht. Bei der NVA, der Nationalen Volksarmee der DDR, hat man den Wirkstoff sogar noch bis kurz vor der Wende eingesetzt. Heute ist es eine Modedroge, die unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Nicht ohne Grund.

„Irgendwann knallt es, und du kannst nicht mehr“, beschreibt Lilli ihre Erfahrung. Zeitweise habe sie vier Jobs parallel ausgeübt. Vor allem in ihrer Haupttätigkeit als Erzieherin für behinderte Kinder sei die Gefahr fataler Fehler groß gewesen. „Du bist nicht mehr teamfähig und verwechselst die Medikamente von den Kindern. Dabei machst du den Job ja eigentlich, weil du etwas erreichen willst“, beschreibt sie ihr Dilemma. Im Dezember ist sie deshalb für ein halbes Jahr ins Drogentherapiedorf gekommen. Nach den ersten vier Wochen sei das noch sehr anstrengend für sie. Sie würde sich mehr Freizeit- Angebote wünschen und sei nicht ausgelastet. „Umso länger du da bist, um so mehr darfst du machen“, beruhigt sie Max, der bereits im September hier ankam. Seine Freizeit verbringt er derzeit am liebsten mit Kraftsport. Aber auch Yoga, Theater oder Teamsport sind im Angebot. Tagsüber sind die Dorfbewohner, für deren Heilung eine feste tägliche Struktur wichtig ist, zur Hälfte mit ihren Therapien beschäftigt. Die andere Hälfte verbringen sie mit Arbeit, zum Beispiel in der Landwirtschaft.

Leben & Beziehung schaffen

Max betreut derzeit die Schafherde. Auf dem 37,5 Hektar großen Gelände, das für Spaziergänger offen steht, werden auch freilaufende Hühner gehalten, deren Eier nicht nur für den Eigenbedarf genutzt, sondern auch verkauft werden. Außerdem gibt es Gewächshäuser zu pflegen. „Die Zuwendung und Verantwortung für Pflanzen zeigt auch, dass es Sinn macht, wenn ich mich einsetze“, erläutert Michael Schwind. Der Diplom- Sozialpädagoge und Gestalttherapeut arbeitet von Beginn an im Therapiedorf, das im vergangenen Jahr 250 Aufnahmen verzeichnete und eine Erfolgsquote von rund 50 Prozent aufweise. Seien in der Villa Lilly ursprünglich vor allem Alkoholund Heroinabhängige behandelt worden, so nehme der Anteil der Cannabis- und Crystal Meth-Konsumenten zu. Seit dem zweiten Quartal 2013 ist man mit dem Methamphetamin beschäftigt. Derzeit beträgt der Anteil an den Patienten etwa 30 Prozent, Tendenz steigend.

„In einer Gesellschaft, in der es zunehmend darauf ankommt, immer tough und nie krank zu sein, passt das in unsere moderne Zeit“, liefert Schwind Erklärungsansätze. Der Fall des Mainzer SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann zeige, dass es sich keineswegs um eine Droge der Unterschicht handelt. Neben hohen Leistungsanforderungen sieht der Therapieleiter eine weitere Ursache für den steigenden Crystal Meth-Konsum in der Beziehungsunfähigkeit vieler Menschen. „Jede dritte Ehe ist geschieden, jede fünfte bis siebte Frau kinderlos“, gibt der 58-Jährige Beispiele. Zur Therapie, die in Lindschied bei einem Rückfall sofort abgebrochen wird, gehört daher auch der Aufbau von Beziehungen. So sollen sich die Therapierten im Wiesbadener Café Maldaner einfach mal trauen zu fragen, ob sie sich an einen Tisch dazu setzen dürfen.

Eine der letzten Prüfungen besteht darin, ein Wochenende in einer ihnen bislang unbekannten Stadt zu verbringen, wo sie auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. „Wir wollen Beziehungen schaffen, damit sie wieder Spaß am Leben haben“, betont Michael Schwind. Max kann sich ein Leben ohne die Droge bereits wieder vorstellen: „Man kriegt schon mit, dass es auch ohne geht. Bei der Arbeit merke ich, dass mehr dabei raus kommt, als mit.“ Derzeit sucht er nach einem Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft in Hessen, denn in Bayern will er auf keinen Fall mehr leben. In Hessen scheint das Problem auch noch nicht so ausgeprägt zu sein. Auf Anfrage erklärt das Polizeipräsidium Westhessen, dass hier bislang weder Konsumenten auffällig geworden sind, noch die Droge bei Durchsuchungen gefunden wurde. Lilli hat ihre Wohnung in Bayern ebenfalls gekündigt und ein klares Ziel vor Augen: Die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit.